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Umweltausschuss des Salzlandkreises informiert sich über Betriebsablauf im Bergwerk Bernburg und fährt auch unter Tage ein Geschichten zwischen Elbe und Fläming: Mit zehn Metern pro Sekunde hinunter ins Salz

Von Ulrich Meinhard 01.11.2013, 02:11

Die jüngste Betriebsbesichtigung des Umweltausschusses Salzlandkreis werden die Teilnehmer sicherlich lange in lebendiger Erinnerung behalten. Bei Esco in Bernburg ging es am Montag unter Tage, hinunter auf 530 Meter und hinein in das Salz.

Bernburg l Es schmeckt gut. Es schmeckt nach Salz. Es ist Salz. Ein kleines weißes Steinchen liegt auf meinem Schreibtisch. Wahrscheinlich war es nicht erlaubt, ihn mitzunehmen. Aber da, wo er her stammt, ist noch ganz viel davon. Unglaublich viel. Ein ganzes Meer. In der Tat: Ein in Salzkristallen erstarrtes Urmeer, dass auf einem kaum noch vorstellbaren Urkontinent unter tropischen Verhältnissen vor 250 Millionen Jahren vor sich hinwogte, liegt unterhalb von Bernburg und Ilberstedt. Ein Schatz, der seit Anfang des 20. Jahrhunderts in großen Mengen gefördert wird. Soweit zur Vorrede.

Der Umweltausschuss des Salzlandkreises (der vollständige Name lautet Umwelt/Planung/Verkehr/Wirtschaft) will sich über den Betriebsablauf im Bernburger Salzbergwerk informieren, Ausschussvorsitzender Gunnar Schellenberger (CDU) organisert einen Termin und am Montag ist es soweit gewesen.

Über Tage empfängt die Gruppe Nicole Anton am Werkstor. Der stellvertretende Werksleiter Thomas Wolperding übernimmt alsbald. Unter Tage ist er Leiter der Produktion und für die Technik verantwortlich. So haben die Besucher für "oben" und für "unten" einen fachkundigen Ansprechpartner.

Wolperding lädt die Gäste zuerst in einen Besprechungsraum. Salzgebäck gibt es nicht, dafür leckere Plätzchen. Nach einer dreiviertel Stunde ist davon aber so gut wie nichts angerührt. Offenbar sind die Ausführungen des stellvertretenden Werkleiters zu spannend, um sich nebenbei noch auf Knabbereien konzentrieren zu können.

"Wir sind nicht das Kaliwerk", beginnt Wolperding seine Ausführungen, fügt erklärend an: "Aber wir gehören zur Kali und Salz Gruppe. Und die Straße, die hier entlang führt, ist die Kalistraße. Aber wir sind ein Salzwerk." Und das gehört zur K + S Gruppe, nein, zu Esco.

Also hier muss ein wenig Konzern-Kunde folgen, zumindest in der Kurzfassung. Die K + S AG mit Sitz in Kassel ist ein börsenorientiertes Bergbauunternehmen mit den Schwerpunkten Kali- und Salzförderung und einer der weltweit führenden Anbieter von kali- und magnesiumhaltigen Produkten für landwirtschaftliche und industrieelle Anwendungen.

Im Jahr 2002 vereinigten sich K + S sowie Solveig zu Esco. Die vier Buchstaben stehen für European Salt Company, Hauptsitz ist Hannover. 2006 kam noch eine chilenische Gesellschaft hinzu und 2009 folgte ein US-amerikanisches Unternehmen. Der Jahresumsatz belief sich 2012 auf rund 3,9 Milliarden Euro. Der Umsatz in Europa liegt bei 42 Prozent, in Nordamerika bei 26 Prozent, um die beiden größten Märkte zu nennen. Weltweit werden 14500 Mitarbeiter beschäftigt, in Bernburg sind es immerhin 400 Arbeitnehmer.

Das Salzbergwerk Bernburg gehört zu Esco. Im großen Stile wird, wie erwähnt, in der heutigen Kreisstadt seit 1912 Salz abgebaut. Die Region ist allerdings bereits seit dem Mittelalter geprägt von der Salzgewinnung. Zu nennen sind hier auch die Orte Staßfurt und Schönebeck, beziehungsweise Groß Salze.

Anfangs war die Förderung in den Schächten Bernburg und Gröna auf die Gewinnung von Kalisalzen ausgerichtet. Steinsalz wird seit 1921 gefördert. Die Bergwerksfelder des Bernburger Werkes erstrecken sich über eine Fläche von rund 40 Quadratkilometern. Der Reinheitsgrad des gewonnenen Salzes (also Natriumchlorid) liegt zwischen 95 und 99 Prozent. Gute Qualität, wie Wolperding versichert. Und dann zählt er auf, wofür Bernburger Salz so alles gebraucht wird, nämlich nicht nur für die Straßen im frostigen Winter: Für Speisesalz. Für Futtermittel, zur Ledergerbung, bei der Keramikproduktion, zur Wasserenthärtung, bei der Sodaherstellung, für Backpulver. Bekannt ist Esco freilich als weltweiter Lieferant von Winterstreusalz.

"Wir haben momentan Winter."

"Wir haben momentan Winter", lässt der Bergmann wissen. Denn die Autobahnmeistereien und städtischen Bauhöfe lagern jetzt Streusalz ein für die kalte Jahreszeit. Diese Lehre hat die öffentliche Hand aus den strengen Wintern der jüngsten Zeit gezogen: lieber vorsorgen.

In punkto Speisesalz möchte Wolperding gerne Werbung in eigener Sache machen. Die Güte des in Bernburg produzierten Salzes sei sehr empfehlenswert zum Würzen. Wie gesagt, der Reinheitsgrad liegt bei 99 Prozent. Verunreinigungen sind quasi kaum enthalten. Zwar hätte das allseits bekannte Himalaja-Salz den besseren Ruf, allerdings betrage hier der Reinheitsgrad nur etwa 90 Prozent oder weniger. Der Rest, die angepriesenen Mineralien, seien aus seiner Sicht die Verunreinigungen, die es im Bernburger Salz nun eben nicht gebe.

Über fünf Schächte verfügt das Salzbergwerk Bernburg. Über den Schacht Gröna soll die Gruppe unter Tage fahren. Doch zuvor gibt es noch eine Einweisung mit dem Lebensretter. Das ist ein zirka vier Kilogramm schwerer Metalltornister, der eine Art Sauerstoffgerät enthält für den Fall, dass große Mengen Kohlendioxid oder andere giftige Gase entweichen. Genau das ist vor einigen Wochen im thüringischen Unterbreizbach geschehen. Nach einer geplanten Sprengung im Kalibergwerk kam es zu einer Gasexplosion. Drei Kumpel starben. "Das hat uns sehr betroffen gemacht", sagt Wolperding und verweist darauf, dass diese drei Bergleute hervorragend ausgebildete Fachleute waren. Sie gehörten zu einem Spähtrupp, der nach einer Sprengung stets untersucht, ob im Bergwerk alles in Ordnung ist. Einen Unfall dieser speziellen Art habe es noch nie gegeben. Aber Besucher seien noch nie unten geblieben, beruhigt er.

Dann legt der stellvertretende Werksleiter allen Brillenträgern ans Herz, auf keinen Fall ihre Lesehilfen unter Tage zu verlieren. "Das wäre fatal. Glas ist der einzige Stoff, den man im Salz nicht ausmachen kann. Ich möchte gerne darauf verzichten, ein Scherbenprotokoll schreiben zu müssen und tonnenweise Salz zu vernichten", erklärt er die Zusammenhänge.

Schlucken oder gähnen bei der Fahrt in die Tiefe.

Dann heißt es umkleiden. Raus aus den Alltagsklamotten und rein in die Bergmannskluft: weiße Hose, weißes Shirt, weiße Jacke, schwarze Schuhe, grauer Helm. Dazu gibt es eine Grubenlampe und den Lebensretter um die Schulter.

Dann wird es ernst. Der Transportkorb wird gerufen. Der Korb kommt. Alle rein. Mit zehn Metern pro Sekunde geht es hinunter. Druck auf den Ohren. "Schlucken oder gähnen", rät Wolperding. Ich entscheide mich für\'s Schlucken, das fällt nicht so auf. Auf etwa 530 Meter Tiefe hält der Korb. Eine eigene Welt tut sich hier auf. Lange Gänge verbinden die einzelnen Stollen. Wolperding und sein Kollege Rolf Wallbraun, er ist Grubenbetriebsleiter, teilen die stumm staunenden Bergwerksbesucher in zwei Gruppen auf. In zwei Jeeps geht es im rasanten Tempo unterirdisch durch ein Labyrinth von Gängen, deren Boden aussieht, als bestehe er aus Eis. Zum Glück ist ja schon gestreut. Alles ist hier aus Salz: das Oben, das Unten, die Seiten.

Nach einer Fahrt von etwa 15 Minuten stoppen die Jeeps. Über uns liegt die B 6 und Ilberstedt ist nicht weit. Riesige mobile Maschinen, deren Reifen so groß sind wie ein ausgewachsener Mann, sind in ihren Einzelteilen hinunter befördert und dann zusammengebaut worden. Allein für die Förderanlagen waren tausende Tonnen Stahl nötig. Und wenn die Technik einmal kaputt geht, muss alles wieder nach oben. Alles. Sachsen-Anhalt sei da besonders streng, verweist Wolperding auf die hiesige Gesetzgebung. Zum Glück macht die Technik hier unten lange mit. Das Salz konserviert. Das Problem sind eher die Hersteller, die nach 30 Jahren keine Ersatzteile mehr für ihre Fahrzeuge liefern, die im Bergwerk dann immer noch laufen. "Irgendwann rosten die Auspuffanlagen von innen", weiß Wolperding.

Er geht auf alle Fragen ein. Ja, es gebe Absenkungen. Sie seien Begleiterscheinungen des Bergbaus. Aber in der Regel nicht wirklich problematisch. Insbesondere Salz habe die Neigung, durch den Abbau entstandene Hohlräume wieder auszufüllen.

"Wir sind oben deutlich vernehmbar."

Und ja, die unterirdischen Sprengungen seien oberirdisch hörbar. "Wir sind deutlich vernehmbar." Deshalb sei Esco froh, vor allem bei den Ilberstedtern auf Toleranz und Verständnis zu stoßen. Und ja, zu sehen sind nur relativ wenige Menschen im "Gebirge". Der Abbau des Salzes ist großteils automatisiert. Und nein, Gesundheitsschäden der Bergleute durch das Einatmen des Salzstaubes seien nicht bekannt. "Salz wird in der Lunge sofort aufgelöst", meint Wolperding. "Gibt es noch Fragen?"

Zurück geht es zum Förderkorb. 60 Stundenkilometer zeigt der Tacho. Noch ein Abstecher zur Werkstatt. Dann in den klappernden Fahrstuhl und wieder hinauf zur Erdoberfläche. Inzwischen ist es dunkel geworden. Jeder aus der Gruppe darf in der modernen Anlage eine Duschkabine beziehen und sich den Salzstaub von der Haut spülen. Es plätschert. "In zwei Minuten wird das Wasser abgestellt", witzelt Tilo Wechelberger, der Wirtschaftsförderer des Salzlandkreises. Auch er gehört an diesem Tag zum geneigten Grubenteam. Frisch geduscht und randvoll mit unterirdischen Eindrücken der salzigen Art zerstreut sich die Gruppe in Richtung Gästeparkplatz. In der Hand halte ich den kleinen Stein. Er ist ein außergewöhnliches Stück Heimat. Würze pur. Aufgeklaubt in 500 Meter Tiefe. Irgendwo unter Ilberstedt.