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Malerei Barbys blättriges Trafohäuschen

Eine Trafostation, Baujahr 1976, wurde jetzt in Barby zum Kunstobjekt. Ein Elbstädter hatte eigenständig den Pinsel geschwungen.

Von Thomas Linßner 20.11.2020, 00:01

Barby l Es gibt so bestimmte Bauwerke, an denen der Mensch täglich vorbei muss und sie wegen ihrer Tristesse schon nicht mehr wahr nimmt. So ein Ding war bis vor kurzem eine 44 Jahre alte Trafostation nahe des Barbyer Colphus. Hier werden 20 Kilovolt auf 230/400 Volt „herunter gespannt“. Der Trafo sorgt in dem westlichen Stadtviertel für eine stabile Spannung, die in den Steckdosen anliegt. Betreiber ist der Energieversorger Avacon, der rund 30 Stationen im Stadtgebiet von Barby unterhält.

Doch nur ein Trafo-Häuschen darf für sich in Anspruch nehmen, sehr opulent künstlerisch gestaltet worden zu sein. (In der Beckmannstraße gibt es einen kleinen Nachwende-Trafo, den ein Blutpflaumenmotiv ziert.)

„Ich komme am Colphuser Platz täglich vorbei. Die Wände der Station schrieen regelrecht nach Gestaltung“, beschreibt Frank Liersch seine Motivation, etwas zu verändern. Er wohnt nur ein paar Häuser weiter in der Karl-Liebknecht-Straße. Der 59-Jährige ist in Sachen Fassadengestaltung in Barby kein Unbekannter. Spätestens mit dem 8,70 mal 2,70 Meter großen Monumentalwerk an der „Caféecke“, das nach Abriss des Hauses den visuellen Originalzustand von früher konserviert, ist Liersch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Wobei er zuvor im historischen Gasthaus „Rautenkranz“ seine Handschrift flächendeckend hinterließ.

Der Barbyer entstammt einer Maler-Dynastie und kann offenbar nicht anders. Es existiert ein historisches Foto von Großvater Julius, wie der das Gestühl der Marienkirche mit Pinsel und Ölfarbe veredelt. Das war die große Zeit der Schablonenmalerei. Jedoch Frank - bei allem Respekt - übertrifft seine Vorfahren, weil er mit einem kreativen Händchen gesegnet ist. Und auch etwas fürs Allgemeinwohl schaffen will, nicht allein der eigenen Reputation wegen.

Doch zurück zur Trafostation, die vom VEB Energieversorgung 1976 errichtet wurde. Man baute die bis dahin mehrstöckigen Trafohäuschen schon flacher. Das wahrhaft antiquarische Betriebsbuch aus aller feinstem DDR-Holzpapier ist bis heute im Gebrauch. Hier trägt sich noch immer ein, der eine Wartung oder „Schalthandlung“ vornimmt.

Erste Elektromonteure waren die „Koll. Schäfer, Osterloth und Klietz“, die am 15. Dezember 1976 um 8.10 Uhr die Anlage für den Dauerbetrieb frei gaben. So eine Station künstlerisch zu gestalten, wäre damals niemanden in den Sinn gekommen. Es war ein reiner Zweckbau - der Preis für die Kilowattstunde (kWh) lag bei acht Pfennig.

Daran kann sich auch Thomas Braumann erinnern, der seine Karriere bei der „EV“ (Energieversorgung) 1976 begann. Heute trägt sein Tun die etwas sperrige Berufsbezeichnung „Referent Kommunalmanagement“. Braumann ist ein lockerer und verbindlicher Typ, der die Idee Trafogestaltung gleich begrüßte. „Könnt ihr machen, wir haben für die Farbe einen kleinen Obolus eingestellt“, gab er grünes Licht zur Trafo-Gestaltung. Die Avacon ließ die bröckelige Fassade sanieren und Frank Liersch konnte los legen. Das war vor knapp drei Jahren.

Und weil Künstler Inspiration brauchen und der Broterwerb mit so profanen Dingen wie Wohnungen tapezieren und Fassaden putzen im Vordergrund standen, dauerte es. Bis zum November 2020, als Frank Liersch derart die Muse küsste und er los legte. Er gesteht, „von irgendwas inspiriert zu werden müssen“. Vielleicht lag es in diesem Fall daran, dass sich ein paar minderjährige „Nachwuchskünstler“ anschickten, ihre Krakel an die Station zu sprühen.

Einige Tage lang stand der 59-Jährige bei vollem Sonnenschein und mit guter innerer Stimmung an der Trafo-Fassade und malte. Unter den typischen „Liersch-Bäumen“ ist die Industriesilhouette vom vitalen Weizenverarbeiter Cargill und dem toten Wasserwerk zu sehen. Das ist kein Zufall - erkennt man vom Colphuser Platz aus mit bloßem Auge die Gebäudeumrisse in Barby-Nord. Eine gute Kombination aus stilisierter Naturästhetik und dampfendem Industrie-Komplex.

„Ist schon erstaunlich, was man erlebt, wenn man öffentlich so ein Triptychon malt“, wundert sich Liersch. Überwiegend seien die Reaktionen der vorbei kommenden Leute positiv gewesen. Nach dem Motto: Endlich wird die „olle Station“ verschönert.

Es habe aber auch Augenblicke gegeben, wo der Maler im ersten Moment sprachlos war. So habe ein Mann gefragt, was das den für „komische Luftballons“ seien. Gemeint waren die Bäume, deren Kugelform (und noch nicht vorhandene Blätter) diese Kunstbetrachtung verursachten. „Ich habe gesagt: Das werden Weihnachtsbaumkugeln“, konterte der Meister trotzig. „Ich habe über tausend Blätter gemalt“, erzählt Liersch. Wer Lust hat, könne ja nachzählen. Auf die Idee mit den fröhlichen Bäumen - die sich bereits Leute an die Wohnzimmerwand malen ließen - seit er bei der Kinderzimmergestaltung seines Enkels Jonathan gekommen.

Avacon-Referent Thomas Braumann hält die Gestaltung der Colphus-Station „für sehr gelungen“. „Hat ja eine ganze Weile gedauert. Aber das Ergebnis überzeugt mich“, so Braumann, der diese Art der Gestaltung sehr begrüßt. Nach seinen Worten lasse das Energieunternehmen rund 50 Stationen pro Jahr künstlerisch gestalten. Zumeist seien es Profi-Sprayer aus Potsdam, die dafür engagiert würden. „Über die Gestaltung machen wir uns keine Gedanken und lassen die machen“, grinst Braumann hintersinnig. Damit meint er die selbstbewusste Weise, wie Künstler ans Werk gehen.

Die Umspannstation wird nicht ewig gebraucht. Braumann sprich von „etwa fünf Jahren“. Danach sollte das Gebäude aber erhalten bleiben.