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Psychotherapie Bis zu ein Jahr Wartezeit

Wer mit Ängsten oder einer Depression zu kämpfen hat, der muss vor allem eines mitbringen: Geduld. Das zeigt ein beispiel aus Schönebeck.

Von Paul Schulz 18.07.2020, 01:01

Schönebeck l Die Therapie und Behandlung von Ängsten, Depressionen und zwischenmenschlichen Konflikten gehören zu dem Tagwerk von Psychotherapeuten. Und immer mehr Menschen suchen mit diesen oder anderen Problemen eben jene auf, um Hilfe zu finden. Laut einer Mitteilung der Barmer Sachsen-Anhalt ist zwischen den Jahren 2009 und 2018 die Zahl der Patienten von 32.700 auf 59.000 angestiegen –und damit um rund 80 Prozent.

Das merkt auch Verhaltenstherapeut Ulf Wiegmann, der seit 13 Jahren in Schönebeck praktiziert. „Ich habe eine lange Warteliste an Patienten. Zwar sind bei neuen Patienten vorab immer mal Gespräche möglich, aber bevor eine richtige Therapie beginnen kann, vergehen schon Mal sechs bis zwölf Monate.“ Diese Wartezeit verdeutlicht, dass die Nachfrage groß ist. Laut Barmer würden – statistisch gesehen – auf 100.000 Einwohner in Sachsen-Anhalt 22 Psychotherapeuten kommen. Das sei der niedrigste Wert im Ländervergleich. In Schönebeck gibt es sieben Psychotherapeuten, denen rund 30.500 Bürgern gegenüberstehen. Die langen Wartezeiten benennt der Schönebecker Psychotherapeut aber ganz klar als ein Problem. „Oftmals ist die Behandlung schwieriger, wenn sich der Beginn der Therapie hinauszögert“, sagt Wiegmann.

Darüber, warum die Zahl der Patienten in den vergangenen Jahren immer weiter ansteigt, sei die Wissenschaft noch uneins, so Ulf Wiegmann. „Jedoch überweisen Hausärzte heutzutage öfter an uns Psychotherapeuten, wenn sie zum Beispiel eine Depression beim Patienten vermuten. Ich habe den Eindruck, dass das Auge für solche Erkrankungen geschärft wurde“, sagt Wiegmann. Außerdem sei die Hemmschwelle der Menschen gesunken. Es sei längst nicht mehr so „verpönt“ einen Psychologen aufzusuchen, wie noch vor einigen Jahren.

Die Probleme der Patienten sind facettenreich. Aber Ängste und Depressionen – und meist auch deren gegenseitige Wechselwirkung – sind am weitesten verbreitet. Patienten mit einer Spinnen- oder Schlangenphobie habe er hingegen noch nie behandelt, so der Schönebecker Therapeut.

Ein bedeutender Bestandteil der Therapie ist natürlich das Gespräch. Gemeinsam werden die Probleme, Sorgen und Nöte erörtert, und es wird nach Lösungen gesucht. Leidet beispielsweise ein Patient an einer Agora-Phobie, also der Angst vor großen Menschenmengen, vermittelt Wiegmann ihm verschiedene Entspannungstechniken oder Atemübungen, die dazu beitragen, die Stresssituation zu bewältigen.

Dann geht es darum, sich schrittweise der Angst zu stellen. „Zusammen mit dem Patienten erarbeite ich eine Angst-Hierarchie. Stufenweise notieren wir verschiedene Angstsituationen. Von ganz kleinen Situationen, wo sich der Patient vielleicht nur ein wenig unwohl fühlt, bis hin zu großen Herausforderungen.“ Um beim Beispiel der Agora-Phobie zu bleiben, wäre also vielleicht der Aufenthalt in einem kleinen Geschäft bei zehn Prozent Angst. Der Besuch in einem vollen Fußballstadion hingegen bei 90 oder gar 100 Prozent.

Es gilt Stück für Stück die Stufen der Angst-Hierarchie zu erklimmen. „Wenn man sich häufig genug den kleineren Ängsten stellt, gewöhnt man sich daran. Irgendwann ist eine Situation kein Problem mehr, und man kann das nächste Level angehen“, so Wiegmann. All das ist natürlich nicht nur in der reinen Therapiezeit umzusetzen. Darum gibt der Psychologe auch „Hausaufgaben“ auf – beispielsweise mehrfach am Tag über den Schönebecker Marktplatz zu spazieren.

Die Kosten für die Therapiestunden übernehmen in der Regel die Krankenkassen. „Die ersten 24 Sitzungen werden meist relativ unkompliziert übernommen. Bei einer weiterführenden Therapie muss gegebenenfalls begründet werden, warum weitere Sitzungen erforderlich sind“, sagt Ulf Wiegmann.