Verein "Freunde der Stassfurter Rundfunk- und Fernsehtechnik" stellt im Museumsschiff "Marie Gerda" aus Fernsehgeräte mit Henkel und Rentner-Transistoren
Unter dem Titel "Historische Radio- und Fernsehgeräte aus Staßfurt" ist eine neue Sonderausstellung im Museumsschiff "Marie Gerda" zu sehen. Sie wird von ehemaligen Mitarbeitern des Fernsehgerätewerkes organisiert, die im Jahr 2000 zur Bewahrung der Industriegeschichte einen Verein gründeten.
Breitenhagen l Zu Beginn eine Beobachtung am Rande: Auf dem sehr gut gestalteten Flyer des Vereins sind zwei Fotos zu sehen, die man "Kittelschürzen-Parade" nennen könnte. Sie zeigen dutzende Frauen bei der Chassis-Handbestückung von Fernsehgeräten im RFT-Werk Staßfurt 1976 und 1988. Darauf wird deutlich, wieviel Handarbeit und Personal in jener Zeit dazu gehörten, hochwertige Fernseh- oder Radiogeräte zu fertigen.
Kittelschürzen-Brigade
Zur Ausstellungseröffnung in der "Marie Gerda" ist neben den Vereinsmitgliedern Brigitte Gothe und Dieter Blauwitz auch Franz Korsch gekommen. Man glaubt es dem ehemaligen RFT-Direktor und Vorsitzenden des Vereins "Freunde der Stassfurter Rundfunk- und Fernsehtechnik", wenn er den etwas abgegriffenen Satz gebraucht: Ein Unternehmen ist nur so gut, wie jeder seiner Mitarbeiter. Und dazu zählte nicht nur die große Brigade der Kittelschürzen.
Korsch und seine Vereinsmitglieder sind stolz auf die Firmengeschichte. "Sehen Sie", legt Korsch beinahe liebevoll die Hand auf ein Fernsehgerät, "das ist der Colormat 4506." Das Farbfernsehgerät war 1980 so etwas wie das Flaggschiff der Staßfurter und hatte seinen Preis: 5420 Mark. "In den ersten vier Jahren importierten wir die Bildröhre aus dem Westen. Der Stückpreis betrug 240 D-Mark", erinnert sich Franz Korsch. "Danach wurde sie als Toshiba-Lizenz bei uns produziert. Kostenpunkt: 1500 DDR-Mark." Ein Rechenbeispiel, das den damaligen Umrechnungskurs verdeutlicht. Trotz des hohen Vertriebspreises konnte der Bevölkerungsbedarf nicht gedeckt werden, zumal viele Geräte in den West-Export gingen.
Fernbedienung gefragt
1990 war die Farbfernsehwelt schlagartig anders geworden. Die Kunden wollten Westgeräte mit Fernbedienung. In Staßfurt musste man sich etwas einfallen lassen, um im Spiel zu bleiben. Kein Geringerer als Luigi Colani wurde ins Boot geholt. Der Star-Designer, bekannt für seine bewusst gegen den Strich gebürsteten Entwürfe verschiedenster Alltagsgegenstände, verpasste den Geräten sinnliche Kurven und sogar einen Henkel.
Die Breitenhagener Ausstellung zeigt infolge der räumlichen Begrenzung nur einen Bruchteil dessen, was im Staßfurter Technikmuseum zu sehen ist. Trotzdem dürfte der aufgeschlossene Betrachter so manches Aha-Erlebnis haben. "Das hier ist unser Kofferfernseher von 1967", zeigt Franz Korsch in eine Vitrine. Darin steht der "K 67", der mit 220/12 Volt für Luxuscamper und Freizeitkapitäne gebaut wurde. "Dafür brauchte man eine Batterie", deutet Korsch mit den Händen an, "die war halb so groß wie das Gerät." In Zeiten, in denen ein durchschnittlicher Werktätiger 600 Mark verdiente, blieb der "K 67" bei einem Kaufpreis von 1680 Mark ein Exot.
Ein ganz anderes, fast unscheinbares Ausstellungsstück war der in Unmengen hergestellte UHF-Konverter. "Er setzte Signale aus dem UHF-Frequenzband linear in ein anderes Frequenzband um", gibt Korsch den Fachmann. Was nichts anderes heißt, als dass dieses schlichte, kleine Wunderding den ZDF-Empfang ermöglichte. Natürlich wurde er originär für das zweite DDR-Programm gebaut, das 1972 an den Start ging. Vorher war die Herstellung von Konvertern nur Domäne geschickter Bastler außerhalb des sozialistischen Handels. Dafür benötigten sie allerdings einen Transistor, den es nur im Westen gab. Rentner schmuggelten den "AF 139" (Stückpreis 5 DM, Schwarzmarktpreis rund 50 Mark) für ihre lötenden Enkel in die DDR, wobei sie sich nicht erwischen lassen durften.
Wirtschaftlich stark
"Unser Verein möchte daran erinnern, wie wirtschaftlich stark wir mal waren", sagt Franz Korsch selbstbewusst. Mit der Breitenhagener Ausstellung möchten die Staßfurter nicht zuletzt auf ihr Technikmuseum aufmerksam machen. Schließlich würden viele Radtouristen auf dem Weg von Dresden nach Hamburg in der "Marie Gerda" Station machen.
Die Idee für diese Sonderschau hatte der umtriebige Breitenhagener Ortsbürgermeister Kurt "Bodo" Kotzur. Er hatte den Kontakt zum Staßfurter Verein beim Sachsen-Anhalt-Tag 2012 hergestellt.
Öffnungszeiten "Marie Gerda": dienstags bis freitags 11 bis 17 Uhr, an den Wochenenden 13.30 bis 16.30 Uhr Website: www.rft-verein-stassfurt.de