1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Schönebeck
  6. >
  7. Explosion bringt Klavier zum Klingen

Kampfmittel Explosion bringt Klavier zum Klingen

Seit Wochen ruht die Baustelle an der „Froschvilla-Brücke“ in Barby wegen vermuteter "Kampfmittel". Ein Zeitzeuge stützt die Vermutung.

Von Thomas Linßner 03.06.2020, 12:32

Barby l Zwar wurden in der vergangenen Wochen mächtige Drahtkörbe zur Armierung der Bohrpfähle aus Beton angeliefert, dennoch ruht die Baustelle. Eine Tiefgründung ist notwendig, weil der Baugrund eine schlechte Tragfähigkeit besitzt. Hier befanden sich vor hundert Jahren Teiche - die angrenzende Bahnhofstraße hieß damals Colphuser Damm und wurde aufgeschüttet.

Die Baustelle wurde in der Planungsphase als kampfmittelgefährdet eingestuft. Es sei nicht ausgeschlossen, dass dort Munition aus dem Zweiten Weltkrieg liegt.

„Nur nach Freigabe durch die Polizei darf dort weiter gearbeitet werden“, sagt Bauamtsleiter Holger Goldschmidt. Eine Dresdener Spezialfirma hatte Mitte Mai die Oberfläche der Baustelle mit einem speziellen Verfahren sondiert. Wenige Tage später wurde die bauausführende Firma informiert, dass auf Grund der vorgefundenen „Störstellen“ keine Baufreigabe erteilt werden kann, teilt das Bauamt mit (die Volksstimme berichtete).

„Üblicherweise wird bei Auffälligkeiten baubegleitend durch einen Fachmann weiter gearbeitet. Das ist zur Zeit durch Corona nicht gestattet, sodass die Arbeiten erst einmal eingestellt werden mussten“, so der Amtsleiter.

Man müsse alle Eventualitäten in Betracht ziehen. Dazu würde auch die Evakuierung der Anwohner zählen, sollte etwas gefunden werden.

Nach der Volksstimme-Veröffentlichung am 26. Mai meldete sich der Barbyer Ralph Gaßler. Seine Großeltern wohnten jahrzehntelang in der „Froschvilla“, die direkt an der Baustelle steht. Der 66-Jährige erinnerte sich beim Lesen des Beitrags an Aussagen seines Großvaters Kurt Gaßler (*1898). Der habe mehrfach erzählt, wie im April 1945 beim Vormarsch der Amerikaner mehrere Granaten in der Nähe einschlugen.

Weil die amerikanischen Einheiten aus Richtung Gnadau und Wespen auf Barby vorrückten, war der westliche Stadtrand besonders betroffen. „Es muss am 12. April gewesen sein, als in der damaligen Hermann-Göring-Straße (heute Karl-Liebknecht-Straße) das Haus von Willi Lehmann einen Volltreffer bekam und ausbrannte“, zitiert Ralph Gaßler seinen Großvater Kurt.

Weitere Einschläge lagen zwischen dem Bahnhof und der Hansasiedlung, wo die „Froschvilla“ und eben die neu zu bauende Brücke stehen. „Ich weiß noch, wie mich als Kind amüsierte, wenn mein Opa von seinem Klavier erzählte, das plötzlich zu spielen begann“, so der 66-Jährige. Zur Erklärung: Durch die schweren Detonationen in der Nähe waren die Saiten des Klaviers in Schwingung geraden, als ob jemand die Tasten anschlug. Zudem seien „sämtliche Bilder“ von der Wand gefallen und Fensterscheiben gesplittert.

Maizena-Buchhalter Kurt Gaßler sei ein relativ unerschrockener Zeitgenosse gewesen. Den Vormarsch der Amerikaner habe er mit „stoischer Gelassenheit“ ertragen. „Während viele Barbyer in den Burgwald geflüchtet waren oder in ihren Kellern saßen, ist Kurt in der Wohnung geblieben“, erinnert sich Ralph Gaßler an alte Erzählungen. „Der war so dickköpfig, da konnte man nichts machen.“ Deswegen habe er die Einschläge in der Nähe „sehr intensiv“ erlebt. Es sei nicht ausgeschlossen, dass unter den Geschossen, die den westlichen Stadtrand attackierten, auch Blindgänger waren.

Dazu würden Zeitzeugen-Aussagen passen, die im Beitrag vom 26. Mai eine Rolle spielten. Kinder „puhlten“ noch in den 1960er Jahren am Landgraben in Sichtweite der „Froschvilla“ Stangenpulver aus der Erde, das von nicht detonierten Granaten stammte.

Klarheit werden letztendlich die Untersuchungen des Kampfmittelräumdienstes bringen, wenn das Baustellengelände unter die Lupe genommen wird. Das könne laut Stadtverwaltung durchaus erst Ende Juni sein.