Harmonium Der hölzerne Patient
Das Harmonium des Industriemuseums wird von Restaurator Matthias Müller aufgearbeitet - originalgetreu und mit Akribie.
Schönebeck l Matthias Müller sitzt in einem Raum des Schönebecker Industriemuseums (Imuset) unter einer Lithografie des Calbenser Malers Hans Both. Menschen bei der Arbeit sind darauf zu erkennen. Auf einem Tisch vor sich hat Müller seine Werkzeuge ausgebreitet. Er hat im Moment keine Augen für das Bild, denn auch er hat einen Arbeitsauftrag.
Müller ist hauptberuflich Kantor und Organist. Bereits als junger Erwachsener begann er mit der Restaurierung von Harmonien. Dieser Tage kümmert er sich um ein Saugwindharmonium aus den 1920er Jahren, das dem Museum vor einigen Wochen geschenkt worden war. Die Einzelteile des Tasteninstruments sind geordnet über den Raum verstreut. Müller hält prüfend die Registermechanik in die Höhe.„Wussten Sie, dass ein Harmonium von der Klangerzeugung her ein naher Verwandter der Mundharmonika oder des Akkordeons ist? Nur etwas älter.“ Der musikalische Laie, der eine enge Verwandtschaft zwischen Orgel und Harmonium annimmt, wird vom Restaurator aufgeklärt.
Der wichtigste Unterschied: Bei einer Orgel werde der Klang durch Pfeifen, bei einem Harmonium durch Zungen erzeugt. Diese werden von Luft umströmt und in Schwingung versetzt (Infokasten). Das Resultat: ein weicher, orgelartiger Klang.
Seit 30 Jahren restauriert Müller Harmonien. Zunächst in Spanien und Italien, wo er sich auf Reisen damit Kost und Logis verdiente. Anekdoten hat er in dieser Zeit gesammelt. Und bis heute eine stolze Anzahl der Tasteninstrumente. „18 sind es, die deutschlandweit in Museen und andernorts ausgestellt sind“, erklärt Müller.
Im Museum repariert er die mechanischen Teile des Saugwindharmoniums, mustert kritisch jeden Kratzer auf dem Schellack-Überzug und fahndet in seinen Ersatzteilen nach den passenden Registerschildchen. „Viele Hobbybastler meinen neuerdings ein Harmonium restaurieren zu können. Aber fast nie mit den passenden Ersatzteilen. Die habe nur ich“, verkündet er stolz. Sein unermessliches „Ersatzteillager“ und die jahrelange Erfahrung mit der Restaurierung von Harmonien haben Müller europaweit den Ruf eines Experten eingebracht. Der hölzerne Patient, um den er sich aktuell kümmert, habe sicher schon bessere Tage gesehen, klanglich sei das Instrument aber gut. Jedes Stück habe zudem eine Geschichte, betont er. „Wenn nichts mehr zu machen ist, schlachte ich ein Harmonium aus oder werfe es aus dem Fenster“, sagt er mit nicht ganz ernstgemeinten Gesichtsausdruck. So richtig mag man es ihm auch nicht glauben, in Anbetracht der Sorgfalt, die er bei der Restaurierung walten lässt.
Zur Freude von Imuset-Chef Georg Plenikowski kehrt der Fachmann an seine temporäre Wirkungsstätte zurück. Denn das Instrument soll nach der Restaurierung nicht in der Ecke verstauben, es soll erklingen. In einem Konzert - mit Matthias Müller. Das ist der Restaurator dem Harmonium schuldig.
Konzert „Weihnachten um 1900“ mit Matthias Müller im Industriemuseum am 9. Dezember, 19 Uhr. Eintritt frei, Spenden erwünscht.