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Sommerserie Ein Tag im Dr.-Carl-Herrmann-Gymnasium: Wieso das Experiment als Lehrer scheiterterte

Die Berufswelt ist vielfältig. Was verbirgt sich hinter welcher Tätigkeit? Volksstimme-Redakteure schnuppern in der Sommerserie „Einen Tag als ...“ in so manch interessanten Beruf hinein und geben Ihnen, liebe Leser, einen besonderen Einblick. Heute verbringt Reporter Stefan Demps einen Tag als Lehrer am Dr.-Carl-Hermann-Gymnasium.

Von Stefan Demps Aktualisiert: 13.07.2023, 10:32
Im Rahmen der Serie „Einen Tag als ...“ probierte sich Reporter Stefan Demps als Lehrer am Dr.-Carl-Hermann-Gymnasium in Schönebeck aus. Das Ergebnis dieses Experiments war zumindest kein komplettes Versagen auf ganzer Linie. Eine Wiederholung erscheint dennoch unwahrscheinlich.
Im Rahmen der Serie „Einen Tag als ...“ probierte sich Reporter Stefan Demps als Lehrer am Dr.-Carl-Hermann-Gymnasium in Schönebeck aus. Das Ergebnis dieses Experiments war zumindest kein komplettes Versagen auf ganzer Linie. Eine Wiederholung erscheint dennoch unwahrscheinlich. Foto: Franziska Rettinghaus

Schönebeck - „Soll ich für Sie nächstes Jahr eine Spalte freilassen?“, fragt mich Direktor Ulrich Plaga, nachdem die Besprechung mit ihm und den Lehrer beendet ist. Alle lachen. Meine Brust schwillt an. „Ich bin Teach-Man“, schießt es mir durch den Kopf. Der Mann, den sich Direktoren wünschen. Der Held, der allein den Lehrermangel in Sachsen-Anhalt beendet. Der Mann, dem Eltern freudestrahlend ihren Nachwuchs anvertrauen. Schlechte Stimmung im Lehrerzimmer? „Teach-Man“ regelt auch das. Und ganz nebenbei findet er auch Lösungen bei geringem Budget und ausbaufähiger Digitalisierung. Der beliebte Held der Arbeit kann einfach alles.

Ist das Dr.-Carl-Hermann-Gymnasium in Schönebeck bereit für die neue Lehrkraft? Nach Abschluss des Unterrichtstages stand es zumindest noch festverankert im Boden.
Ist das Dr.-Carl-Hermann-Gymnasium in Schönebeck bereit für die neue Lehrkraft? Nach Abschluss des Unterrichtstages stand es zumindest noch festverankert im Boden.
Archivfoto: Paul Schulz

Zugegeben, dass ist übertrieben. Wirkliche Intention, demnächst den Lehrerberuf zu ergreifen, habe ich tatsächlich nicht. Dennoch gebe ich zu, früher tatsächlich mit diesem Gedanken gespielt zu haben. Die Vorstellung, vormittags „Schüler zu quälen“ und danach den Rest des Tages frei zu haben, fand ich verlockend. Nun, so viel darf ich bereits verraten, nachdem ich mich selbst versuchte, weiß ich, dass diese Vorstellung ziemlich weit an der Realität vorbei geht. Es steckt deutlich mehr Arbeit dahinter. Doch beginnen wir am Anfang – eine Tragödie in vier Akten.

Akt 0: Selbstreflexion

Die erste nicht ganz unwichtige Frage dürfte sein, wieso der Beruf des Lehrers meine Wahl war. Neben meinem früheren Berufswunsch fühle ich mich durchaus in der Lage, vernünftige Ergebnisse zu erzielen (verdammtes Ego). Nachdem ich selbst sehr intensiv (zweimal) die Schulbank drückte und mich durch mein Studium balancierte, fühle ich mich der Herausforderung gewappnet. Außerdem kann ich auf diverse Jahre bei der Bundeswehr zurückblicken, wo ich angehenden Soldaten diverse Dinge beibrachte. Was also kann oder soll da schon schiefgehen?

Mit anderen Worten: Ich bin motiviert und bereit. Wäre ich ein Sportler, mein Zustand kann als „heiß aufs Podest“ beschrieben werden.

Akt 1: Die Vorbereitung

Doch bevor ich einen Klassenraum von innen sehen darf, muss ich erstmal eingewiesen werden. Oder um es salopp zu sagen, mir werden Themen gegeben. Meine Unterredung mit Ulrich Plaga ist kurz. Ich bringe zum Ausdruck, dass meine Stärken eher im geisteswissenschaftlichen Bereich liegen. „Am liebsten Geschichte“, lege ich mich auf ein Fach fest. Was soll schon schief gehen, wenn ich über etwas reden kann, von dem ich Ahnung habe. Ulrich Plaga macht mich anschießend mit zwei Lehrerinnen bekannt: Anke Schmidt und Franziska Rettinghaus.

Erstere ist Geschichtslehrerin und mutig genug, mir ihre 8. Klasse in diesem Fach anzuvertrauen. Den Rahmen meines Unterrichtstages bildet Franziska Rettinghaus 10. Klasse. Insgesamt soll ich drei Blöcke á 90 Minuten unterrichten. Meinem Wunsch nach dem Schwerpunkt Geschichte wird mit jeweils zwei Blöcken Rechnung getragen.

Nachdem diese ersten Parameter geklärt sind, gilt es, über die Themen zu sprechen. In der 8. Klasse von Anke Schmidt soll es um Minderheiten im Deutschen Kaiserreich gehen. Ich erhalte einen Überblick über die Kenntnisse und Arbeitsblätter, an denen ich mich orientieren kann.

UlrichPlaga
UlrichPlaga
Olaf Koch

In Franziska Rettinghaus 10. Klasse habe ich neben Geschichte auch Deutsch zu unterrichten. Entsprechend ist für die Klasse deutlich mehr Einweisungszeit nötig. Im Geschichtsblock ist die DDR das übergeordnete Thema und dabei vor allem die Rolle der Frau und des Sports im Alltag. Der erste Block des Tages ist für das Buch „Der Vorleser“ von Bernhard Schlick vorgesehen.

„Ein Glücksfall“, denke ich. Schließlich habe ich das Buch für den Deutschunterricht selbst lesen dürfen und im Anschluss intensiv besprochen. Im Nachhinein vielleicht die einzig richtige Einschätzung des gesamten Tages. Denn ich habe tatsächlich noch sehr gut im Gedächtnis, welche Figuren und ihre Beziehungen miteinander thematisiert wurden. Und, was vielleicht noch wichtiger ist, welche Interpretationen für die einzelnen Personen möglich sind. Mein Auftrag lautet, den Schülern einen ersten Eindruck vom Buch zu geben. Den Film haben sie gesehen, und somit ist einiges bereits bekannt.

In den folgenden Tagen setze ich mich abends hin und bildete mich weiter. Schließlich will ich nicht als Versager dastehen. Ich schließe einige Wissenslücken. Also fühle mich vorbereitet und mache mir Gedanken über die zeitliche Abfolge. Drei Abende lang entwerfe ich Arbeitsblätter, die ich kurz danach wieder verwerfe. Erste Zweifel kommen auf. Der unerschrockene Kämpfer gegen den Lehrermangel bekommt Risse. Doch am Abend vor dem Unterricht ist mein Selbstvertrauen wieder gestiegen, und die wilde Fahrt kann starten. Um kurz nach sieben Uhr in der Früh stehe ich Gewehr bei Fuß und lasse mir meine Arbeitsblätter ausdrucken.

Zur Feier des Tages habe ich mir extra ein Hemd angezogen. Dazu sollte ich kurz sagen, dass dieses Kleidungsstück und ich keine sonderlich gute Beziehung haben. Ich mag Hemden einfach nicht. Aber für den guten Eindruck lasse ich es über mich ergehen. Für Bestechungszwecke besorge ich ein paar Süßigkeiten, falls alle Stricke reißen sollten. Vorbereitung ist eben verdammt wichtig.

Akt 2: Unterricht

Um es vorweg zu nehmen: Die Schüler, denen ich versuche, etwas beizubringen, sind sehr freundlich zu mir. Es gibt kein Gelächter am Ende. Zumindest habe ich keines gehört. Dennoch ist es kein Erfolg. Ich habe komplett unterschätzt, welche Herausforderungen es gibt, denen sich ein Lehrer täglich stellen muss. Es ist ein signifikanter Unterschied, Schüler oder Student gewesen zu sein. Auch hilft es wenig, verschüchterten jungen Kerlen die Grundlage des Soldatseins beigebracht zu haben. Alle Hilfsmittel, die mir zur Verfügung stehen, nutze ich. Die beiden Lehrerinnen geben mir in weiser Voraussicht und dankenswerterweise Materialien an die Hand, Unterricht zu ermöglichen. Ich spreche über Schlicks Buch, versuchte preußische Vorurteile gegenüber Minderheiten jedweder Art zu verdeutlichen und schließlich die Rolle des Sports und der Frauen in der DDR aufzuzeigen.

Ich möchte aus Platzgründen gar nicht im einzelnen aufzählen, was dabei alles nicht so berauschend läuft. Nur soviel sei gesagt: Bestimmte Lehrmethoden sind zu meiner Schulzeit noch nicht so in Mode gewesen, wie sie es heute sind. „Eine Vollkatastrophe war es nicht“, meint Franziska Rettinghaus dennoch zu meinen Versuchen. Auch Anke Schmidt stampft mich nicht in den Boden. Beide Lehrerinnen versicherten mir, dass ich nichts kaputt gemacht habe ...

Akt 3: Nachbereitung

Während ich diese Zeilen schreibe, ziehen die einzelnen Ereignisse des Tages an meinem geistigen Auge vorbei. Schüler, die mich anschauen und erwartungsvoll darauf lauern, etwas zu lernen. Und ganz vorn stehe ich und gebe mein Bestes, diesem Wunsch Folge zu leisten. Sicherlich eine Tätigkeit, die einen mit Stolz erfüllt, wenn die Schüler das Wissen annehmen. Doch es gehört weit mehr dazu, ein Lehrer zu sein, als ich es mir jemals vorstellte.

Ja, es tut mir leid, alle zu enttäuschen, die auf mich als „Teach-Man“ gehofft haben. Daraus wird nichts. Am Ende des Tages sagte ich auch Direktor Plaga direkt ab. Eine Rückkehr an die Schule – zumindest als Lehrer – wird es nicht geben. Ich bleibe dann doch lieber bei dem, was ich derzeit mache. Möglicherweise muss ich dann doch im nächsten Jahr als „Earth-Man“ die Welt retten. Im Ernst: Mein tiefster Respekt gilt allen Lehrern, die sich dieser Herausforderung täglich stellen. Für mich gilt der Satz: „Nochmal mache ich das nicht“, den ich bei meiner Rückkehr in die Redaktion kund tat.