Sommerserie Schönebeck: Einen Tag auf dem Fahrgastschiff „Marco Polo“
Die Berufswelt ist vielfältig. Was verbirgt sich hinter welcher Tätigkeit? Volksstimme-Redakteure schnuppern in der Sommerserie „Einen Tag als ...“ in so manch interessanten Beruf hinein. Heute verbringt Reporter Olaf Koch einen Tag auf der „Marco Polo“.

Schönebeck - Anstatt Nachrichten zu sichten und die Zeitung zu füllen, wechselte Volksstimme-Redakteur Olaf Koch einen Tag lang auf die „Marco Polo“. Was er dort erlebte.
Die Zeit des Shanghaien ist lange vorbei. Sie wissen, was das bedeutet? Als Shanghaien wurde früher eine Praxis beschrieben, wonach – meist asiatische – Seeleute in billigen Spelunken betrunken gemacht und anschließend aufs Schiff verschleppt wurden. Dort angekommen, wachten sie mit Kopfschmerzen auf hoher See auf und mussten für den Kapitän schuften, bis sie irgendwann mal wieder im Ausgangshafen ankamen. Und heute?

Heute wird geschönebeckt. Freiwillig meldet sich Volksstimme-Reporter Olaf Koch bei der Reederei Süßenbach und ist pünktlich zum Dienstbeginn an der Anlegestelle. „Wir duzen uns alle an Bord“, empfängt mich mit einem ausgeschlafenen Lächeln Maren Süßenbach. Sie ist die Servicechefin und seit 2012 auch Schiffsführerin. Sie schmeißt an diesem Sonntag sozusagen den Laden, ich bin ihr engagierter Praktikant – der erstmal die Tische zu wischen hat. Gut, denke ich mir, Sascha Hehn hat als Schiffssteward Victor auf dem „Traumschiff“ auch klein angefangen.
Ab in den flachen Bauch!
Gut zwei Stunden vor der Abfahrt kommt auch der Geschäftsführer der Reederei und gleichzeitig Schiffsführer Tobias Süßenbach an Bord. Er will als erstes den 360 PS-starken Motor anwerfen, hat aber zuvor einen Routinecheck durchzuführen. Um in den Maschinenraum zu kommen, muss er erstmal hoch hinaus. Vom Oberdeck nämlich geht es tief hinunter in den gar nicht so dicken Bauch der „Marco Polo“. Es riecht nach Diesel. Tobias und ich müssen gebückt laufen, als würden wir uns vor dem Schiff und Neptun verneigen müssen. Der Hilfsdiesel, auch Jockel genannt, läuft inzwischen. Er produziert den Strom, damit in der Kombüse die ersten Vorbereitungen für die Sonntagsfahrt mit Mittagessen und Kaffeetrinken beginnen können.
Zurück im Salon hat Maren nicht die nächste Aufgabe für den aufstrebenden Jungmatrosen, sondern meine heutige Dienstkleidung: ein schneeweißes Uniformhemd mit Schulterklappen und zwei goldenen Streifen sowie einen passenden Schlips mit Anker-Logo. „Der Dienstgrad bei zwei Streifen bedeutet Klabautermann?“ Nein, meint Maren, Matrose. Ein Streifen trägt der Decksmann, drei der Steuermann und vier der Kapitän.
Wie aufs Stichwort kommt Sylvio Süßenbach an Bord. Er ist der Kapitän, ein alter Hase, der seit 1978 auf Europas Binnenwasserstraßen unterwegs ist. Er kann so manchen Seemannsgarn erzählen. Keine Seeräubergeschichten, aber er kennt so viel Details zum Fluss und anderen Schiffen. Der „alte Seebär“ ist ein wandelndes Archiv. Kapitän Süßenbach trifft auf mich – auf „Captain Cook“ auf Zeit.

Es ist kurz nach halb 12. Maren und ich müssen die Passagiere in Empfang nehmen, die die Fahrt gebucht haben. „Und lächeln“, fordert sie mich auf, dann beginnt das Boarding. Nach und nach kommen die Gäste an Bord und suchen sich ihren Platz. Die Fahrt heute ist nicht ausgebucht, was den Aushilfskellner der Volksstimme nicht unbedingt unglücklich macht. Wir nehmen die ersten Bestellungen auf: Bier, Wasser, Schorle. Mit einem habe ich von Anfang an Schwierigkeiten: Es sind die spezifischen Abkürzungen für die Getränke an Bord. Als Landratte weiß ich nicht was „ASS“ bedeutet. Ein Schmerzmittel wird es bestimmt nicht sein, das ein Passagier bestellt hat. „Apfelsaftschorle“, hilft mir Maren weiter. Hätte ich drauf kommen können.
Das Rind war ein Schwein
Danach wird es langsam stressig, die Bestellungen für das Mittagessen kommen rein. Es gibt Salat, Hähnchenroulade, Schweinefilet, Spätzle und Kartoffeln. Und schon patze ich: „So, hier ist Ihr Rinderfilet“, und reiche das Essen: Rind?, meint der Herr, er wollte doch Schwein. „Ja stimmt, Das hier war früher mal ein Rind. Jetzt ist es ein Schwein“, versuche ich die Situation zu retten. Der Mann nimmt es genauso wie ich mit Humor.
Was die Passagiere nicht mitbekommen: Im Maschinenraum ist ein Hydraulikschlauch gerissen. Während Flüssigkeit ausläuft, stehen Schweißperlen auf der Stirn von Tobias Süßenbach. Kann er den Schaden nicht sofort reparieren, steht eine Absage der Fahrt bevor. Doch er und ein befreundeter Schiffsbauer aus Schönebeck, der zur Rettung an Bord kommt, können das Leck dichten. Die halbe Stunde Verzögerung überbrückt Kapitän Süßenbach gekonnt mit allerlei unterhaltsamen Geschichten zur Elbe und zum Schiff.

Heute haben wir Windstärke 6 bis 7, die die Gäste nicht nur auf der Elbe an den leichten Schaumkronen sehen, sondern auf dem Oberdeck auch spüren. Dort lassen sich zwei fidele Damen aus Schönebeck den Wind um die Nase wehen, den Rest der kompletten Fahrt übrigens. Ich bringe ihnen Getränke nach oben und übernehme kurz das Entertainment. Wenn ich den beiden Frauen glauben darf, dann bin ich besser als Harald Schmidt als Kreuzfahrtdirektor Schifferle im „Traumschiff“.
Inzwischen hat Sylvio Süßenbach die „Marco Polo“ bis zur Hubbrücke nach Magdeburg gefahren. Dort muss er umdrehen. „Der Wasserstand ist zu gering, um den Domfelsen sicher passieren zu können“, begründet er. Die „Marco Polo“ hat einen Tiefgang von 80 Zentimetern. Schade, denn die Vorbeifahrt am imposanten Dom wäre ein Höhepunkt der Fahrt gewesen.
Paul und das Steuerrad
Den hat der vierjährige Paul aus Schönebeck in einem anderen Moment. Als er mit seinem Papa am Steuerhaus vorbeikommt, kann der Kapitän, der selbst Opa ist, die Frage in den Augen des Kleinen ablesen. Selbstverständlich darf er auf den Schoß und das riesige Steuerrad anfassen und gemeinsam mit Süßenbach das Schiff lenken.

Kurz vor 17 Uhr erreichen wir mit unseren Gästen wieder die Stadt Schönebeck. Langsam gleitet die „Marco Polo“ unter der alten Elbbrücke hindurch. Von hier aus zeigt sich ein Blick auf die Altstadt, den man nicht immer hat. Nach dem Anlegen verlassen nur zufriedene Passagiere das Schiff. „Geschafft“, resümiert Maren Süßenbach die Sonntagsfahrt und stellt mir noch ein Kurzzeugnis aus. „Gut finde ich, dass du keine Angst vor Menschen hast. Und du bist sehr freundlich.“
Das war kein Flunkern. Auch ich ziehe eine Bilanz: Die Crew hat mich vom ersten Moment an in ihre „Familie“ aufgenommen. Zum Glück war das Schiff nicht voll ausgebucht. Ansonsten wäre es für mich als Praktikanten echt hart gewesen. Und sollten die Süßenbachs mal wieder einen „Victor“ oder „Schifferle“ benötigen, ich wäre bereit. Ahoi!