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Gericht Wenn der Sohn die Eltern terrorisiert

Die Eltern mit Gewalt bedroht und eingeschüchtert: Dafür muss ein 32-Jähriger aus dem Altmarkkreis Salzwedel in Haft.

Von Alexander Rekow 05.03.2020, 06:53

Salzwedel l „Er ist mir bekannt“, sagt Richter Klaus Hüttermann am Salzwedeler Amtsgericht zu seinen beiden Schöffen. Gemeint ist ein 32-jähriger Angeklagter, der vor seiner Verhandlung seelenruhig Schokonüsse auf einer Bank im Wartebereich isst. Vor Gericht saß der junge Mann schon öfter. Doch dieses Mal wird er zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Was war passiert?

Im Zeitraum von April bis Mai 2019 soll der 32-Jährige seine Eltern im Raum Arendsee regelrecht terrorisiert haben. „Hausfriedensbruch, Beleidigung, Drohungen, Nötigungen“, listet der Vertreter der Staatsanwaltschaft auf. Nicht ein- oder zweimal: neun Mal. Und das trotz angeordneten Hausverbots bei seinen Eltern. Sätze wie „ich trete dir ins Gesicht, du Arschloch“ zu seinem Vater oder „ich schlage euch die Köpfe ab“ zu seiner Mutter, haben das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht. Hinzu kamen die nächtlichen Besuche des Sohnes, der wild gegen die Jalousien des elterlichen Hauses geschlagen haben soll. Zu viel für die Eltern, die ihren eigenen Sohn aus Angst anzeigten.

„Stimmen diese Vorwürfe?“, will der Richter wissen. „Ja“, entgegnet der entspannt auf der Anklagebank sitzende Angeklagte: „Blöde Kuh sagt man ja öfter mal.“ Daher ist er sich auch keiner Schuld bewusst. Er sei zwar ausgerastet, aber schlagen würde er seine Mutter nie. Vielmehr wundere er sich, weshalb er nun überhaupt angeklagt sei. „Ich finde es lächerlich, dass ich vor Gericht sitze“, sagt er und grinst.

„Was glauben Sie, weshalb Sie hier sitzen?“, will der Vertreter der Staatsanwaltschaft wissen. „Meine Mutter will, dass ich erwachsen werde“, mutmaßt der junge Mann. „Das wollen viele Mütter – Ihre hat Angst“, versucht der Richter dem Angeklagten die Lage zu verdeutlichen. Doch von Einsicht keine Spur.

„Ich fragte meine Mutter nach Geld“, erzählt der 32-Jährige, der seine Erwerbsunfähigkeitsrente regelmäßig am zweiten oder dritten Tag nach Erhalt auf den Kopf haut. Und wenn er von seiner Mutter nichts bekomme, dann würde auch mal „blöde Kuh“ fallen und es werde auch mal laut. „Wenn ich kein Geld bräuchte, würde ich nicht hingehen“, sagt der sichtlich genervte Angeklagte: „Ich hasse meine Mutter ein bisschen. Weil sie das hier macht, wegen Pillepalle.“

„Wie fühlen Sie sich gesundheitlich?“, fragt Richter Klaus Hüttermann. Hintergrund: Drei Verfahren gegen ihn mussten schon wegen Schuldunfähigkeit eingestellt werden. In einem fachpsychologischen Gutachten ist von Schizophrenie die Rede, von akut psychotischem Verhalten, krankhaft seelischen Störungen. Das sei auf Drogenkonsum zurückzuführen, heißt es weiter darin.

Wie in der Verhandlung bekannt wird, hat der Angeklagte mit 13 Jahren erstmals zu Drogen gegriffen. Aufgrund dessen sei der 32-Jährige schon mehrfach in entsprechenden Kliniken in Behandlung gewesen. Doch bei dieser Verhandlung ist von Schuldunfähigkeit keine Rede mehr, im Gegenteil. Ein neueres Gutachten diagnostizierte volle Schuldfähigkeit.

„Sie stehen unter Bewährung“, mahnt der Staatsanwalt, denn in einem weiteren Verfahren 2019 – ebenfalls unter Klaus Hüttermann, damals am Landgericht in Stendal – wurde der Altmärker wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt. Seine Bewährung ist damit noch aktuell. Zu seiner Bewährungshelferin hat er den Kontakt abgebrochen, genauso wie zur Sucht- und Drogenberatung.

In der Verhandlung wird außerdem klar, dass er auch in seiner Wohnung für Ärger sorgt. Sein Vermieter hat ihm bereits gekündigt. Er soll Möbel aus dem Fenster geschmissen und nachts Lärm gemacht haben. Die Polizei war daher Dauergast. Umso mehr Vorwürfe Richter und Staatsanwaltschaft zusammentragen, umso dünner wird das Eis für den jungen Mann.

Seine Eltern, die als Zeugen aussagen sollten, machen von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. „Wir sind nervlich am Ende“, sagt die Mutter.

Die Staatsanwaltschaft hat genug gehört: „Das ist Psychoterror“. Das Tyrannisieren seiner Familie und Mitbewohner müsse aufhören. Gerade aber die Gleichgültigkeit ärgert den Staatsanwalt. Die Forderung im Plädoyer: sieben Monate Freiheitsstrafe. Dem schließt sich das Schöffengericht an, auch und gerade, weil der Angeklagte die Bewährung ignorierte. „Wir hatten Sie aufgefordert, Ihr Leben nicht zu versauen“, erinnerte Hüttermann: „Hier ist die Grenze überschritten.“

„Wann muss ich rein?“, will der vom Urteil unberührte 32-Jährige wissen. „Wenn die Staatsanwaltschaft ein Zimmer gebucht hat“, antwortete der Richter abschließend.