1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Schönebeck
  6. >
  7. Einschussloch aus dem Zweiten Weltkrieg soll in Groß Rosenburg nicht saniert werden

Zweiter Weltkrieg Einschussloch aus dem Zweiten Weltkrieg soll in Groß Rosenburg nicht saniert werden

Es ist ein sehr authentisches aber kleines und unbeachtetes Denkmal: das Einschussloch an einer Pendeltür der Groß Rosenburger Dorfkirche. Im April 1945 trafen Querschläger die Tür, die im Originalzustand erhalten blieb.

Von Thomas Linßner 30.06.2021, 11:09
Ruth Christ (88) an der Tür mit den Einschüssen. Die Rosenburgergerin kann sich noch gut an die Ereignisse vom April 1945 erinnern, als es im Dorf lebensgefährlich war, das Haus zu verlassen.
Ruth Christ (88) an der Tür mit den Einschüssen. Die Rosenburgergerin kann sich noch gut an die Ereignisse vom April 1945 erinnern, als es im Dorf lebensgefährlich war, das Haus zu verlassen. Foto: Thomas Linßner

Groß Rosenburg - Von außen wirkt die Rosenburger Kirche wie aus dem Ei gepellt. Bis auf die Nordfassade gilt das Gotteshaus als „durchsaniert“. Erst vor wenigen Jahren wurden die Außentüren erneuert. Dahinter verbergen sich Pendeltüren, die über hundert Jahre alt sind. Dieser Konstellation ist es zu verdanken, dass die inneren Türen erhalten und unsaniert blieben.

Glücklicherweise ließen Tischler, Gemeindekirchenräte und Pastoren in all den Jahrzehnten die Finger davon. Denn eines der Pendel ist ein Denkmal ...

Dass kupferne Turmknöpfe auf Kirchen von Infanterie- oder Kleinkalibergeschossen zerlöchert worden sind, ist keine Seltenheit. Die exponierten Hohlkörper zogen ganze Generationen von Freizeit- und Militärschützen magisch als Zielscheiben an.

So war es auch in Groß Rosenburg, wo man bei Abnahme des alten Turmknopfes den Ein- und Austritt eines Infanterieprojektils feststellte.

Wir lassen alles so wie es ist. Schließlich ist das ein besonderes Zeitzeugnis.

Aber ein weitaus selteneres Zeitzeugnis kann die Kirche an anderer Stelle vorweisen:?In einer der beiden Eingangstüren auf der Südseite befinden sich die Durchschüsse eines Infanterieprojektils. Doch damit nicht genug: Bei Verfolgung der ballistischen Bahn entdeckt man Beschädigungen im Kirchengestühl an zwei Stellen.

Die Oberkante der Bank – dort wo man das Gesangsbuch auflegt - ist zerfetzt. Rund zwei Meter weiter hatte das Geschoss dann nicht mehr die Kraft, weiteres Holz zu zersplittern, prallte vom mittleren Gestühl ab.

Die Pastoren Eva-Maria Wassersleben i.R. und Ulf Rödiger kennen die Herkunft der Beschädigungen. „Wir lassen alles so wie es ist. Schließlich ist das ein besonderes Zeitzeugnis“, antwortet Rödiger auf die Frage, ob es je Bestrebungen gab, den Schaden zu beheben.

Eine Zeitzeugin berichtet

Zeitzeugin ist die heute 88-jährige Ruth Christ. Sie kann sich daran erinnern, wie die Amerikaner in Groß Rosenburg einmarschierten. Die damals 12-Jährige kennt die Geschichte des Einschusses, der sich über die Jahrzehnte erhalten hat.

„Damals waren wir bei Pfarrer Richter in der Vorkonfirmandenstunde. Man hat im Dorf davon erzählt, wie ein Amerikaner durch die Tür geschossen hat“, erzählt die alte Dame. „Ich weiß noch genau, dass die Amerikaner an einem Sonntag kamen“, sagt Ruth Christ. Kurz zuvor sollen sich Soldaten der Wehrmacht in einer Schrebergartenanlage aufgehalten haben, wo sie ihre Militär- gegen Zivilkleidung tauschten, um der Gefangennahme zu entgehen.

Der Einschuss in die Kirchentür muss aus nächster Nähe erfolgt sein. Die Kraft des Geschosses lässt das vermuten.

Der Dresdener Autor Peter Wittig beschreibt in seinem Buch „Elbe-Operation“ die letzten Kriegstage im Elbe-Saalewinkel.

Wittig lebte 1945 in Barby. Im Rahmen der Kinderlandverschickung war die Magdeburger Wilhelm-Raabe-Schule in das Barbyer Schloss evakuiert worden, der Wittig angehörte.

GIs überqueren die Saale

Am 15. April, einem Sonntag, überquerten gegen 16 Uhr etwa hundert Meter westlich der Fährstelle Groß Rosenburg 17 Sturmboote die Saale. Darin saßen Pioniere der 83. US-Division.

Wittig schreibt: „Der Angriff ging nur langsam voran und bei Einbruch der Dunkelheit war der Ort erst teilweise gesichert. Etwa um 20.30 Uhr waren dann alle Kompanien im Ort. Trotzdem hielt im Ostteil (von Groß Rosenburg) der Feuerwechsel noch an.“

Noch in derselben Nacht bauten US-Pioniere eine Brücke an der Fährstelle über die Saale. Ein seltenes Foto, das Peter Wittig als Titelbild seines Buches wählte, zeigt die Pionierbrücke. Panzer setzten über, GIs sichern den Transport mit einem Seil.

Und noch ein Utensil erinnert indirekt an diese Zeit: „Bei einem der Angriffe auf Rosenburg hatte eine damals schon über 200 Jahre alte Zeder so sehr gelitten, dass sie einem starken Sturm nicht mehr stand hielt“, erzählt Pfarrer Rödiger. Im Pfarrgarten habe man nach dem Krieg „körbeweise Geschosse“ aufgesammelt. Der Baum wurde daraufhin gefällt, sein Holz sorgfältig getrocknet. Die Rosenburger Baufirma Ulrich schnitt Bretter, Tischlermeister Knauth und sein Sohn fertigten mit viel Mühe einen Altar daraus, auf dem ein Kreuz thront.

Es steht auf einem vierstufigen Sockel. „Wenn anderen Orts herkömmliches Holz auf Zeder gebeizt oder angemalt wird, hatte unser Altar das nicht nötig“, sagt der Pfarrer stolz. Im März 1958 fand die Weihe statt.

Mitte April 1945 bauten amerikanische Pioniere eine Brücke zwischen Werkleitz und Groß Rosenburg  über die Saale. Verwendet wurden aufblasbare Luftkissen.
Mitte April 1945 bauten amerikanische Pioniere eine Brücke zwischen Werkleitz und Groß Rosenburg über die Saale. Verwendet wurden aufblasbare Luftkissen.
Foto: Arbeitskreis Sächsische Militärgeschichte.