Ohne jegliche Werbung bekommt der Rosenburger Kulturverein die Mehrzweckhalle voll Da träumt so manch\' Veranstalter von: Verein organisiert ausverkauftes Oktoberfest
Der Rosenburger Kultur- und Carnevalsverein (RCV) hat einen Selbstläufer entwickelt: Zum Oktoberfest war die Mehrzweckhalle seit Wochen ausverkauft. Busseweise kamen die überwiegend älteren Semester von sonstwo.
GroßRosenburg l "Toll hier, toll, toll", schubst eine fidele Mittsiebzigerin mit der Schulter ihre Nachbarin an, als sich "Wirt" Michael Pietschker und "Kellner" Wolfgang Simon die Pointen zuspielen. Dabei klatscht die Dame aus Bernburg in die Hände, als stünde Hansi Hinterseer leibhaftig auf dem Parkett.
Die Mehrzweckhalle ist voll, rund 400 Damen und Herren schauen erwartungsvoll zur Bühne. Sie gehören mehrheitlich der Generation "Ü 65" an. Ein paar Jüngere bilden die Ausnahme. Dazu zählt mit 61 Lenzen Barbys Bürgermeister Jens Strube, der in dreiviertellanger Lederhose und Trachtenhemd so recht in die Szene passt.
Michael Pietschker, der Zampano des Geschehens, kündigt ihn als "richtigen Bürgermeister" an. Diese Hintersinnigkeit hat ihren Grund: Er selbst ist "kleiner Ortsbürgermeister" in der zwangsvereinigten Großgemeinde Barby. Das Lachen über diesen Gag kommt nur von der rechten Flanke, wo "zwei Tische" Rosenburger sitzen. Die meisten anderen verstehen ihn nicht, weil sie aus anderen "Kulturkreisen" stammen: Magdeburg, Bernburg, Burg, Schönebeck oder Nienburg. Insgesamt sind sie mit sechs Bussen angereist. Reisebüros hatten die Fahrt zum Rosenburger Oktoberfest angeboten, als würde es zur Münchner Wies\'n gehen.
"Das hier ist viel billiger und nicht so weit", hebt Bruno Gehrmann (72) aus Magdeburg den Finger. Er ist mit seiner Gattin schon zum dritten Mal in Groß Rosenburg. Wie auch die Bernburgerin Eva Fibrig (70), die die Organisationskraft des RCV beim vergangenen Frühlingsfest schätzen lernte.
" Der 13. Oktober war zu DDR-Zeiten ,Tag des Aktivisten\', und ich bin ja einer. Ach, wir sind ja heute auch unter lauter Aktivsten..."
Auf der Bühne sorgen die "Zerbster Blasmusikanten" für den rechten Sound. Dazwischen kalauern "Wirt Pietschker" und "Kellner Simon" professionell um die Wette. Beide sind Routiniers, die beim Rosenburger Fasching in der Bütt stehen. Ihre Dialoge sind auf den Altersdurchschnitt der Gäste zugeschnitten: "Herr Simon, was tragen Sie denn heute an der Brust? Tragen Sie doch lieber Bier", spielt der Wirt auf die vielen Orden seines Gegenübers an. "Ach was, Herr Pietschker. Man soll zeigen was man hat: Der 13. Oktober war zu DDR-Zeiten ¿Tag des Aktivisten\', und ich bin ja einer. Ach, wir sind ja heute auch unter lauter Aktivsten..." Diese Anspielung auf die vergangene Form der Massenehrung "Aktivist" sitzt. Der Saal applaudiert. Von nun an haben die beiden pittoresken Herren, die offensichtlich die selbe Konfektionsgröße und den selben Fitnesstrainer besitzen, leichtes Spiel.
Weil der Bieranstich auch in der Saaleaue zum Oktoberfest gehört, wird Bürgermeister Strube nach vorne gebeten. Der haut vier Mal zu, dann sitzt der Zapfhahn. "Wir hatten mal einen Bürgermeister, da hat der halbe Saal geschwommen", plaudert Pietschker aus dem Nähkästchen. Damit meint er seinen Vorgänger Hagen Meiling, der allerdings keine Karnevalsfrohnatur ist. Das Volksmusik-Phänomen nimmt seinen Lauf. Kaum haben die "Zerbster" angesetzt, schiebt "Horschte aus Tochheim" mit seiner Dame über das Parkett. Michael Pietschker bezeichnet ihn als "Inventar".
"Stimmt", sagt Horst Chodura, "es ist schon immer mein Ehrgeiz, den Tanz zu eröffnen." Der 73-Jährige ist "zum x-ten Mal" hier und will - so die Gesundheit es zulässt - auch zukünftig Primus sein.
Stört ihn die frühe Veranstaltungszeit nicht? Schließlich ist es gerade mal 15 Uhr und wenn das Sandmännchen kommt, ist Ritze in der Mehrzweckhalle. "Ach was, sonst kriege ich doch die letzte Fähre in Breitenhagen nicht", antwortet "Horschte". Vereinschef Michael Pietschker kennt den Biorhythmus seines Publikums. "Wir haben das mal abends gemacht, da kamen nur 150 Leute." Nun sind es 400, und die Kasse brummt.
"So denken auch viele Rosenburger, dass wir uns hier eine goldene Nase verdienen", winkt der 47-Jährige ab. Aber allein wegen der Betriebskosten des Vereinshauses - es sind 4000 Euro pro Jahr - sei man auf Einnahmen angewiesen. Vom Gewinn soll demnächst das Haus gedämmt werden.
Der RCV ist mit mehr als 30 Mitgliedern angetreten, die zapfen, kellnern, das Programm unterstützen und den Küchenbetrieb aufrecht halten. Nur die Blasmusikanten und das Verwandlungs-Duo aus Berlin bekommen Honorar.
Die Rosenburger Frühlings- und Oktoberfeste sind zum Selbstläufer geworden. "Wir haben in diesem Jahr überhaupt keine Werbung gemacht, weder per Plakat noch in der Zeitung", wischt sich Pietschker den Schweiß von der Stirn. Dennoch sei man ruck-zuck ausverkauft gewesen. Und für das kommende Jahr sähe es ähnlich aus.
Doch vor dem Erfolg stehe erstmal "viel Arbeit". "Ganz wichtig ist ein genauer Sitzplan. Da habe ich tagelang mit zu tun", gesteht Pietschker. Denn wenn um 13 Uhr die Halle öffnet, würden die Damen und Herren "ziemlich vital" um die besten Plätze "kämpfen". So aber regelt die Ordnung das Geschehen: Sie werden platziert.
Aber diesen Satz kennen die Besucher des Rosenburger Oktoberfestes ja auch aus den Aktivistenzeiten ...