Einen Tag als ... Bestattung in Schönebeck: Herzlichkeit statt Tränen
Die Berufswelt ist vielfältig. Was verbirgt sich hinter welcher Tätigkeit? Volksstimme-Redakteure schnuppern in der Sommerserie „Einen Tag als ...“ in so manch interessanten Beruf hinein. Heute verbringt Victoria Junge einen Tag beim Bestattungsinstitut Ingolf Heiduk.

Schönebeck - Eine 19-jährige Volksstimme-Praktikantin verbringt einen Tag freiwillig beim Bestatter – und sie ist auch noch begeistert davon. Ich weiß, diesen Satz hört man wirklich nicht alle Tage, aber er stimmt.
Als ich zunächst den Arbeitstag – es ist ein extrem heißer Freitag mit Temperaturen über 30 Grad Celsius – um 8 Uhr antrete, bin ich angespannt. Natürlich, immerhin ist der Tod ein ernstes Thema. „Hey, ich bin Chris. Um 9 Uhr ist gleich ’ne Beerdigung auf dem Westfriedhof. Willst du da gleich mitkommen?“ Jetzt bin ich überrascht. Ganz anders als sich die meisten Menschen einen Bestatter vorstellen würden, begrüßt mich Chris Lorenz, fachgeprüfter Bestatter und ausgebildeter Kremationstechniker, beim Bestattungsinstitut Ingolf Heiduk freundlich und gelassen. „Wir sind im Unternehmen alle per ’Du’“, erklärt er, „Ich glaube, in so einem Beruf muss man auch locker sein, ansonsten hat man gar keine Freude an seinem Beruf mehr.“
Erste Eindrücke bei einer Beerdigung
Freitags und sonnabends sind Beerdigungstage, klärt mich Chris auf als wir im Bestattungskraftfahrzeug – im Volksmund besser bekannt als Leichenwagen – zum Schönebecker Westfriedhof fahren. Zugegeben, ein solches Fahrzeug hat mich schon von klein auf fasziniert, und so finde ich es umso spannender, dass ich tatsächlich nun die Gelegenheit habe, darin zu sitzen. Als wir ankommen, stehen schon die Landschaftsgärtner, die für die städtischen Friedhöfe verantwortlich sind, vor der Kapelle. In der Kapelle wird die Urne mit allen vom Floristen gelieferten Gestecken hergerichtet und ein Foto gemacht. „Das Bild kommt mit in eine Mappe, in der weitere Bestattungsinformation zum jeweiligen Trauerfall und Kondolenzkarten von der Beerdigung drinstehen. Die Mappe wird schließlich nach der Beerdigung den Angehörigen mit dem Inhalt übergeben“, erläutert Chris Lorenz.
Anschließend ist es so weit, und die Trauergäste treffen um 9 Uhr zur Beerdigung ein. Ich stehe neben dem Kondolenzbuch und blicke so in all die traurigen Gesichter, die an diesem Tag einen geliebten Verwandten, Freund und Arbeitskollegen zu seiner letzten Ruhestätte begleiten. Als der Trauerzug an der Grabstelle angelangt und der Trauerredner anfängt über das Leben des Verstorbenen zu berichten, merke ich an mir, wie hart die Arbeit als Bestatter ist und die Trauerfälle immer eine psychische Belastung bedeuten, immerhin sind auch Bestatter Menschen mit Emotionen.
Doch wie geht Chris, der tagtäglich mit dem Schmerz des Loslassens und des Vermissens in Berührung kommt, mit dieser Hürde um? „Mein erster Fall war natürlich noch schwierig, aber es ist nun mal auch ein Beruf. Wichtig ist, immer pietätvoll mit den Sterbefällen umzugehen. Bei Kindern oder auch, wenn ich die Verstorbenen beziehungsweise die Angehörigen selbst kenne, ist es natürlich noch hart für mich, aber man muss einen klaren Kopf behalten.“
Ähnlich sieht das Ganze auch seine Kollegin Doreen Freiheit, die im Büro des Bestattungsunternehmens für alles Organisatorische, wie Anzeigen, Blumengestecke und alle Termine verantwortlich ist. Sie ist praktisch die erste Anlaufstelle. „Ich denke, man muss für den Beruf gemacht sein. Vor allem Verständnis und Mitgefühl den Angehörigen zeigen, aber definitiv nicht Mitgefühl mit Mitleid verwechseln“, antwortet sie während der Mittagspause.
Mitfühlende Worte statt bloßes Abarbeiten
Und gerade als ich mein Gespräch mit ihr führe, klingelt auch schon das Telefon: ein neuer Trauerfall. Mit besonnener, ruhiger Stimme fragt Doreen Freiheit alle wichtigen Details ab: Um wen handelt es sich bei der verstorbenen Person? Wann und wo ist derjenige verstorben? Wann ist ein Termin zur Abklärung näherer Details möglich? Doch das Telefonat besteht nicht aus reinem Abfragen, Doreen Freiheit muss immer wieder ihr Gegenüber entspannen und geht gezielt auf das Leid und die Ängste der Angehörigen ein. „Für jeden Bestattungsauftrag sollte man sich Zeit nehmen, um alles in Ruhe zu erklären“, sagt sie.

Auf die neun Mitarbeiter im Bestattungsinstitut Ingolf Heiduk kommt täglich Einiges zu. Drei bis vier Bestattungen werden durchschnittlich an den beerdigungsreichsten Tagen, Freitag und Sonnabend, durchgeführt. 95 Prozent seien davon laut Inhaber Ingolf Heiduk Urnenbestattungen. Diese Zahl überrascht mich doch etwas, doch nach einigen Überlegungen ergibt es doch Sinn. „Seit DDR-Zeiten gibt es im Osten deutlich weniger religiöse Menschen als im Westen“, erklärt es mir der Inhaber. „Dadurch gab es schon damals hier mehr Einäscherungen, immerhin verbot die Kirche ja lange Zeit noch diesen Prozess“.
Die Kosten für eine Grabstelle seien jedoch explodiert im Vergleich zur Vergangenheit. Doch nicht nur die Preise haben sich gewandelt, auch die vielen Maßnahmen bei der Corona-Pandemie haben eine Herausforderung dargestellt. Bestatter Chris Lorenz weiß, dass diese hart war: „Angehörige konnten sich nicht von den Verstorbenen verabschieden und sie teilweise nicht ein letztes Mal sehen.“ Zusätzlich mussten auch die Bestatter auf sich aufpassen und zum Schutz vor einer Infektion Schutzkleidung tragen und Abstand zu den Trauernden halten. Eine Aufbahrung sei zu diesem Zeitpunkt auch auf keinen Fall möglich gewesen.

Apropos Aufbahrung: Eine hygienische Grundversorgung – praktisch der Fachbegriff für das Zurechtmachen der Verstorbenen – konnte ich heute leider nicht miterleben. Dafür geht es um 13 Uhr zu einer weiteren Beerdigung nach Eickendorf. Auf dem kleinen Dorffriedhof kommt eine intime Atmosphäre auf, die Trost spendet und Ruhe ausstrahlt. Dort treffen Chris und ich auf Catrin Fricke, Floristin vom Blumenhaus Hesse/Fricke in Schönebeck, die gerade die liebevoll hergerichteten Rosengestecke liefert und auf die Trauerrednerin Annika Dietrich, die hochkonzentriert auf einer Bank sitzt und zu leiser, im Hintergrund spielender Musik die Rede übt. Für jeden Text, so Annika Dietrich, braucht sie ungefähr fünf Stunden zum Schreiben. Das Besondere sei für sie, die Geschichten der Menschen so genau wie möglich wiederzugeben. Erst habe sie auf Hochzeiten angefangen, später sei sie zu Trauerreden gekommen. Wie erwartet findet die Beerdigung im kleineren Kreise statt und nimmt mich noch mehr mit als die erste, was unter anderem an der persönlicheren Rede von Annika Dietrich liegt.
Der letzte Abschnitt: Das Krematorium
„Zum Abschluss des Tages zeig ich dir noch das Krematorium“, verkündet Chris als wir im Bestattungskraftfahrzeug zurück nach Schönebeck fahren. Gut, jetzt bin ich nochmal aufgeregt. Wie heiß wird es wirklich sein? Was muss man im Krematorium beachten? All jene Fragen schwirren in meinem Kopf umher. Zunächst müssen wir aber die Särge in den Wagen transportieren. Dafür müssen alle metallenen Objekte – etwa Schrauben oder Henkel – entfernt werden, da diese nicht mit verbrannt werden können. Als wir beim Krematorium Schönebeck ankommen, staune ich. Irgendwie habe ich mir das Gebäude ganz anders vorgestellt, doch ein hochmodernes Haus im orangefarbenen Anstrich ist zu sehen. Davor Steffen Horn, Betriebsleiter des Krematoriums, der sofort mit anpackt und mir beim Verladen der Särge hilft.
Nachdem wir sie sicher zur Seite gestellt haben, nennt Steffen Horn einige technische Details zum Vorgang des Verbrennens und Daten zum Krematorium, während ich ihm aufmerksam lausche: „Der erste Ofen ist von 2008. 2014 haben wir dann einen zweiten bekommen. Zurzeit ist aber nur ein Ofen in drei Schichten in Betrieb, um so Gas einzusparen, immerhin haben wir einen sehr hohen Verbrauch.“ Mittlerweile nutze das Team auch Photovoltaik-Anlagen für die Kühlzellen und den sonstigen Stromverbrauch der Anlage. Doch das Krematorium geht nicht nur in Sachen Energie mit der Zeit. Steffen Horn erklärt, dass sie das gesamte Register digitalisieren wollen. Dann betreten wir die Ofenkammer. Gerade findet eine von den jährlich circa 4500 bis 5000 Einäscherungen statt. Jede davon dauert etwa eine Stunde. Der ohnehin schon heiße Tag wird noch heißer, als ich durch die Luke gucke und Überreste erkenne. „Du bist aber tough!“, lobt mich Steffen Horn, da ich den Anblick verkraften konnte.
Mein Tag endet gegen dreiviertel vier mit einer Einladung zu einer weiteren Führung durch das Krematorium und Chris, der mich mit dem Bestattungskraftfahrzeug lebendig vor meiner Haustür setzt. Schön zu sehen, dass man bei einem so todernsten Beruf trotzdem eine Menge Spaß haben kann.