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Altenpflege Die tägliche Arbeit mit der Risikogruppe

Sie sind diejenigen, die mit Menschen der Corona-Hauptrisikogruppe zu tun haben: die Pflegekräfte in Heimen und ambulanten Diensten.

Von Heike Liensdorf 08.04.2020, 01:01

Schönebeck/Staßfurt l Wer im Alter Hilfe braucht, um seinen Alltag zu bewerkstelligen, erhält von ambulanten Pflegediensten Unterstützung oder zieht in ein Pflegeheim. Doch gerade ältere Menschen zählen zur Hauptrisikogruppe für eine Corona-Infektion, denn ihr Immunsystem ist geschwächt, dazu kommen Vorerkrankungen. Sie müssen sich besonders vor dem Virus schützen – und geschützt werden. Eine Herausforderung für die Pflegekräfte und enorme Einschnitte für die Senioren.

Vier Pflegeheime mit insgesamt 237 Plätzen und 269 Mitarbeitenden in Schönebeck/Bad Salzelmen und Wahlitz gehören zum Diakonieverein Heimverbund Burghof. Es gibt einen Besuchsstopp, sagt Vorsteherin Annett Lazay. Mit Ausnahmen – wenn Palliativbewohner im Sterben liegen, unter sehr strengen Hygieneauflagen. „Die Angehörigen haben viel Verständnis und tragen die Entscheidungen mit“, ist sie dankbar. Dadurch seien die Mitarbeiter als einzigen Ansprechpartner mehr gefordert. Jegliche Beschäftigung sei nur noch in Kleinstgruppen oder alleine im Zimmer möglich. „Das bedeutet für die Pflegekräfte einen erheblichen Kraftakt und Mehraufwand. Sie sind ohne Ende am Rennen, damit alle etwas an persönlicher Zuwendung abbekommen“, so Annett Lazay. Sie betont, dass die Pflegekräfte eine Berufsgruppe mit einer ganz besonderen Verantwortung seien.
Was noch nicht passiert ist, sei das Ausstatten aller Mitarbeiter mit kompletter Schutzkleidung. „Sie kriegen ja nichts. Das Gesundheitsamt hat uns gerade erst sechs Schutzkittel zukommen lassen. Aber ich schimpfe nicht. Es kann ja nur das verteilt werden, was da ist.“ Eine große Lieferung Behelfsmundschutze gab es kürzlich – selbstgenäht von Engagierten der Kirchengemeinden. „Das streichelt die Seele."

Ihr ist bewusst, dass es ein „Albtraum für alle wäre, die hier sind“, wenn es Infizierte gebe. „Wir haben für alle Häuser Pandemiepläne, hoffen aber, dass wir diese nicht brauchen“, sagt die Vorsteherin. Dann würde zum Beispiel das Personal aufgeteilt werden – eine Hälfte pflegt die Infizierten, die andere die anderen, bei klarer räumlicher Trennung. Vorsorglich seien Quarantäne-Räume geschaffen, damit es im Ernstfall schnell gehen kann, so Annett Lazay.
Doch schon so sei die Situation für die Bewohner schwer. Wenn schon keine Besuche möglich sind, so aber Telefonate. „Und es gibt auch Verabredungen: Dann ist der Senior auf dem Balkon, und der Angehörige steht darunter vor dem Haus. Sie können sich sehen, zuwinken, kurz austauschen. Das ist das, was wir in dieser Zeit machen können.“ Oder eben auch Spaziergänge zu zweit – Bewohner und Betreuer – im Burghof-Areal.

„Wir mussten alle Treffpunkte für Senioren schließen. Für viele von ihnen war dies der einzige, um der Vereinsamung entgegenzuwirken. Auch die Mieter der Wohnanlage nutzen die sozialen Angebote der stationären Einrichtung im Normalfall mit – dies ist nun ebenfalls nicht mehr möglich“, benennt Ines Grimm-Hübner, Geschäftsführerin des Kreisverbandes Salzland der Arbeiterwohlfahrt (Awo), eine Konsequenz, um die älteren Menschen zu schützen. Die Awo betreibt in Barby einen Seniorenwohnpark mit 45 vollstationären Plätzen sowie ein Kleinstobjekt in Schönebeck mit zehn Plätzen, vorrangig Kurzzeit- und Verhinderungspflege. Außerdem hat sie eine seniorengerechte Wohnanlage mit 20 Wohneinheiten in Barby, drei Seniorenbegegnungsstätten in Schönebeck, Calbe und Barby sowie ein Seniorenbüro in Schönebeck.

In den stationären Häusern gab es erst ein eingeschränktes, seit dem 23. März ein absolutes Besuchsverbot. „Die Einrichtungen sind verschlossen. Man muss klingeln, um sich anzumelden oder etwas abzugeben. Ich habe sehr frühzeitig auf diese Maßnahmen gesetzt, so schwer sie auch für die Bewohner als auch deren Angehörigen sind. Mir tut es in der Seele weh, wenn sie sich nicht treffen können, aber der Schutz geht vor“, betont Ines Grimm-Hübner.
Um die Gefühlslage zu besänftigen, helfe nur eines, ist sie sich bewusst: „Reden, reden und nochmals reden. Unsere soziale Betreuung arbeitet rund um die Uhr, um die Bewohner zu beschäftigen. Wir haben ein Projekt zwischen Kita Calbe und Bewohnern in Barby: Die Kinder malen für die Senioren. Das bringt ein wenig Abwechslung. Und wir versuchen zu zweit – ein Bewohner, ein Betreuer – spazieren zu gehen.“

Die Pflegekräfte werden über Schutzmaßnahmen immer wieder belehrt, so die Awo-Kreischefin. Man versuche, mit der persönlichen Schutzausrüstung maßvoll umzugehen. „In der Einrichtung, in der wir die Kurzzeitpflegen aufnehmen, wird dauerhaft mit Mundschutz gearbeitet. Aber in der vollstationären Einrichtung, wenn keine Krankheitssymptome sind, kein Kontakt nach außen bestanden hat, kann man diese noch weglassen.“

Um die Verantwortung weiß auch Annett Koschmieder von der Seniorenpflege Tannenhof in Calbe. 50 Mitarbeiter würden sich um ältere Menschen in altersgerechten Wohnen (33 Senioren), Tagespflege (12 Plätze, aktuell nur Notbetreuung von sieben Senioren), ambulanten Dienst (100 bis 150 Senioren) und Pflegeheim (37 Betten) kümmern. „Uns ist bewusst, dass wir jetzt besonders aufpassen müssen. Im Heim sind die Kontakte schon reduziert. In der häuslichen Pflege ist leider nicht bei allen zu Betreuenden die Einsicht da“, so die Erfahrung der Leiterin. Es sei schon eine gewisse Spannung zu spüren, denn keine Pflegekraft möchte Schuld sein, wenn sich jemand infiziere.

Schutzkleidung könnte helfen. Doch davon gebe es nicht genug, das Tannenhof-Team zehre noch von Restbeständen. Kürzlich habe es eine Lieferung vom Gesundheitsamt gegeben, erzählt Annett Koschmieder: je 400 Schutzmasken und 500 Milliliter Händedesinfektion für den ambulanten und den stationären Bereich. „Wir haben uns darüber riesig gefreut, denn bei normalen Lieferanten besteht keine Chance.“ Eine Mitarbeiterin, die gern näht, fertige Behelfsmundschutze. Man wisse zwar, dass diese nicht den kompletten Schutz bieten, aber ein bisschen schon. Die Mitarbeiter achten darauf, die Hygieneregeln einzuhalten. Abstand – „Ist in der Pflege nicht so einfach.“ Desinfektion – „Solange das Vorhandene reicht.“ Handschuhe und Schutzmasken – „Noch nicht, da noch kein Mitarbeiter oder Senior infiziert ist. Natürlich werden Handschuhe getragen, wo sie vorgeschrieben sind.“

Eine harte Situation, vor allem für die Psyche, weiß die Tannenhof-Betreiberin. Den älteren Menschen fehlen die Besuche. Sie könnten aber telefonieren, es kann etwas für die Senioren abgegeben werden oder man könne einander zuwinken, wenn der eine am Zimmerfenster und der andere im Garten sei. „Wir haben auch die Personalverteilung geändert, jetzt sind mehr Kräfte für die Betreuung da. Aber uns ist klar: Das ersetzt nicht die Familie.“

Viele verschlossene Türen auch bei der Volkssolidarität. „Unsere Service-, Beratungs- und Kommunikationszentren/Begegnungsstätten sind alle zu. Aber unsere Mitarbeiter halten telefonischen Kontakt zu unseren Senioren, bieten Hilfe und Unterstützung insbesondere für Einkäufe an“, teilt Belinda Biging, Leiterin des Regionalverbandes Elbe-Saale, mit. Das Team der Sozialstation Schönebeck/Anhalt-Zerbst mit 70 Mitarbeitern betreut etwa 300 Patienten. Sie seien über die Hygienevorschriften informiert, ausgerüstet mit Desinfektion, Mundschutz und bei Bedarf Schutzkleidung. „Wir schützen zu Betreuende unter anderem auch dadurch, dass sie Informationen zu Hygiene von uns erhalten und nicht mehr alle Leistungen durch uns erbracht werden, wenn Angehörige im Haushalt diese jetzt übernehmen können.“ Die Tagespflege musste im Zuge der Corona-Krise zum 23. März schließen. „Das war nicht sofort möglich. Eine Notbetreuung musste zunächst noch erfolgen. Die frei gewordenen Mitarbeiter sind im ambulanten Dienst zur Unterstützung mit eingesetzt“, so Belinda Biging. „Wir motivieren unsere Pflegekräfte täglich durchzuhalten und danken für ihr Engagement in dieser Zeit.“

Die Corona-Pandemie ist für die gesamte Gesellschaft eine besondere Herausforderung – insbesondere auch für die Einrichtungen der Altenpflege, betont Elke Bartholomes, Geschäftsführerin des Kreisverbandes Staßfurt-Aschersleben des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Er ist in Hecklingen Träger eines Altenpflegeheims mit einer Kapazität von 102 Betten und eines ambulanten Pflegedienstes, der etwa 120 Senioren betreut. 71 Mitarbeiter übernehmen die Pflege und Betreuung in den beiden Bereichen. Dazu kommen Mitarbeiter in Verwaltung, Küche, Wäscherei und der Hausmeister. „Unsere Pflegefachkräfte leisten tagtäglich wertvolle Arbeit und richten sich nach höchsten Hygienestandards – auch schon vor der Corona-Pandemie“, teilt sie mit. Den Besuch der Angehörigen könnten die Mitarbeitenden sicher nicht ersetzen, sie versuchen aber, so die Geschäftsführerin, die Abwesenheit der Lieben so gut es geht zu kompensieren.

Kathrin Ebeling und ihr „Sonnenblume“-Team aus 45 Mitarbeitern bieten in den Altkreisen Schönebeck und Staßfurt ihre Dienste an. In Schönebeck gibt es ein Pflegeheim, in Großmühlingen einen Pflegewohnhof mit je 16 Bewohner. Ambulant versorgt werden 30 ältere Menschen im Raum Löderburg, 40 in Großmühlingen und 20 in Schönebeck. Ob Krankenschwestern oder Pflegekräfte – dieser Beruf hat meist nur mit Risikogruppen zu tun und ist eher eine Berufung, ob mit oder ohne Corona, steht für Kathrin Ebeling fest. Notwendige Schutzausrüstung habe sie noch für ihre Mitarbeiter, aber dennoch sei eine Bestellung abgegeben – für den Ernstfall. Um das Besuchsverbot in den Heimen zu unterstreichen, seien die Haupttüren verschlossen. Auf dem Hof können die Bewohner ihre Runden mit oder ohne Betreuer drehen, Angehörige können mit dem nötigen Abstand an die Hoftür für ein kurzes Sehen oder Gespräch kommen. Auch bei der ambulanten Pflege rate man zu wenig oder gar keinen Besuch. Vor jedem Hausbesuch werden die Hände desinfiziert, Handschuhe – „Tragen wir schon immer“ – und Mundschutz getragen, wenn möglich Abstand gehalten. Für Kathrin Ebeling steht fest: „Viren hat es schon immer gegeben. Und die älteren Menschen waren auch schon immer Risikogruppe.“

Auch Ramona Babock, die in Eggersdorf den Pflegedienst Lebensgeister bietet, hat keine Angst. „Im Februar habe ich schon angefangen, ausreichend Desinfektionsmittel, Handschuhe und Masken zu besorgen“, erzählt sie. Sie aktiviere alle, die sie kennt und die helfen könnten. Ihr Team aus 19 Mitarbeitern kümmert sich aktuell um 85 zu Betreuende in der Häuslichkeit. Die Tagespflege, die auf Landesanordnung Ende März schließen musste, hat eine Kapazität von 15 Plätzen. Diese Senioren werden nun, wenn Angehörige es nicht doch selbst übernehmen können, ambulant mit versorgt. Und für Ramona Babock steht auch fest: „Desinfektionsmittel, Handschuhe und Mundschutz müssen sein, ebenso das Halten von Abstand. Wir haben eine hohe Versorgungspflicht.“ Und Desinfektion steht nicht nur vor und nach den Hausbesuchen oben an, sondern auch, wer ins Dienstgebäude kommt. „Die Gefahr besteht ja immer, jeder kann es mitbringen“, so die Pflegedienst-Chefin.

"Wir wissen um unsere Verantwortung“, teilt Dominik Scholz, Einrichtungsleiter des Caritas Altenpflegezentrums St. Johannes in Staßfurt, mit. Die stationäre Pflege hat 118 Pflegeplätze, es gibt 20 altengerechte Wohnungen. Um die älteren Menschen kümmern sich 83 Mitarbeiter. Desinfektion sowie Einhalten der Hygienestandards seien das A und O. Aber dies entspreche auch dem Alltag im Pflegeprozess, so Dominik Scholz. Weitere Vorsichtsmaßnahmen seien derzeit das Besuchsverbot, die Mundschutzpflicht für die Mitarbeiter sowie die gegenseitige Symptombeobachtung. Der begleitende Dienst sei nun besonders gefragt, um die Situation für die Senioren angenehmer zu gestalten. Er bietet Einzelbetreuung an wie das Briefeschreiben und Telefonateführen. Zudem können sich die Bewohner auch weiterhin im Außengelände bewegen.