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Leitstelle Ruhig und besonnen - in jeder Situation

Volksstimme-Mitarbeiter schnuppern für die Serie "Einen Tag als ..." in Berufe hinein. Heute: Disponent Kreiseinsatzleitstelle in Staßfurt.

Von Heike Liensdorf 28.06.2018, 03:03

Staßfurt l Wie erfahren Polizei und Rettungsdienst von einem Unfall? Woher weiß die Feuerwehr, wann es wo brennt? Wer sagt dem Jagdpächter, dass ein verendetes Wild von einer Straße geräumt werden muss?

Die Helfer sind schnell vor Ort – dank der Koordination der Leitstellen-Disponenten. Sie müssen immer den Überblick haben, in hitzigen Situationen einen kühlen Kopf bewahren. Denn manchmal kommen sekündlich Anrufe herein – und nicht selten geht es um Leben oder Tod.

Aus diesem Grund darf ich auch nicht in die Mitarbeiter-Rolle schlüpfen. Keinen Tag, keine Stunde, keine Sekunde. Es geht um zu viel – um Menschenleben, um Hab und Gut. Aber ich kann für einige Stunden an einem Mittwoch zugegen sein und bekomme so einen Einblick in die Arbeit.

Die Kreiseinsatzleitstelle in Staßfurt ist in der obersten Etage des Sparkassenschiffes untergebracht. Ein großer klimatisierter Raum mit sechs Arbeitsplätzen. Jeder Platz ist mit vier großen Monitoren ausgestattet, mit allen wichtigen Informationen für die tägliche Arbeit. Beim Blick darauf kommen meine Augen gar nicht zur Ruhe, überall Abkürzungen, Tabellen mit Telefonnummern, Tasten über Tasten. Ganz ruhig und besonnen wirken hingegen Daniel Schürmann, Wieland Kämpfer und Olaf Winkler. Sie haben an diesem Tag Spätdienst.

Ich nehme neben Daniel Schürmann Platz. Auf der Telefonanlage mit zwölf Notrufleitungen leuchtet eine Taste auf, er nimmt an. „Die Leitstelle, wie können wir helfen“, über seinen Kopfsprechhörer fragt er freundlich und ruhig, aber bestimmt alle nötigen Informationen ab. Aus dem Bereich Stadt Barby braucht jemand dringend ärztliche Hilfe. Er nimmt das Anliegen auf, legt auf, ruft den Arzt an, vermittelt.

Der Schönebecker, der im Stadtteil Felgeleben wohnt und diese Stadtteilwehr leitet, ist Leitstellen-Disponent mit Leib und Seele. 2008 bis 2017 im Harzkreis, seit gut einem Jahr in seiner Heimat, dem Salzlandkreis. Der heute 38-Jährige hat Dachdecker gelernt, wollte seinen Zivildienst beim Arbeiter-Samariter-Bund in Magdeburg ableisten. Durch einen Bekannten kam er zum dortigen Rettungszivildienst, machte seinen Rettungssanitäter. „Da habe ich gemerkt, das ist das, was ich machen möchte.“ Gesagt, getan: Neun Jahre fährt Daniel Schürmann Rettungsdienst. Dann ein Sportunfall. Seine Hand ist kaputt, er kann nicht richtig zufassen. Und er kann keinen Rettungsdienst mehr fahren. Zu der Zeit sucht die Leitstelle Harz Disponenten. Die Bedingungen – mindestens Rettungssanitäter und mindestens Feuerwehr-Gruppenführer – erfüllt er. Er bewirbt sich und wird genommen.

Ihm wird schnell bewusst: Das ist sein Traumberuf. Wenn da nicht die täglichen 120 Kilometer wären, um zur Arbeit zu kommen. Doch die nimmt er in Kauf. Ende 2016 bewirbt er sich auf eine ausgeschriebene Stelle bei der Einsatzleitstelle im Salzlandkreis. Nun fährt er nach Staßfurt zur Arbeit und nun ist wirklich alles perfekt, betont der Schönebecker. „Es gibt nur wenige Menschen, die ihren Traumberuf gefunden haben“, sagt er und zählt sich zu den Glücklichen. Auch, da die Familie seine(n) Beruf(ung) mitträgt.

„Heute ist es eigentlich bislang sehr ruhig ...“, sagt Daniel Schürmann und prompt leuchten mehrere Tasten auf der großen Telefonanlage, die an jedem Platz identisch ist, auf. Von einer Sekunde auf die nächste haben alle Mitarbeiter gut zu tun. Daniel Schürmann hat einen Telefondienstleister dran, der testet, ob er mit dem Notruf bei der richtigen Leitstelle landet. „Sie sind richtig, Groß Rosenburg gehört mit zu unserem Bereich“, kann Schürmann beruhigen und legt auf. Die anderen beiden Kollegen sind noch im Gespräch.

Was ist, wenn Ereignisse passieren, die mehr Koordination und damit mehr Personal, mehr Absprachen erfordern, frage ich ihn. „Mit dem Unterschreiben des Vertrages erklärt sich jeder bereit, bei Großschadenslagen auch außerhalb seiner eigentlichen Schicht zur Arbeit, um die anderen zu unterstützen.“ Das sei gar keine Frage, sondern für alle eine Selbstverständlichkeit, versichert Daniel Schürmann. „Dafür sind wir Leitstellen-Disponenten geworden.“ Für besondere Einsätze werde auch ein SAE – ein Stab außergewöhnliche Ereignisse – eingerichtet. Oder sogar ein Katastrophenschutzstab. „Den darf nur der Landrat ausrufen.“ Zuletzt passiert bei der Flut 2013.

Wieder leuchten Telefontasten auf: Ein älterer Herr ruft an. Daniel Schürmann muss etwas lauter sprechen, damit der Mann ihn versteht. „Wir schicken Hilfe vorbei“, sagt er und erzählt, dass die Ehefrau Kreislaufprobleme habe und hingefallen sei. Schon kommt der nächste Anruf rein ...

Die Monitore geben einen Überblick über – alles! Rettungswagen und -hubschrauber, Notärzte, Feuerwehren – wer ist wo wie lange im Einsatz. Alles ist penibel aufgelistet, um im Notfall schnell handeln oder koordinieren zu können. „Die Leitstelle in Staßfurt, das ist eine gute Lösung für den Salzlandkreis. Wir sind hier zentral, liegen in der Mitte des Kreises“, findet der 38-Jährige.

Die Polizei Bernburg ruft an. Zwischen Ilberstedt und Bernburg liegen große Äste und Müll auf der Straße und bilden ein Verkehrshindernis. Da sie selbst keine Kapazitäten haben, bitten sie um Amtshilfe durch die Feuerwehr. Daniel Schürmann alarmiert die Kameraden aus Ilberstedt und Güsten.

In einer freien Minute frage ich nach, ob es denn auch Anrufer gibt, die den Notruf missbrauchen, ihn für wirklich ernste Notfälle blockieren? „Ja, leider“, muss Daniel Schürmann feststellen und auch seine Kollegen nicken. Früher habe keiner angerufen, wenn irgendwo jemand betrunken sitzt, ein Waschbär verletzt ist oder sich Kinder nicht ans Flussufer trauen, weil dort eine Bisamratte hockt. All das habe es inzwischen schon gegeben. „Das hat aber absolut nichts mit einer Notlage zu tun“, ärgert er sich über solche Anrufer. Die Rufnummer 112 sollte gewählt werden bei lebensbedrohlichen Situationen, bei Bränden, Verkehrsunfällen, Jagdpächtervermittlung und speziellen Einsätzen wie Dialyse-Fahrten mit infektiösen Patienten oder Krankentransporte mit einer medizinisch, fachlichen Betreuung.

Wieder ein Anruf. Die Feuerwehrleute aus Latdorf und Nienburg, die zu einem Grasnarbenbrand in Latdorf alarmiert worden sind, melden, dass 20 Quadratmeter Ödland gebrannt hat, das Feuer aber schon aus ist und sie nun noch Glutnester ablöschen.

Wenig später geht es los, das vorhergesagte Unwetter. Aber nur punktuell. Heftige Regengüsse holen die Feuerwehren auf den Plan. Die Telefonanlage leuchtet vielfach rot auf. In Bernburg drückt das Wasser in vielen Straßen die Gullideckel hoch, bei einem Gebäude regnet es durch das Dach. Einen vollgelaufenen Keller gibt es in Schönebeck-Bad Salzelmen, eine umgestürzte Pappel in Schönebeck-Felgeleben. Die drei Disponenten lassen sich nicht aus der Ruhe bringen, nehmen einen Anruf nach dem anderen an, setzen Prioritäten und koordinieren danach die Einsätze. „Ein Baum auf einem Auto, in dem eine Person ist, muss eher beseitigt werden, als ein Baum, der ,nur‘ auf einer Straße liegt und diese blockiert“, erklärt Daniel Schürmann.

Zum Unwetter kommt noch ein Verkehrsunfall mit einer verletzten Person. Bernburger Kreuz. „Ich schicke euch die Kollegen vom Rettungsdienst, die Feuerwehr hat momentan im Stadtgebiet gut zu tun“, spricht Daniel Schürmann ab. Er fordert die Polizei an, die aber keinen verfügbaren Wagen hat. Er plant um, spricht mit der Feuerwehr Ilberstedt, sie fährt zur Sicherung der Unfallstelle raus. Wieder eine knifflige Situation gelöst.

Und das ist Ihr Traumberuf, frage ich Daniel Schürmann, nachdem ich gut zweieinhalb Stunden verfolgt habe, wie konzentriert er jeden Anruf, jedes Anliegen aufnehmen und bearbeiten muss. Sofort kommt ein „Ja“, das keine Zweifel zulässt. „Hier kann ich den Rettungsdienst und mein Hobby, die Feuerwehr, miteinander verbinden. Das Koordinieren, das Behalten der Übersicht fasziniert mich.“

Und genau das ist in der nächsten Sekunde gefordert. Jemand ruft aus der Notaufnahme Bernburg an, ein Patient vermisst seinen Rollator. Daniel Schürmann vermittelt zum Rettungswagen, der den Patienten zum Krankenhaus gebracht hat. „Das passiert öfters. Mal ist es die Chipkarte, die plötzlich fehlt, mal sind es die Hausschuhe“, erzählt er schmunzelnd. Und wenn mal kein Anruf aufläuft – dann muss alles, was sich schon ereignet hat, ganz genau protokolliert werden. Zum Beispiel wird für jeden Feuerwehreinsatz erfragt, welche Wehr von wann bis wann mit wie vielen Kameraden und welchen Fahrzeugen vor Ort war, wer die Einsatzleitung inne hatte. Selbst an „normalen Tagen“, an denen so um die 150 Ereignisse registriert werden, bleibt also keine Zeit zum Zurücklehnen.

Bevor meine Stippvisite in der Leitstelle endet, nimmt Daniel Schürmann einen Notruf über einen Unfall in Bernburg an. Drei Fahrzeuge sind beteiligt, eine Person ist eingeklemmt. „Wir brauchen drei RTW“, sagt er leise, mehr zu sich, und schaut auf einen Monitor, auf dem alle Rettungstransportwagen und ihre aktuellen Einsätze aufgelistet sind. Und dann geht es wieder los, das Koordinieren schneller Hilfe.

Die Rettungssanitäter melden kurz darauf: Für den Unfall in Bernburg wird ein Hubschrauber benötigt. Es gibt doch mehrere Verletzte, einer davon so schwer, dass er fliegend in eine Klinik gebracht werden soll. „Dieser Transport ist für den Patienten schonender“, erklärt Daniel Schürmann. Es vergehen nur wenige Minuten, da ruft „Christoph Halle“. „Herzlich willkommen im Salzlandkreis. Direkt vor der Feuerwehr könnt ihr runtergehen“, vermittelt der Schönebecker. Dank ausgiebigem und immer aktuellem Kartenmaterial wissen auch ortsunkundige Disponenten um jede Örtlichkeit.

Apropos Örtlichkeit: Immer wieder höre ich die Nachfrage: Wo ist das denn passiert? Die fünf W‘s seien bei einem Notruf ganz wichtig, betont Daniel Schürmann:

1. Was ist passiert?

2. Wo ist es passiert?

3. Wie viele Verletzte?

4. Wer meldet den Notfall?

5. Warten Sie auf mögliche Rückfragen!

Und dann kommt schon der nächste Anruf rein ...

Die Disponenten müssen schnell reagieren, richtig schlussfolgern, bestmöglich koordinieren. Schon wenn mehrere Notrufe zeitgleich eingehen, würde ich wohl die Ruhe verlieren und damit auch nicht mehr klar strukturiert denken und koordinieren können. Somit bleibt mir nach diesem Einblick nur zu sagen: Hut ab vor Ihren täglichen Arbeit!