Tandem-Chor Der erste Auftritt als Sängerin
Ob es für den Tandem-Chor Salzwedel eine Fortsetzung gibt, ist offen. Für Elisar Abu Cheija (17) war das Konzert ein unvergesslicher Abend.
Salzwedel l „Ich wusste gar nicht, dass ich singen kann“, sagt Elisar Abu Cheija nach dem etwa einstündigen Konzert und strahlt über das ganze Gesicht. Doch, sie kann singen, und zum ersten Mal in ihrem Leben vor Publikum in einem voll besetzten Konzertsaal.
Dabei war sie von den insgesamt sechs Proben nur bei zwei dabei, nachdem ihre Mutter sie zum gemeinsamen Singen mit nach Salzwedel nahm. Und Elisar sang nicht nur gemeinsam mit den anderen überwiegend weiblichen Chormitgliedern unter der Leitung von Bastian Holze mit. Sie übernahm die Soloparts, als ob es für sie selbstverständlich wäre. Der Lohn für sie und die anderen Sänger: stehende Ovationen, die Forderung nach Zugaben, und für Elisar gab es Blumen von ihren jüngeren Brüdern Yasan und Nawar. „Ich war vorher total aufgeregt“, erzählt Elisar Abu Cheija, „aber als ich gesungen habe, da war ich es nicht mehr.“
Chöre wie in Deutschland gebe es in ihrer Heimat eigentlich nicht, berichtet die aus Syrien stammende junge Frau. Musik werde dort zwar an den Schulen unterrichtet, aber „das hatte ich nur in der 6. Klasse.“ Und dann standen auch mehr Noten und Instrumente im Mittelpunkt als gemeinsames Singen.
Noch vor drei Jahren lebte sie mit ihrer Familie in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Der Krieg trieb die Familie zur Flucht, zuerst zu Fuß in die Türkei, dann per Boot nach Griechenland. Oft denkt sie an die Zeit zurück. „Meine Brüder waren damals erst vier und fünf Jahre alt, die erinnern sich nicht so daran.“
Schließlich kam die Familie in Lüchow an. Der Unterschied zwischen der Millionenmetropole Damaskus und dem beschaulichen Wendland waren erheblich. „Man kennt niemanden, versteht die Sprache nicht, ich wusste nicht, wo ich hingehen sollte, traute mich eigentlich gar nicht auf die Straße“, beschreibt sie die unmittelbare Zeit nach ihrer Ankunft. Und sie hatte Heimweh nach Syrien. In jener Zeit probierte Elisar Abu Cheija es mit Musik, versuchte, sich mit YouTube-Videos das Gitarrenspiel beizubringen und auch etwas zu singen.
Doch ihr Leben änderte sich, als sie wieder zur Schule ging und die deutsche Sprache von Tag zu Tag besser beherrschte. Sie absolvierte die neunte und die zehnte Klasse, „und weil ich unbedingt den Erweiterten Realschulabschluss haben wollte, habe ich die zehnte Klasse freiwillig wiederholt“, erzählt Elisar Abu Cheija weiter.
Jetzt besucht sie das Berufsgymnasium an der Berufsschule in Lüchow, geht in die 11. Klasse und will das Abitur schaffen. Danach möchte sie studieren im Bereich Sozialpädagogik. „Als ich noch klein war, wollte ich fast jeden Tag etwas anderes werden, Zahnärztin oder Kinderärztin zum Beispiel“, blickt sie zurück und gesteht auf Nachfrage schon mit einem Schmunzeln, doch recht ehrgeizig zu sein.
Auf die Frage, welcher Unterschied ihr zwischen Deutschen und Syrern aufgefallen sei, erwidert Elisar: „Deutsche geben uns eine Chance. Syrer neigen schneller dazu, jemanden zu verurteilen.“
Mitunter träume sie von Syrien, fügt sie nachdenklich hinzu. Aber die junge Frau möchte ihr Leben in Deutschland aufbauen. „Ich habe hier so viel geschafft, ich möchte hier bleiben. In Syrien weiß ich nicht, was mich erwartet.“
Auch das vergleichsweise ruhige Leben zwischen Wendland und Altmark mag sie inzwischen. Da sei eine Klassenfahrt nach Berlin schon wieder wie ein Kulturschock gewesen, erinnert sie sich und lacht.
Und wenn Musik doch das Hobby der jungen Frau wird, dürfte sie das Abschlusskonzert des Tandem Chores auf jeden Fall darin bestärkt haben. Das begeisterte Publikum nahm die Einladung von Chorleiter Bastian Holze zum Mitsingen gern an, auch wenn die wenigsten Kurdisch, Arabisch oder Farsi sprachen.
Die Gäste nahmen auch die Erkenntnis mit nach Hause, dass Lieder wie „Die Gedanken sind frei“ nicht unbedingt in der bekannten, leicht getragenen Version gesungen werden müssen. Im Samba-Rhythmus oder als Rap funktioniert es ebenfalls.
Der Tandem Chor besteht aus Einheimischen und Neu-Altmärkern aus unterschiedlichen Herkunftsländern und ist auf Initiative von Flüchtlingskoordinatorin Evelyn Ruppert-Schulze entstanden. Sie hofft, dass der Chor eine Zukunft haben wird, auch wenn auf Chorleiter Bastian Holze eine neue Aufgabe wartet: Er wird Chingiz betreuen, den Teilnehmer Aserbaidschans am European Song Contest in Tel Aviv.