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Coronavirus „Ein Pretziener, bitte“

Der Stopshop in Pretzien ist Tante-Emma-Laden, Café und Imbiss in einem. In Zeiten von Corona ändert sich der Alltag.

Von Jan Iven 29.03.2020, 01:00

Pretzien l Im Stopshop in Pretzien kennt man seine Stammkundschaft. „Eine Wurst im Brötchen?“, fragt Chefin Ina Piest eine neuankommende Kundin. „Nee, heute auf die Pappe. Ich hab es eilig“, antwortet die Frau. Sie arbeitet bei einem Pflegedienst und fährt von einem Patienten zum nächsten. Im Stopshop holt sie sich täglich ihr Mittagessen. „Das Laden ist überlebenswichtig für mich“, sagt sie und verabschiedet sich. Die Wurst isst sie unterwegs. Denn der Imbissbereich in dem Laden mit Stühlen und Tischen musste wegen der Corona-Pandemie geschlossen werden.

Für den Stopshop in Pretzien fällt damit das zweite wichtige Standbein weg. „Das macht etwa 50 Prozent von unserem Umsatz aus“, sagt Sebastian Piest, Sohn der Inhaberin, der ebenfalls im Familienbetrieb arbeitet. Der Shop verkauft als Tante-Emma-Laden nicht nur Lebensmittel, Drogerieartikel und sonstige Waren des täglichen Bedarfs. Mit dem Imbissbereich und dem improvisierten Freisitz auf der Terrasse ist der Laden quasi in Personalunion auch noch Dorfkneipe und Café in einem und eines der wenigen Angebote im Ort überhaupt. Mittags kamen sonst schon mal mehr als 20 Gäste zum Essen vorbei. Und abends sitzen die Leute bei einem Feierabendbier auf der Terrasse. „Hier treffen sich Emma und Lotte beim Einkaufen und bleiben dann auch noch für Kaffee und Kuchen“, sagt Ina Piest, den Laden an der August-Bebel-Straße. „Die Leute erzählen uns auch ihre Sorgen. In Pretzien geht man nicht zum Arzt, wenn man reden will, sondern kommt zu uns“, sagt sie.

Doch nun bringt Corona alles durcheinander. „Einige Kunden finden die ganze Aufregung übertrieben. Andere sind ziemlich deprimiert, weil sie ihre Enkel nicht mehr sehen können“, hat Ina Piest festgestellt. „Ein Kundin hat sogar gesagt, dass sie während der Corona-Krise am liebsten bei uns im Laden einziehen würde.“ Erstmals wird der Laden, der täglich geöffnet hat, über Mittags geschlossen. Es kommt ja sowieso keiner mehr zum Essen.

Die 55-jährige Chefin achtet derzeit in ihrem Laden besonders auf Hygiene. Am Türrahmen hängt eine Flasche Desinfektionsmittel, dass die Kunden benutzen sollen, bevor sie den Laden betreten. Ina Piest desinfiziert immer wieder den Tresen an der Kasse, um sich und ihre Kunden zu schützen. „Hamsterkäufe hatten wir aber noch nicht“, sagt sie. Nur beim Toilettenpapier, da waren zwei Stunden nach Lieferung schon sieben von neun Packungen verkauft. „So schnell konnte ich gar nicht auspacken“, sagt Ina Piest und lacht. Die Kunden kommen auch immer noch. Wenn schon nicht zum Essen, dann doch immerhin zum Einkaufen.

Kuchen und Brot liefert etwa die Bäckerei Schwarz aus Biere. Die normalen Brötchen werden im Stopshop aufgebacken und werden tatsächlich „Pretziener“ genannt, erzählt Sebastian Piest Und so bestellen die Pretziener in dem Laden tatsächlich: „Ein Pretziener, bitte“.

Seit 22 Jahren verkauft Familie Piest Lebensmittel in Pretzien. Anfangs in einem kleinen Laden, vor neun Jahren erfolgte der Umzug an die August-Bebel-Straße an den neuen Standort mit Imbiss. „Kurz nach dem Umzug ist mein Mann gestorben“, erzählt Ina Piest. Lungenkrebs. Inzwischen arbeiten auch der 37-jährige Sohn Sebastian und seine Ehefrau im Stopshop. Der Sohn ist eigentlich gelernter Logistiker. Keine schlechte Voraussetzung für einen Laden, möchte man meinen. Sebastian Piest winkt ab. „Das hat mir nicht viel genutzt. Und meinen jugendlichen Veränderungsdrang musste ich schnell ablegen, nachdem ich hier angefangen habe“, erzählt er. Computergestützte Bestellprogramme sind zwar nützlich, lohnen sich für so einen kleinen Laden aber nicht, wie er festgestellt hat.

Trotzdem macht sich Sebastian Piest Gedanken über das Angebot. „Man muss auch mal mit dem Sortiment spielen“, wie er es nennt. Neben Pfeffi und Apfelkorn steht dann schon mal ein Schnapps, den er direkt in Italien bestellt, weil er im deutschen Großhandel nicht zu kriegen ist. Sein neuestes Experiment: Ein Schnaps aus Berlin-Friedrichshain, der in Anlehnung an die US-amerikanischen Schwarzbrenner der 1920er Jahre in Einmachgläsern abgefüllt wird. „Das muss man den Leuten erst ein bisschen schmackhaft machen. Aber dann wird das auch gekauft“, sagt Sebastian Piest. Selbst wenn Pretzien nicht Berlin ist.

Getränke machen einen großen Teil des Umsatzes im Stopshop aus. Sebastian Piest liefert auch nach Hause. „Aber nur an Pretziener Stammkunden, die wir kennen“, sagt er. Die Ferienhäuser im Naherholungsgebiet beliefert er aus Prinzip nicht. Dort findet er sich nicht zurecht, und die Wegbeschreibungen seien in der Regel ziemlich abenteuerlich. Auch Feste und Veranstaltungen werden beliefert. Doch die werden im Moment alle abgesagt. Und das Feierabendbier trinken die Leute nun auch zu Hause.

„Wenn es so weitergeht, werden wir auch Hilfsgelder beantragen müssen“, sagt Sebastian Piest. Den beiden Verkäuferinnen mussten bereits die Stunden gekürzt werden. Ina Piest und ihr Sohn wollen sich gar nicht darüber nachdenken, ob sie den Laden vielleicht irgendwann schließen müssen. Sie müssen erst eine Weile überlegen, wann der Stopshop überhaupt das letzte Mal für einen ganzen Tag schlossen war. Selbst an den Weihnachtstagen halten sie den Laden zumindest für ein paar Stunden offen. Dann fält es Ina Piest ein. „Zum Ranieser Karneval hatten wir das letzte Mal geschlossen“, sagt sie. Auf die betrunkenen Narren, die aus Ranies wiederkommen, habe sie keine Lust.

Ansonsten sind sie im Stopshop immer für ihre Kunden da. Deswegen vertraut Ina Piest auch in der jetzigen Krise auf ihre Stammkundschaft. „Wir können bloß hoffen, dass es nicht so lange dauert“, sagt sie.