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Reportage „Klaufix“ ist gut für Umweltbilanz

Ein Sonnabendvormittag im Saalewinkel macht deutlich, dass vor allem der „Klaufix“ auf dem Land unverzichtbar ist.

Von Thomas Linßner 24.11.2020, 00:01

Breitenhagen l „Gott erhalte Ihnen Ihre Neugier“, sagte vor etwa 20 Jahren Claus Heinrich Meyer (1931 bis 2008), Kolumnist und Redakteur der Süddeutschen Zeitung, zu mir. Er war in Barby zu Besuch, wo er Teile seiner Kindheit auf dem Rittergut verbracht hatte. Im ersten Moment erschrocken über diese Worte, kam ich aber ziemlich schnell dahinter, dass das ein positiv-frommer Wunsch war. Sollte heißen: Halt die Augen offen, Journalist, die Themen liegen auf der Straße. Man muss sie nur aufheben. Denn wer nicht von Neugier beseelt sein Büro verlässt, wird zum Termin-Journalismus neigen.

Und weil die „offiziellen Termine“ infolge Corona sowieso sehr ausgedünnt sind, fahre ich aufs Ge­ra­te­wohl in den südlichen Elbe-Saale-Winkel. Der „Buschfunk“ hatte geflüstert, dass in Lödderitz Herbstjagd sei. Da sich die offiziellen Stellen des Landesforstbetriebes seit Jahren vornehm zurückhalten, Termine wie diesen öffentlich zu machen, bin ich dankbar für den Tipp. Wie es sich herausstellte, ist Jagd im Nachbarort Kühren.

Kein Problem. Wie sagte Meyer? Die Themen liegen auf der Straße. Oder im Wald und der (Sachsendorfer-) Heide.

In Sachsendorf hebt Dieter Ochse grüßend die Hand, als ich zur Landgrabenbrücke fahre. Er hat gerade seine mächtige Kürbis-Pyramide weggeräumt, die die Leute zum Kauf animierte. Langsam droht Frost, da muss man die restlichen Kürbisse in Sicherheit bringen.

Die Landgrabenbrücke, über deren Vorgänger früher jahrzehntelang die Rübenbahnen schnauften, gehört dem Landesbetrieb für Hochwasserschutz (LHW), der das Bauwerk aber nicht braucht. Wenn sich kein Nutzer findet, der die Rechtsträgerschaft übernimmt, soll die Brücke abgerissen werden. Sie ist bis auf ein paar lockere Bohlen intakt. Der LHW will sie loswerden, die Stadt Barby nicht haben. Der Unterhaltungskosten wegen.

Weiter durch die Heide. In Rosenburg stehen Ortsbürgermeister Michael Pietschker und Ortswehrleiter Olaf Schneider vor dem Blumenladen und halten einen Schwatz. Ich erfahre, dass nebenan die Sparkasse einziehen soll. „Nun brauchen wir nur noch einen Fleischer“, sinniert Pietschker. Alles andere, das ein Dorf lebenswert macht, ist da: Kneipe, Kirche, Supermarkt, Bäcker, Arzt ... Der Ortsvater und der Feuerwehrchef geben mir noch ein paar Tipps, die aber „erst in den nächsten Tagen“ spruchreif sein sollen.

Gut. Ich fahre weiter nach Breitenhagen. Von einem Acker heben gerade einige Schwäne und Reiher ab, die sich von jeher im Saalewinkel tummeln.

Die Breitenhagener Fähre ist in Betrieb, nur an den Wochenenden nicht. Heute ist Sonnabend. Auch das Museumsschiff Marie-Gerda ist in Coronastarre verfallen. Am Ufer fotografiere ich ein lustiges Dixi-Klo, das wie Rotkäppchen aus dem Wald zu treten scheint. Es ist mit einer dicken Kette gesichert. Offenbar hat der Besitzer Angst, dass es geklaut wird.

Wer, um Gottes willen, klaut Dixis?

Mir fallen zwei junge Menschen auf, die ihre Kinderwagen mitten auf der Holperstraße schieben als sei es der Boulevard von Saint-Denis. Obwohl daneben ein glatter, neuer Fußweg verläuft. Vermutlich finden es die Babys schön, über Grauwacke-Unebenheiten in den Schlaf geholpert zu werden, denke ich. (Wenn sich dieses Argument Straßenbaubehörden zu eigen machen würden, na dann Mahlzeit ...)

Ich biege in den Holzhof ein. So heißt eine Straße, die parallel zum Deich verläuft. In der Nähe wuseln Dachdecker auf riesigen Scheunendächern herum. Wer hier lebt, wohnt idyllisch, hat aber immer das Hochwasser vor der Nase.

Zu ihnen gehört Werner Rehnecke, der mit dem „Klaufix“ angeschoben kommt. Er hat eine elektrische Hauswasserpumpe und einen Korb Äpfel auf der Ladefläche. „Möchtest du ein paar haben? Die schmecken“, sagt Werner. Ich hatte mit ihm zu tun, als er mir 2019 einen Tipp gab, der große mediale Aufmerksamkeit erregte. Werner weiß, wo ein seltener Rest des ersten Fernsehkabels der Welt die Elbe quert. Die Geschichte ging damals so durch die Decke, dass ich jedes Mal auf die Bremse trete, wenn ich Rehnecke sehe. Ein Reflex wie bei Pawlows Hund, dem immer der Speichel lief, wenn eine Glocke geläutet wurde.

Ein paar Meter weiter kommt ein Mann mit Schubkarre um die Ecke. Es ist der 83-jährige Erhard Stolpe, der mit seinem Neffen Eckard eine Hecke schneidet. Letzterer ist Ortschaftsrat und macht mich auf den nahen Elbdamm aufmerksam. Der müsse um einen halben Meter erhöht und mit Spundbohlen gesichert werden. „2013 lief der Deich bald über. Doch hier passiert ja nichts!“ Ich erfahre, dass Erhard früher Postfahrzeuge in Magdeburg reparierte. Eine ganz schöne Tour täglich zur Arbeit, sage ich anerkennend. „Ich bin zehn vor vier aufgestanden, mit dem Bus bis Sachsendorf und dann mit dem Zug nach Magdeburg“, erzählt der 83-Jährige stolz. Sage noch einer, der DDR-Mensch sei nicht mobil gewesen - im Ur-Land der Frühaufsteher.

Apropos, mobil. Keine hundert Meter weiter bringt Raik Nörhoff seinen Oleander in Sicherheit. Er schiebt auch einen „Klaufix“, den er blitzsauber restauriert hat. „Der stammt noch aus DDR-Zeiten. Durch Corona habe ich ja Zeit, so was zu machen.“

Wie es scheint, kommt kein Haushalt auf dem Land ohne Schubkarre oder „Klaufix“ aus. Ein Umstand, der für die Umweltbilanz nicht der schlechteste ist.