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Schönebeckerin wünscht sich mehr Aufklärung Eine starke Frau: Jutta Bierstedt redet über ihr Leben mit dem Krebs

Von Elisa Sowieja 22.09.2011, 06:32

Jutta Bierstedt hat Krebs. Vor rund einem Jahr entdeckte man bei ihr ein Magenkarzinom. Doch bei dieser einen Krebsart blieb es nicht. Heute lebt die Schönebeckerin ohne Magen, mit Chemotherapien – und mit einer Stärke im Umgang mit ihrer Krankheit, vor der man sich nur verneigen kann.

Schönebeck. Jutta Bierstedt ist die erste, die nickt. Fest und mit überzeugtem Blick. "Warum sollte ich nicht über meine Krankheit reden?", sagt sie, als die Frau von der Volksstimme der Damenrunde erklärt hat, warum sie gern eine von ihnen portraitieren würde. Es ist ein Kosmetikseminar für krebskranke Frauen.

"Ich bin hier wahrscheinlich ein Exot", vermutet die 58-Jährige. Damit meint sie ihre Krebsart: Magenkrebs; der stand zumindest am Beginn ihrer erschütternden Krankheitsgeschichte. Und genau wegen dieses gefühlten Exotendaseins möchte Jutta Bierstedt öffentlich über ihre Krankheit sprechen – ohne geänderten Namen, ohne verfremdetes Foto. "Ich möchte den Menschen ins Bewusstsein rücken, dass Frauen nicht nur Brust- und Gebärmutterhalskrebs bekommen. Den Eindruck habe ich nämlich, wenn ich Berichte in den Medien verfolge."

Der Schlag kam damals über Nacht. "Ich war nach einem Herzinfakt noch krankgeschrieben", erinnert sie sich. "Mitten in der Nacht habe ich plötzlich Blut erbrochen. Im Salzelmener Krankenhaus hat man versucht, die Blutung zu stoppen." Ohne Erfolg, Jutta Bierstedt wurde in die Schönebecker Klinik gebracht. "Als ich dann irgendwann aufgewacht bin, stand der Arzt an meinem Bett und sagte mir, dass man mir ein Stück vom Magen entfernt hätte." Bevor sie die Nachricht verarbeiten konnte, schlief sie wieder ein. Wegen der Schmerzmittel war sie tagelang kaum wach. Bei einer zweiten OP wurden der Schönebeckerin schließlich der restliche Magen und ein Stück des Dünndarms entfernt. Speiseröhre und Dünndarm wurden zusammengenäht und regeln seitdem ihre Verdauung.

Nach 14 Tagen stationärem Aufenthalt ging es für sie zur Reha, dort begann sie auch mit einer leichten Chemotherapie – quasi zur Sicherheit. Danach dachte Jutta Bierstedt, sie hätte das Schlimmste überstanden. Doch dann entdeckte sie Knoten auf ihrer Narbe am Bauch. "Es waren Metastasen, die nach außen ragten." Sie entschied sich für eine sogenannte Hipec-OP, bei der eine chemotherapeutikahaltige Spüllösung erwärmt und für eine gewisse Zeit im Bauchraum verteilt wird. "Zur Vorbereitung sollte ich sechs starke Chemos mitmachen", erzählt sie. "Nur fünf habe ich geschafft. Gegen sie waren die ersten ein Spaziergang." Und als ob das noch nicht genug wäre: "Bei der OP hat man dann noch zwei weitere Tumore gefunden." Einer von ihnen, an der Leber, ist nicht operabel.

Seitdem erhält die 58-jährige wöchentlich Chemotherapien. "Auf halber Stärke, mehr macht mein Körper nicht mit." Übelkeit, Durchfall und Kopfschmerzen sind nun ständige Begleiter. "Die Nebenwirkungen sind jedes Mal unterschiedlich." Dazu kommt die Angst. Die war vor allem am Anfang sehr präsent. "Wer will schon mit 58 Jahren sterben? Natürlich gibt es auch heute noch Momente, in denen ich heule. Aber es geht schon besser. Ich zwinge mich dazu, die Angst wegzuschieben."

Auch ihr Essverhalten musste Jutta Bierstedt radikal umstellen. Sie darf nun nur noch kleine Mahlzeiten zu sich nehmen, und davon am besten acht bis zehn pro Tag. Fettiges verträgt sie kaum, trotzdem muss sie kalorienreich essen. "Ich habe früher gern gegessen, gekocht und gebacken. Damals habe ich anderthalb Kotelett gegessen – heute nur noch ein halbes", erklärt sie, was der Einschnitt bedeutet. "Besonders schlimm ist für mich, dass ich nicht einmal mehr die Gans zu Weihnachten vertrage."

In ihrer Freizeitgestaltung ist die 58-Jährige ebenfalls stark eingeschränkt. "Ins Kino oder Theater kann ich nicht gehen. Wenn ich länger als eine Stunde auf einem Platz sitze, werden die Schmerzen von den Narben am Bauch zu stark." Solche Vergnügen vermisst sie genauso wie ihre Arbeit. Vor ihrer Krankheit war sie im Jugendclub "Young Generation" beschäftigt. Heute bekommt sie Erwerbsminderungsrente – ein finanzieller Einschnitt für die Bierstedts.

Heute sind es vor allem Bücher, die der Schönebeckerin den Tag versüßen. "Ich habe so viele, dass ich schon gar nicht mehr weiß, wohin damit – vor allem Krimis und Biografien. Das Besondere an Büchern ist: Wenn ich lese, dann schalte ich ab." Noch viel mehr ist es aber ihr Mann, der ihr hilft, ihr Leben mit den hohen Hürden zu meistern – obwohl auch er mit Krebs kämpft. "Er kauft ein, ist für mich da. Wenn ich ihn nicht hätte, würde ich das wohl nicht schaffen."

Auch wenn es für sie selbst zu spät dafür ist: Jutta Bierstedt wünscht sich mehr Aufklärung über Magenkrebs. "Und ich wünsche mir, dass Ärzte noch wachsamer sind. Ich zum Beispiel hatte schon seit Jahren Probleme mit dem Magen."