Fachärztin Annette Schmalenberger: "Ziel ist der Erhalt einer annehmbaren Lebensqualität" Mit dem Älterwerden der Menschen steigt die Bedeutung der Palliativmedizin
Palliativmedizin nennt sich ein Fachbereich der Schulmediziner, der auf die Behandlung von Patienten mit einer voranschreitenden oder weit fortgeschrittenen Erkrankung abzielt. Eine der wenigen Fachärztinnen für Palliativmedizin in Sachsen-Anhalt ist Annette Schmalenberger. Sie sieht einen wachsenden Bedarf einer medizinisch begleitenden Versorgung Betroffener.
Schönebeck l "Medicus curat, natura sanat." Dem großen griechischen Arzt Hippokrates wird dieser Spruch zugeschrieben. Übersetzt heißt er soviel wie: Aufgabe des Arztes ist es, den Patienten solange zu unterhalten, bis die Natur ihn geheilt hat. Ob nun die moderne Schulmedizin diesem Credo viel Sympathie entgegen bringt, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Fest steht aber auch, dass das irdische Leben endlich und Krankheiten zuweilen von niemanden mehr geheilt werden können, auch von der Natur nicht.
"Ziel ist es, die Patienten so lange wie möglich zu Hause zu begleiten und zu betreuen."
Annette Schmalenberger
Palliativmedizin nennt sich der Fachbereich, der sich mit Menschen, die eine fortschreitende Krankheit haben, auseinandersetzt und sie versorgt. Dabei geht es vorrangig darum, dem Betroffenen eine möglichst hohe, eine annehmbare Lebensqualität zu sichern, wie es die Diplom-Medizinerin Annette Schmalenberger im Volksstimme-Gespräch ausdrückt. Die Ärztin arbeitet unter anderem am Ameos Klinikum Schönebeck und sieht sich tagtäglich in ihrer Arbeit mit schweren und schwersten Krankheiten konfrontiert. "Ziel ist es, die Patienten so lange wie möglich zu Hause zu begleiten und zu betreuen", erläutert sie. Durch die zielgerichtete Behandlung der Symptome, in der Regel also eine Reduzierung und Ausschaltung von Schmerzen, sei das gut möglich. Es müsse freilich immer individuell geschaut werden, was der Patient daheim leisten kann und wo er auf Pflege angewiesen ist. Vorteil einer stationären Behandlung ist natürlich das gezielte Einleiten einer Therapie, verweist Annette Schmalenberger auf die Alternative.
Gemeinsam mit Kollegen und sozialen Einrichtungen arbeitet die Ärztin in einem Netzwerk zusammen. Zu dem gehören unter anderem Hausärzte und Pflegeeinrichtungen, etwa die Caritas-Sozialstation als ambulanter Pflegedienst. Zudem gibt es ein Zusammenwirken mit den Pfeifferschen Stiftungen in Magdeburg. Die dortige Klinik hat in den vergangenen Jahren ein Hospiz eingerichtet. Doch der Bedarf an Plätzen ist höher als das Angebot.
"Der palliative Gedanke nimmt zu", weiß Annette Schmalenberger und verweist damit auf die sich ständig erhöhende Lebenserwartung der Menschen. Krankheiten, die früher ein sicheres Todesurteil waren, können heute behandelt und gelindert werden, das Leben wird verlängert und oft auf eine mehr als nur erträgliche Weise.
Ähnlich wie die Themen Sterben und Tod würde sie auch die Palliativmedizin eher zu den Tabuthemen rechnen, noch, denn angesichts der demografischen Entwicklung und der damit zwangsläufig verbundenen Auseinandersetzung um ein Dasein im Pflegezustand breche dieses Tabu nun auf.
Die Ärztin plädiert für räumliche Bedingungen etwa an Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen, die den Bedürfnissen Sterbender und auch ihrer Angehörigen gerecht werden. "Das würde vieles erleichtern", meint die Medizinerin.
Allen Menschen rät sie, sich frühzeitig darüber klar zu werden, wie sie im Falle eines schweren Unfalls oder schweren Krankheit, wenn sie selbst ihren Willen nicht mehr äußern können, behandelt werden wollen. Sollen lebenserhaltende Maßnahmen auch dann angewendet werden, wenn medizinisch keine Aussicht auf Besserung besteht? Dazu kann eine Vorsorgevollmacht hinterlegt werden. Es reicht zumeist aber auch aus, seine Vorstellungen gegenüber dem Familienkreis zu erklären.
Auf die Frage, wie sie mit den zuweilen belastenden Schicksalen persönlich fertig wird, sagt die Ärztin: "Wichtig ist ein natürlicher Umgang. Der Schrecken vor Sterben und Tod hat sich bei mir ein Stück weit verloren durch die Menschlichkeit, die ich erlebe." Ihre Tipps für Angehörige, die ihre Verwandten pflegen oder in den Tod begleiten: Fenster öffnen, ätherische Öle zur Anwendung bringen, Lippen befeuchten. "Und vor allem Nähe geben." Denn die Linderung des Leidens vollzieht sich nicht nur über Medikamente. Interessierten empfiehlt Annette Schmalenberger zum Thema das Buch von Ralf Jox "Sterben lassen: Über Entscheidungen am Ende des Lebens". Es gewährt Einblicke in den Alltag auf deutschen Intensivstationen und zeichnet ein Bild der Lage von der Patientenverfügung bis zur Suizidbeihilfe.
"Der Bedarf für ein Hospiz ist da. Und er wird steigen."
Gudrun Schedler
Auch die Vorsitzende des Schönebecker Seniorenrates, Gudrun Schedler, hat sich gegenüber der Volksstimme bereits mehrfach für die Etablierung eines Hospizes im Altkreis Schönebeck ausgesprochen. "Der Bedarf ist da. Und er wird steigen. Eine solche Einrichtung kann das Sterben in Würde ermöglichen helfen", ist sie überzeugt.