Zugpanne 75 Kinder sitzen fest

In einem defekten Zug des neuen Anbieters Abellio saßen 75 Schulkinder der Grundschule Giersleben bei Staßfurt fest.

Von Emily Engels 11.01.2019, 05:00

Staßfurt/Giersleben l „Wenn Sie mich an dem Tag des Vorfalls gesprochen hätten, dann wäre ich nicht so ruhig geblieben“, sagt ein Elternteil, das seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, der Volksstimme. Es folgt eine Beschreibung davon, was sich an dem Tag auf der Abellio-Zugfahrt zwischen Magdeburg und Aschersleben abgespielt haben muss.

Am 12. Dezember um 13.11 Uhr steigen drei Schulklassen der Grundschule Giersleben, insgesamt sind es etwa 75 Kinder, in einen Abellio-Zug am Magdeburger Hauptbahnhof ein. Sie wollen nach einem Theatervormittag in der Landeshauptstadt zusammen mit Lehrern und einigen Eltern zurück nach Hause fahren. Einige planen, in Güsten auszusteigen, andere wollen eine Haltestelle weiter bis nach Giersleben fahren.

Für eine gute halbe Stunde läuft alles nach Plan. Doch kurz hinter dem Bahnhof Staßfurt passiert es dann. „Der Zug blieb plötzlich stehen“, erzählt das Elternteil der Volksstimme.

Den Zug beschreibt das Elternteil als sehr voll. „Die Menschen standen eng an eng, zirka ein Viertel der Kinder hatten keinen Sitzplatz“, heißt es weiter von der Person, die selbst im Bereich der Tür stand – so voll sei der Zug gewesen. Damit jedes Kind mal sitzen konnte, habe man sich abgewechselt mit dem Stehen – und nach einiger Zeit den Fußboden umfunktioniert.

Obwohl Lüftung und Motor noch in Gang gewesen seien, sei es nach einiger Zeit unglaublich warm im Zug geworden, so die Person weiter. „Unsere Jacken konnten wir nicht ausziehen, es war ja kein Platz“, so die Quelle weiter.

Die Kinder seien mittlerweile ungeduldig geworden, wollten wissen, wann es endlich weitergeht. „Viele wollten einfach nach Hause“, erzählt eine mitreisende Person. Schüler sollen berichtet haben, dass einige Klassenkameraden weinten. Jede Minute habe man gehofft, dass es weitergeht, durch die fehlenden Durchsagen hätte man aber nicht gewusst, wann das der Fall sei. „Doch am allerschlimmsten fand ich es, dass die Toiletten außer Betrieb waren“, so das Elternteil. Ab und zu seien die Türen geöffnet worden. Da links und rechts jedoch Gleise waren, sei das jeweils nur kurz passiert.

Gut zwei Stunden mussten die 75 Kinder und die weiteren Fahrgäste ausharren, bis es dann doch weiterging. „Der Zug fuhr wieder in den Staßfurter Bahnhof ein und wir mussten in einen Ersatzzug einsteigen“, so das Elternteil.

Abellio-Pressesprecher Matthias Neumann bestätigt die Panne auf Anfrage der Volksstimme. „Ein Triebfahrzeugführer hörte kurz nach der Ausfahrt aus dem Bahnhof Staßfurt einen lauten Knall unter dem Fahrzeug und hielt es an“, beschreibt er den Vorfall. Bei einer augenscheinlichen Kontrolle habe der Fahrzeugführer jedoch keine Ursache feststellen können. Aus Sicherheitsgründen sei folglich der Fahrer von der Leitstelle angewiesen worden, am Ereignisort stehen zu bleiben. Neumann: „Unser Notfallmanager wurde umgehend zum Ort beordert. Parallel bereitete man vorsorglich das Abschleppen des Fahrzeuges mit einem anderen Zug vor.“

Bedingt durch den Anfahrtsweg des Notfallmanagers sei jedoch einige Zeit vergangen, bis er vor Ort war. Dort stellte er dann fest, dass es sich bei dem Defekt um eine Verschraubung an der Luftfederanlage handelte. Nach Schließen eines Absperrventiles habe man das Fahrzeug vor Ort soweit fahrbereit gemacht, dass es wieder zurück zum Bahnsteig fahren konnte.

Da das Fahrzeug bereits außerhalb des Bahnhofes und somit auf offener Strecke gestanden habe, sodass Fahrgäste nicht so ohne Weiteres den Zug verlassen konnten, habe man sich gegen eine Evakuierung der Fahrgäste entschieden. So hätte das Notfallmanagement von Abellio abgewogen, dass eine Evakuierung – die über ein weiteres Bahngleis und eine Böschung geführt hätte – mit einem zu hohen Risiko verbunden gewesen wäre.

„Dies wäre nur mit erheblichem technischen Aufwand und unter Einbeziehung von Feuerwehr oder Technischen Hilfswerkes möglich gewesen“, so Neumann. Damit wäre in etwa die gleiche Zeit verstrichen, wie sie letztendlich beim Einsatz des Notfallmanagers vergangen ist. „Zudem war es nicht gesichert, ob wir ad hoc einen adäquaten Busersatz für so viele Fahrgäste bekommen hätten. Deshalb wurden eingangs genannte Maßnahmen einer Evakuierung vorgezogen“, so Neumann weiter.

Bei dem Zug handele es sich um eines der seit 2018 neu eingesetzten Coradia-Lint-41-Modelle. Dass es zu einer Panne gekommen ist, sei laut Neumann einfach Pech.

„Die Züge werden regelmäßig durchgecheckt“, so der Sprecher. Ob die Toiletten tatsächlich nicht funktioniert haben und ob es keine Durchsagen gab, das könne man heute nicht mehr nachvollziehen.

Das Unternehmen habe jedoch schnell mitbekommen, dass sich mehrere Schulklassen in dem Zug befanden. Am 18. Dezember, also sechs Tage nach der Panne, habe Abellio sich bei der Grundschule Giersleben gemeldet und für den Vorfall entschuldigt. „Zugleich haben wir die Schule informiert, dass wir die Fahrtkosten erstatten“, so Neumann. Darüber hinaus werden man den Schülern eine weitere Fahrt mit Abellio anbieten. Auch andere Fahrgäste, die in dem Pannen-Zug mitgefahren sind, könnten sich bei Abellio wegen einer Rückerstattung melden, so Neumann weiter.

Eine der Klassenlehrerinnen, Uta Tischer, sagt zu der Panne: „Es war ein unerfreulicher Zwischenfall.“ Die schnelle Entschuldigung von Abellio und die Entschädigung halte sie jedoch für zufriedenstellend und angemessen.

Tom Bruchholz, Vorstandsmitglied vom Fahrgastverband Pro Bahn Mitteldeutschland ordnet die Panne als „eine Zumutung für die Bahngäste“ ein. „Vor allem, dass die Toiletten für eine solch lange Zeitspanne nicht funktioniert haben, ist aus unserer Sicht unhaltbar“, so Tom Bruchholz auf Anfrage der Volksstimme.

Wolfgang Ball, Sprecher der Nahverkehrsservice Sachsen-Anhalt GmbH (Nasa), kritisiert, dass Abellio den Vorfall nicht im Nachgang gemeldet hat. „Wir haben von dem Vorfall in diesem Umfang erst nach der Presseanfrage erfahren“, so Ball. Bei einem Zwischenfall von diesen Ausmaßen hätten sie sich schon eine detailliertere Information gewünscht.

Matthias Neumann sieht das anders. Er sagt auf Anfrage der Volksstimme, dass die Nasa operativ nichts mit dem Vorfall zu tun hatte, es habe ausgereicht, die Leitstelle von Abellio zu informieren.

Wolfgang Ball sagte der Volksstimme, dass die Nasa den Fall nochmal detailliert mit Abellio auswerten werde. Der Zug sei an dem Tag für fünf weitere Fahrten eingeplant gewesen, die alle ausgefallen seien. Für die Ausfälle werde Abellio sanktioniert – indem es für die ausgefallenen Fahrten kein Geld von der Nasa gebe.

Auch der Bundespolizei lagen keine Hinweise zu der Panne vor. Hätte das geschehen müssen? Auf Anfrage der Volksstimme sagt Sprecherin Chris Kupiers: „Da keine Straftat oder akute Gefahr von der Situation ausging, bestand jedoch auch keine Pflicht.“

Tom Buchholz von Pro Bahn Mitteldeutschland findet, dass der Vorfall ein weiteres Zeichen dafür ist, dass die Kapazitäten bei Bahnunternehmen sehr eng gestrickt seien. „Oft haben die Unternehmen keinerlei Reserven zur Verfügung“, so Bruchholz.

Deshalb sei es mittlerweile der Fall, dass der Fahrplan nur noch unter Idealbedingungen funktioniere. „Wenn das mal nicht der Fall ist, dann kommt es zu solchen Probleme“, so Bruchholz. Pro Bahn appelliere deshalb an die Bahnunternehmen, dass sie dringend mehr Reserven einplanen sollten, um Pannen in diesem Ausmaße zu vermeiden.

Abellio hat am 9. Dezember 2018 das so genannte Diesel-Netz zwischen Magdeburg, Altmark und Harz übernommen. Wegen Personalmangels fielen seither schon 697 Zugfahrten aus. Statt der Bahnen fuhren Busse. Die Nahverkehrsgesellschaft des Landes (Nasa) kassierte bereits mehr als 300.000 Euro Strafe vom Unternehmen. Bis heute fehlen 40 Lokführer.

Verkehrsminister Thomas Webel (CDU) sagte, Zugführermangel sei ein bundesweites Problem. „Abellio hätte aber die Nasa rechtzeitig und vollständig über die Probleme informieren müssen.“ Abellio sei eine Rüge ausgesprochen worden.