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Corona-Demo Von Aufklärung und Verharmlosung

Jeden Montag demonstrieren sie in Schönebeck gegen Corona-Maßnahmen. Das Virus leugnen sie nicht, aber verharmlosen sie die Krankheit?

Von Paul Schulz 10.02.2021, 00:01

Schönebeck l „Sie wollen uns mundtot machen“, ruft Olaf Ziem in das Mikrofon – und das, obwohl er gerade sein Demonstrationsrecht und das Recht auf freie Meinungsäußerung vollkommen wahrnehmen kann. Der ehemalige AfD-Stadtrat und Oberbürgermeisterkandidat ist auf den jeden Montag in Schönebeck stattfindenden Demos gegen die Corona-Maßnahmen kein Unbekannter. Regelmäßig hält er als Moderator Redebeiträge – so auch diesen Montag auf dem Salzblumenplatz. Er wirft der Regierung Angst- und Panikmache vor, spricht angesichts der aktuellen Corona-Situation von einer „Pandemielüge“. „Wir lassen uns nicht länger verarschen“, ruft er ins Mikrofon. Und verkündet, dass er und weitere Beteiligte eine Petition ins Leben rufen wollen, um letztlich die Regierung mittels Volksentscheid abzusetzen. Dafür erntet er Jubelrufe von den rund 50 Demonstrationsteilnehmern.

Demo-Organisator Oliver Lange sagt indes, dass es ihm nicht primär um Politik geht, sondern um die Aufklärung der Bürger. „Wir wollen einen offenen und ehrlichen Dialog auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse“, sagt er. Lange findet, dass manchen Studien und Wissenschaftlern zu wenig Aufmerksamkeit in Politik und Medien in Bezug auf die Corona-Pandemie eingeräumt wird. Zudem halten er und seine Mitstreiter die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie für überzogen.

Und obgleich Ziem von einer „Pandemielüge“ spricht, betonen er und Lange, dass sie keine „Corona-Leugner“ sind. Jedoch verharmlost Ziem die Corona-Pandemie. Es sei nichts anderes, als eine etwas gefährlichere Grippe, sagt er. Bleibt die Frage, wie man „etwas gefährlicher“ definiert?

Fakt ist nämlich, dass die Sterblichkeitsrate bei Covid-Patienten in etwa drei bis fünf Mal so hoch ist wie bei der Grippe, das belegen unter anderem Untersuchungen der Saint-Louis-Universität in Missouri (USA) und der Universitätsklinik Dijon (Frankreich). In Deutschland sind laut dem Covid-19-Dashboard des Robert Koch-Instituts (RKI) 2,71 Prozent der Covid-Patienten an den Folgen der Krankheit gestorben. Bei einer schweren Grippewelle liegt die Sterblichkeitsrate bei 0,5 Prozent. Insgesamt stuft das RKI die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung durch das Coronavirus als „sehr hoch“ ein, genaueres lässt sich auf der Website des Instituts nachlesen.

Neben der Sterblichkeitsrate ist noch ein anderer Aspekt von Covid-19 riskanter als der einer Grippe: die Inkubationszeit. Das ist die Zeit zwischen der Infektion und den ersten Krankheitssymptomen. Bei Covid beträgt dieser Zeitraum zwei bis 14 Tage. Bei einer Grippe liegt die Inkubationszeit bei ein bis zwei Tagen. Das bedeutet, dass Menschen, die sich mit Corona infiziert haben, dies mitunter erst viel später anhand von Symptomen merken und während dieser Zeit das Virus weiter verbreiten.

Neben Ziem und Lange melden sich während der Demonstrationen auch andere Bürger zu Wort. Sie berichten von ihren Sorgen, Nöten und Erfahrungen rund um die Pandemie.

Es kam aber auch schon vor, dass sie davon berichten, wie sie gegen geltende Vorschriften verstoßen. So beispielsweise am 1. Februar. Eine Frau berichtet auf dem Schönebecker Marktplatz, wie sie mit ihren Enkeln und ihrer Tochter in den Harz gereist ist – zu diesem Zeitpunkt durften sich Bürger im Salzlandkreis aber eigentlich nur bei einem triftigen Grund mehr als 15 Kilometer von ihrem Wohnort entfernen. „Ich habe gegen das Gesetz gehandelt. Ich habe die 15 Kilometer überschritten. Ich hab es getan“, ruft die Frau ins Mikrofon und erntet Applaus und Zustimmung.

Solche Meinungskundgaben – beziehungsweise im speziellen Fall „Selbstanzeigen“ – sind durch die Versammlungsbehörde nicht zu beanstanden, stellt Kreissprecher Marko Jeschor klar. Kein Problem für die Veranstaltung also. Aber muss die Frau jetzt mit Konsequenzen rechnen? Trotz „Geständnis“ lautet die Antwort nur: vielleicht. „Die Prüfung und rechtliche Bewertung der Aussagen dauert an“, teilt Marko Jeschor mit.

Darüber, in wie weit sich die Bürger generell an die 15-Kilometer-Regel gehalten haben, kann der Kreis auch keine eindeutige Aussage treffen. „Eine konkrete Zahl von festgestellten Verstößen beziehungsweise übermittelten Anzeigen kann derzeit aus technischen Gründen nicht ausgewertet werden. Sie dürfte sich aber insgesamt im niedrigen zweistelligen Bereich bewegen“, schätzt der Kreissprecher.

Die 15-Kilometer-Regelung ist am Donnerstag, 4. Februar, aufgehoben worden, weil der Inzidenzwert im Kreis seit fünf Tagen unter der 200er-Marke lag.