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So einfach wie in Filmen ist das nicht: Anni Becker weiß, wie man mit Waffen richtig umgeht "Am Wichtigsten ist es, dass man das Ding nicht wie eine Puderdose hält"

Von Katharina Hofmann 15.09.2012, 03:14

Seit zwei Wochen hat Schönebeck jetzt einen neuen Schützenkönig. Und der ist erstmals eine Frau. Wie es dazu kam - und was Königin Anni I. sonst noch macht.

Schönebeck l Das gab\'s noch nie - jedenfalls nicht in Schönebeck: Seit dem 1. September wird der Schützenverein Hubertus 1990 e.V. von einer Frau regiert, Königin Anni I. Ein absolutes Novum für die Stadt. Und alles fing mit der Frage an: Willst du nicht mal mitkommen, Schatz?

"Vor fünf Jahren hat mich mein Lebensgefährte gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mal das Schießen auszuprobieren", erzählt Schützenkönigin Anni Becker. Warum nicht, dachte sie sich damals. So schwer kann das ja nicht sein, in Filmen sieht es ja auch immer so lässig aus. Und Filme haben die Magdeburgerin und ihr Lebensgefährte Guido Lenz eine ganze Menge in ihrem Wohnzimmerregal: Neben Klassikern wie "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" und romantischen Filmen wie "Chocolat" finden sich dort auch eine Reihe an Thrillern und Action-Streifen. "Mal eben die Waffe abfeuern, lässig aus dem Handgelenk - so funktioniert das in der Realität nicht", sagt die Schützenkönigin. Und sie weiß, wovon sie spricht.

"Das erste Mal an der Pistole war für mich ziemlich frustrierend. Ich habe nichts getroffen", erinnert sie sich. Und fügt lachend hinzu: "Ich habe vielleicht zwei- oder dreimal die Scheibe erwischt, mit dem Rest habe ich gnadenlos die Regenwürmer erschreckt." Während die 33-Jährige erzählt, sitzt sie auf ihrem Sofa und krault ihren getigerten Kater am Kinn. Die gelernte Krankenschwester hat in diesem Jahr ihr Psychologie-Studium abgeschlossen. Ab Anfang nächster Woche tritt sie in Schönebeck einen Job als Diplom-Psychologin an.

"Ich war die Zweite, die geschossen hat. Dass ich gewinne, damit hatte ich nicht gerechnet."

Aufgeben? Das kommt für Anni nicht infrage. Auch nicht beim Schießen, selbst wenn ihr erstes Training an der Waffe frustrierend war. "Ich dachte mir: Das muss ich doch auch können! Mein Freund hat mir dann geholfen, dass ich mit meinen Fingern besser klarkomme. Ich hatte nämlich nur einen Abzugsfehler." Den abzutrainieren hat einige Monate gedauert. Doch die 33-Jährige ist drangeblieben. "Ich habe mich hochgearbeitet und in diesem Jahr im Kaliber 9 Millimeter den dritten Platz bei den Landesmeisterschaften belegt." Auch dort musste sie sich behaupten. Denn bei einem Wettkampf mit Großkaliberwaffen wie Pistole und Revolver wird in der Wertung nicht zwischen Männern und Frauen getrennt.

Genauso, wie beim Königsschießen. Dort musste Anni gegen rund 30 weitere Schützen antreten - darunter nur zwei Frauen. "Man schießt mit einem klassischen, alten Gewehr, in diesem Fall war es ein K98. Und jeder, der aus dem Verein antreten möchte, hat nur einen einzigen Schuss", erklärt die 33-Jährige. Dass sie am Ende zur Königin gekürt wurde, war für sie eine große Überraschung. "Ich war die Zweite, die geschossen hat. Nach mir kamen noch ganz viele. Dass ich gewinne, damit hatte ich nicht gerechnet." Blöde Sprüche, dass eine Frau die beste Schützin war, gab es nicht. Im Gegenteil: "Die Männer haben sich wirklich gefreut", erzählt Anni. Vor gut drei Monaten ist sie mit ihrem Lebensgefährten von Bayern wieder zurück nach Magdeburg gezogen. Eineinhalb Jahre lebten die beiden aus beruflichen Gründen im Freistaat. Die Trainingsmöglichkeiten dort waren allerdings schwierig - vor allem mit dem Gewehr. Umso glücklicher ist Anni, jetzt den Titel der Schützenkönigin geholt zu haben. "Damit bleibt\'s in der Familie", sagt sie augenzwinkernd - ihr Freund konnte den Titel nämlich bereits 2008 ergattern. Ein Paar, bei dem beide einmal Schützenkönig waren - auch das hat es in Schönebeck noch nicht gegeben.

Respekt vor der Pistole, den hat Anni. Doch Angst vor der Waffe hatte sie nie. Muss man auch nicht, sagt die Magdeburgerin. "Es ist zwar eine Waffe, doch ich bin der Schütze. Ich bin dafür verantwortlich, was mit dieser Waffe passiert. Sie tut nichts von sich, ich bin diejenige mit dem Willen. Die Kontrolle bleibt immer beim Schützen." Sich am Schießstand abzureagieren, Aggressionen raus zu lassen - das funktioniert nicht. "Es gibt immer wieder Leute, die das behaupten. Doch wenn man unkonzentriert und abgelenkt ist, trifft man nicht mehr", erklärt Anni. "Man braucht Konzentration, muss das Ziel fokussieren. Für mich ist das die beste Art, abzuschalten." Lächelnd fügt sie hinzu: "Es ist mein persönliches Yoga."

Mit Joggen oder Fitnessstudio kann sich die Diplom-Psychologin nicht so richtig anfreunden. "Ich habe es versucht - keine Chance." Gemeinsam mit ihrem Freund trainiert sie zweimal pro Woche am Schießstand. Da bleibt eigentlich genug Zeit für weitere Hobbys. "Die fallen allerdings nicht so spannend aus", sagt Anni. "Ich bin leidenschaftliche Köchin und ich nähe unheimlich gerne." An der Nähmaschine zaubert sie kleine Täschchen und Dekoration für die Wohnung. Hübsche Dinge eben.

Darauf legt sie auch beim Schießen Wert: Ihre Pistole hat ein weibliches Design, sogar wechselbare Griffschalen. Wie bei einem Handy. "Ich bin ein Mädchen, eine Waffe muss schön aussehen", sagt sie. Gelagert wird die Pistole in einem abgeschlossenen Waffenschrank. "Wir achten sehr auf Sicherheit", betont Lebensgefährte Guido. "Die Schränke haben ganz spezielle Abnahmen, sie müssen einer hohen Sicherheitsklasse entsprechen. Munition und Waffen werden immer getrennt aufbewahrt, auch beim Transport."

"Mir ist es ein Anliegen, dass ich meine Verein animiere, sportlich aktiver zu werden."

Ihre Aufgabe als Schützenkönigin nimmt Anni ernst. "Mir ist es ein Anliegen, dass ich meinen Verein animiere, sportlich aktiver zu werden, an Wettkämpfen teilzunehmen. Das macht einfach Spaß." Für sich persönlich hat sie noch ein weiteres großes Ziel: einmal bei den Deutschen Meisterschaften anzutreten - und dann natürlich auch gut abzuschneiden. Um sich dafür zu qualifizieren, muss sie bei den Landesmeisterschaften eine bestimmte Anzahl an Ringen treffen. Im letzten Jahr waren das 380 von 400 möglichen Ringen - Anni traf 374. Für nächstes Jahr ist sie optimistisch: "Ich bin sehr ehrgeizig und will immer besser werden."

Von ihrer Unsicherheit am ersten Tag auf dem Schießstand ist sie inzwischen weit entfernt. Einen Rat, den ihr Freund ihr damals mitgegeben hat, hat sie allerdings bis heute nicht vergessen. "Er sagte: Das Wichtigste, was du machen musst, ist das Ding nicht wie eine Puderdose zu halten." Das hat gewirkt: Ihr Ziel hat Anni seitdem nicht mehr verfehlt.