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Friedwald Letzte Ruhe mitten in der Natur

Grab oder Urne? Namentlich benannt oder anonym? Die Bestattungskultur ist im Wandel. Eine alternative Form bietet der Friedwald, so wie in Elbenau.

Von Heike Liensdorf 25.01.2019, 10:00

Elbenau l Es ist kalt. Die Temperaturen liegen unter null Grad Celsius. Die Natur ist in Raureif getaucht. Die Sonne scheint. Es kommen nur vereinzelte Strahlen am Boden an. Die meisten verfangen sich in den Baumkronen. Doch der Schönebecker Friedwald im Ortsteil Elbenau scheint wie unter einer schützenden Hülle. Es wirkt alles so friedlich, so in sich ruhend, so beseelt. Gefühlt kein Hauch von Kälte.

Sven Buchmayer kommt oft hierher. Zur Hainbuche Nummer 7. An den Wurzeln dieses Baumes hat er 2016 seinen Mann Christian beerdigt. Beerdigen müssen, nach kurzer schwerer Krankheit. Er ist gerade einmal 35 Jahre alt geworden. Zu jung, um sich mit dem Thema Sterben auseinander zu setzen. Sicherlich, sie haben darüber erzählt. Aber nicht so, dass sie im Detail festgelegt haben, wie und wo die letzte Ruhestätte sein soll. Sie waren doch noch so jung und hatten so viel vor ...

Und dann musste Sven Buchmayer schneller darüber entscheiden als ihm lieb ist. Nun haben sie im Friedwald Elbenau einen Partnerbaum. Daran ein kleines Schildchen mit persönlichen Angaben und den Worten: „Frag mich, was ich mit meinem Leben gemacht habe. – Ich habe es mit dir verbracht.“

„Wir waren nie Freunde von Friedhöfen mit Öffnungszeiten und dass alles in Reih‘ und Glied sein muss“, erzählt Sven Buchmayer. Sie hätten sich zwar schon einmal umgehört, was es denn für alternative Bestattungsformen gibt. In Elbenau sind sie aber nicht gewesen. „Doch ich weiß, dass der Friedwald bei uns beiden ganz oben stand“, versichert der gebürtige Magdeburger, der jetzt in Gommern lebt. Nach dem Tod seines Mannes habe er dann den Friedwald Elbenau aufgesucht und gemeinsam mit seiner Schwiegermutter einen Baum ausgesucht. Einer, der etwas schief steht, der aus der Masse heraussticht. Er habe ihn gesehen und gewusst, der soll es sein. Das ist ihr Baum.

Die offene Form der Beisetzung fasziniert ihn immer wieder aufs Neue. „Es gibt keine Pflichten, kaum Regeln – außer, dass die Natur Natur bleiben muss“, so der 37-Jährige und erzählt, dass am Baum ein kleiner freier Platz sei. Dort sitze er oft und picknicke. Dann ist er eins mit der Natur und seinem Mann ganz nah. „Die Hainbuche steht direkt am Weg, dem Nachtigallenstieg. Meine Kollegin fährt hier jeden Tag mit dem Rad lang zur Arbeit und berichtet mir immer, dass sie Christian gegrüßt hat“, sagt er und muss schmunzeln. „Ich schätze die Ruhe. Das ist so entspannend. Ich bin selten tagsüber hier, eher abends oder in den frühen Morgenstunden. Man hört sogar den Specht.“ Dass im Friedwald kein Grabschmuck, keine Blumen oder ähnliches erlaubt sind, stört ihn nicht. Ganz im Gegenteil. „Es wachsen so viele Blümchen in der Erde. Das ist Schmuck genug.“

Die Natur, die Ruhe, das Nicht-Regeln-Müssen der Pflege der letzten Ruhestätte – das ist es, was den Friedwald ausmacht. Und das sind auch die Gründe, warum sich viele Menschen für eine solche Form der Bestattung entscheiden. Das wissen Regionalbetreuerin Cindy Wolfram und Friedwald-Försterin Franziska Rabe nur zu gut. Sie sind in Elbenau die Ansprechpartner vor Ort.

Die Friedwald GmbH, gegründet 2000, hat mittlerweile 64 Standorte auf rund 3.100 Hektar Bestattungswald in ganz Deutschland und zwei in Österreich. Am 7. November 2001 eröffnet der Friedwald Reinhardswald bei Kassel als erster Bestattungswald in Deutschland. In Sachsen-Anhalt gibt es mittlerweile Standorte im Gartenreich Dessau-Wörlitz, Sangerhausen, Freyburg und eben im Schönebecker Ortsteil Elbenau.

Das Unternehmen möchte eine Alternative zum Friedhof bieten. Im Wald. Deshalb auch Friedwald statt Friedhof. In gesondert ausgewiesenen Wäldern werden in Kooperation mit Ländern, Kommunen, Kirchen und Forstverwaltungen Baumbestattungen ermöglicht. Jeder Friedwald ist ein nach öffentlichem Recht genehmigter Friedhof im Wald.

Sitz des Unternehmens ist im hessischen Griesheim bei Darmstadt. Die Marke ist in Deutschland und Österreich geschützt. „Ziel ist es, in schönen Waldregionen Europas ein einheitliches und ökologisch anerkanntes Naturbestattungskonzept anzubieten“, so Friedwald-Sprecherin Carola Wacker-Meister. Nach eigenen Angaben haben mit Stand Januar 2019 rund 107.800 Beisetzungen seither in einem Friedwald stattgefunden. Gut 256.800 Menschen haben sich bisher für einen Baum oder einen Platz in einem Friedwald entschieden. Es gibt, führt die Friedwald-Sprecherin auf, rund 130 Mitarbeiter am Unternehmenssitz (Verwaltung, Kundenbetreuung) und bundesweit (Standort- und Forstbetreuung) sowie etwa 140 Förster, die vor Ort betreuen und Kunden bei Waldführungen, Baumauswahl und Beisetzungen begleiten.

Franziska Rabe ist als Försterin im Friedwald in Elbenau anzutreffen. Sie sei jedoch keine klassische Försterin, sondern Friedwald-Försterin. Sie ist gelernte Bestatterin. Dennoch kennt sie sich im Wald, der aktuell einen Bestand von 666 Bäumen hat, aus. Überwiegend sind es Laubbäume. Weil diese langlebiger sind, erklärt sie. Das ist wichtig, denn: Bei der Erstauswahl gibt das Unternehmen eine Garantie für die Ruhestätte von bis zu 99 Jahren – ab Eröffnung des Waldes. Für Elbenau also bis 2113 ...

Im Friedwald in Elbenau, zählt Cindy Wolfram auf, finde man primär Hainbuche, Eiche, Ahorn und Ulme. „Eschen haben wir aktuell nicht im Sortiment. Ein Grund ist das Eschentriebsterben. Ein Pilz beeinträchtigt derzeit die Bäume massiv in ihrer Verbreitung und Entwicklung. Und somit können wir nicht die 99 Jahre zusichern“, erklärt die Regionalbetreuerin.

Auch die Stürme in den vergangenen Jahren konnten den Bäumen nichts anhaben. „Weil das ein natürlich gewachsener, gesunder Wald ist“, merkt die Försterin an, überlegt kurz und sagt: „Bei all den Orkanen in der letzten Zeit verzeichneten wir nur einen einzigen Kronenbruch.“ Zudem gebe es regelmäßig Sichtungen, wie der Baum beschaffen ist und ob zum Beispiel von Ästen Gefahren ausgehen.

Von den Bäumen und von dem Konzept kann sich jeder ein Bild machen – ob beim Besuch des Friedwaldes allein – es ist öffentlicher Raum – oder bei Führungen, die regelmäßig angeboten werden. Bei diesen erzählt Franziska Rabe über das, was sich hinter dem Friedwald-Konzept verbirgt. Die Asche Verstorbener ruht in Urnen an den Wurzeln eines Baumes. Diese bestehen aus einem biologisch abbaubaren Materialmix aus Holzpartikeln und einem Naturleim. Das sogenannte Biopolymer sorgt dafür, dass die Urne im Boden nach einigen Jahren zersetzt wird. Die Gräber sind schlicht und naturnah. Grabschmuck gibt es nicht. Den übernimmt die Natur. Je nach Jahreszeit sind es Moose, Farne, Wildblumen, buntes Laub oder Schnee. Ein Namensschild am Baum macht auf die Grabstätte aufmerksam. Alle sind gekennzeichnet und in Registern bei Kommune und Friedwald eingetragen.

„Es besteht die Möglichkeit, sich für einen Platz an einem Gemeinschaftsbaum oder für einen ganzen Baum mit einem oder mehreren Plätzen zu entscheiden. Die Zahl der verfügbaren Plätze unter einem Baum variiert je nach natürlichen Gegebenheiten. Je nach Stärke, Art und Lage des Baums ergeben sich unterschiedliche Preise für Bäume und Plätze“, teilt Friedwald-Sprecherin Carola Wacker-Meister mit. So gibt es beispielsweise Familien-, Freundschafts-, Einzel- und Partnerbäume. Und einen besonderen Platz: einen Sternschnuppenbaum – ein Baum für Kinder bis zum dritten Lebensjahr.

Franziska Rabe erzählt von einer jungen Familie, die sich schon für einen Baum entschieden hat. Einen noch kleinen. „Ihre Ansicht ist: Der Baum wächst mit uns.“ Oder eine Freundesgruppe, die einst hier gemeinsam aufgewachsen ist und nun über ganz Deutschland verteilt wohnt. Sie haben sich in der Heimat ihren Baum schon ausgesucht, treffen sich regelmäßig im Friedwald – mit Urlaubsfotos und Sektchen, sagt sie schmunzelnd. So seien sie immer beieinander – auch wenn mit den Jahren der ein oder andere nicht mehr direkt neben ihnen sitzen wird. Oder der Australier, der ursprünglich aus der Region kommt, ausgewandert ist, aber in der Heimat beigesetzt werden möchte.

Der Friedwald will ein Bestattungsort unabhängig von Konfessionen und frei von sozialen Zwängen sein. Die Beisetzung kann durch einen Redner erfolgen, aber auch durch einen Pfarrer. Wie reagieren die Kirchlichen auf diese Alternative zum Friedhof? „Erst skeptisch, aber wenn sie sich umgeschaut haben, sind sie doch angetan“, so die Erfahrung von der Försterin. „Hier passiert ja alles unter Gottes Himmel. Näher kann man ihm nicht sein.“ Cindy Wolfram nickt und erwähnt, dass es zwei Standorte gibt, die in kirchlicher Trägerschaft sind. Der Friedwald am Schwanberg (Bayern) werde sogar von Nonnen geführt.

Und sie selbst, die Försterin und die Betreuerin, haben sie sich schon über ihre letzte Ruhestätte Gedanken gemacht? „Ich weiß es noch nicht, aber es ist ein schönes Konzept“, räumt die Havelbergerin Franziska Rabe ein. Cindy Wolfram hingegen kommt aus Bernau bei Berlin und möchte gern im „Zauberwald Wandlitz“, dem Friedwald Bernau, beerdigt werden.

Der Friedwald Schönebeck in Elbenau hat eine Größe von 26 Hektar und ist am 20. Juni 2014 eröffnet worden. Rund 1.080 Personen haben sich nach Angaben des Unternehmens bereits zu Lebzeiten für einen Baum oder einen Platz dort entschieden. Rund 350 Beisetzungen haben bislang stattgefunden (Stand Ende Januar 2019).