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Berufsjahre Ingenieur toppt Seelsorger

Mühlenbein war Pfarrer im Dienst von Fürst Lebrecht von Anhalt-Köthen. Sein Nachkomme aus Gnadau toppt ihn in Sachen Arbeitszeit.

Von Thomas Linßner 16.05.2018, 01:01

Gnadau l „Man muss da genau aufpassen, wegen der Schaltjahre und damit auch der Schalttage“, hebt der Mathematik-affine Hans-Jürgen Mühlenbein den Finger. Vor ihm liegt ein A4-Blatt, auf dem er fein säuberlich seine und die Arbeitstage des Urahn aufgelistet hat. „Denn fügten wir nicht alle vier Jahre einen Schalttag ein, würde sich unsere Zeitrechnung um fast sechs Stunden pro Jahr, also um etwa einen Tag in vier Jahren, von den tatsächlichen Gegebenheiten entfernen“, erklärt er. Die durch die Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen definierten Jahreszeiten würden mit der Zeit nicht mehr auf die selben Kalendertage fallen. Und dann bekäme man ja nicht genau heraus, wie das war, mit Urahns Arbeitstagen.

Alles klar? Alles klar!
Jedenfalls hatte der Gnadauer am 7. Mai 2018 Johann Karl Wilhelm getoppt, der bis zu seinem seligen Ende als Pfarrer diente.

Nach dem Studium war das Eisenhüttenwerk Thale die erste Arbeitsstelle des diplomierten Ingenieurs für Wärmetechnik aus Gnadau. Es folgten weitere Anstellungen in Blankenburg (Harz) und Berlin. 1984 wurde Mühlenbein zum Dozenten für Maschinenbau und Elektrotechnik berufen, machte in dieser Branche nach der Wende in Stadthagen (Niedersachsen) weiter. Und gründete im Nebenerwerb ein Ingenieurbüro, dessen Existenz bei der zuvor erwähnten Zahlenspielerei einen gewichtigen Anteil haben sollte. Denn noch heute, mit 76 Jahren, ist Hans-Jürgen Mühlenbein in den Projektierungsbereichen Heizung, Gas und Wasser unterwegs. Überwiegend erstellt er Begutachtungen von Planungen. Ein Job, bei dem man mobil sein muss und oft in den Hotels der Republik übernachtet.

Weil der Gnadauer auch für die Vermeidung von Legionellen im Trinkwasser zuständig ist, hat er bei „Außeneinsätzen“ ein elektronisches Messgerät am Mann, mit dem die Vor- und Rücklauftemperatur bestimmt werden kann. „Ich erwische mich auch in Hotels dabei, dass ich mal gucke, ob das Wasser die richtige Temperatur hat“, grinst der 76-Jährige. Denn die bitterbösen Keime sind nur im Temperaturbereich von 5 bis 55 Grad lebensfähig. Das Wasser muss also heißer sein.

Eine der interessantesten und anspruchsvollsten Aufgaben führte Mühlenbein 2010 in das Emirat Katar an der Ostküste der arabischen Halbinsel am Persischen Golf. Wenn bei uns Gebäude per Heizung erwärmt werden, galt dort genau das Gegenteil. In dem Wüstenstaat wurde eine zentrale Kühlanlage gebraucht. „Dort haben wir 87 Tage am Stück gearbeitet und in Containern gewohnt“, erzählt der Ingenieur, der seit 1996 wieder in Gnadau lebt und in der Villa seiner Vorfahren wohnt. „Eine Herausforderung war, dass die in Katar alle nur englisch sprachen und ich nur wenig verstand“, erinnert er sich. Aus diesem Grund wurde ein „Privat-Dolmetscher“ eingestellt. Das war Sohn Carsten, dessen Hauptaufgabe die Kommunikation war.

Doch noch einmal zurück zum Ausgangspunkt der Geschichte. Wir erinnern uns: Pfarrer Karl arbeitete so lange, bis er von seinem Chef im Himmel abberufen wurde. Das war dessen Bruder Heinrich Mühlenbein (1764-1845) nicht vergönnt. Der war Leibarzt des Köthener Fürsten und galt als Mitbegründer der Homöopathie. Sein Konterfei in Öl hängt im Braunschweigischen Landesmuseum. „Wir hatten davon gehört und waren mal neugierig“, erzählt der Gnadauer. Zusammen mit Sohn Carsten fanden sie das Bild auch, das in einer Dauerausstellung gezeigt wird. Nur ließ sich Carsten in jugendlicher Unbefangenheit zu einem fatalen Jux-Satz hinreißen: „Den nehmen wir mit! Das ist schließlich unser Vorfahr.“ Die beiden Besucher bemerkten nicht, dass diese Worte einer Museumsaufsicht ans Ohr drangen, die wie elektrisiert vom Stuhl aufsprang, als sei die Ohlsenbande im Anmarsch. „Ihre Ausweise bitte“, herrschte die Dame die beiden Gnadauer resolut an. Doch bei Feststellung der Personalien entspannte sich die Situation schnell: Zwei leibhaftige Mühlenbeins vor Urahns Bild gleichen Namens aus dem 19. Jahrhundert. „Wir durften das Ölgemälde sogar abfotografieren“, deutet der Gnadauer Nachkomme auf ein kleines Repro auf seinem Schreibtisch.

Und er will noch ein bisschen weitermachen, vielleicht ein paar hundert Tage.