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Experte Sein Herz schlägt für die Glocken

Er kann wohl als Glockenexperte bezeichnet werden: Der 79-jährige Schönebecker Joachim Freyer.

Von Heike Liensdorf 07.04.2016, 01:01

Schönebeck l Seinen ersten Vortrag hat er im Juni 2006 vor der Frauengruppe der Kirchengemeinde Atzendorf/Förderstedt gehalten, seinen 50. Vortrag im März 2015 auf Einladung des Kultur- und Heimatvereins Eggersdorf. Joachim Freyer und die Glocken - das ist ein Kapitel für sich. Nicht nur im Buch „Kirchen des Landkreises Schönebeck“, das 2004 erschienen und schnell vergriffen war. Auch im Leben des rüstigen Seniors.

Seine Leidenschaft fürs kirchliche Geläut zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben. Joachim Freyer stammt aus dem Erzgebirge. „Abends gab es immer das Glockenläuten. Das ist haften geblieben“, erzählt er. Freyer hat Schiffbauer gelernt, in Thüringen seinen Abschluss als Ingenieur für Erzaufbereitung gemacht. Die Basis für die Glockenkunde. Ein halbes Jahr hat er in Staßfurt gearbeitet, dann in Magdeburg.

Sein Buch sei „ein kleines Abenteuer für sich“ gewesen, erzählt Joachim Freyer schmunzelnd. 2001, bei Jubiläumstreffen und goldener Konfirmation der ehemaligen Mitschüler der sogenannten Tellerschule in Schönebeck (jetzt Pestalozzi-Förderschule) habe er einige Aufnahmen von Kirchen im Landkreis gezeigt. „Der Theologie-Professor Arno Sames, ebenfalls ,Tellerschüler‘, ermutigte mich, mein Wissen in ein Buch zu verpacken“, erzählt Joachim Freyer.

Gesagt, getan. Nach zweijähriger intensiver Recherche in den Kirchen des Altkreises wurde das Buch in Calbe gedruckt. Der bereits verstorbene Schönebecker Pfarrer Hans Gottschalk schreibt im Vorwort: „Joachim Freyer hat gezeigt, wozu das Engagement eines Einzelnen führen kann, der von einer selbst gestellten Aufgabe fast besessen ist. Dafür gebührt ihm besonderer Dank.“

Glocken sind „großes Kunstgut, kirchlich und kunsthistorisch gesehen“.

Mit dem Kapitel „Kleine Glockenkunde“ wollte Freyer darauf hinweisen, was ihm besonders am Herzen liegt: das Schicksal der wertvollen mittelalterlichen Glocken. „Sie sind ein großes Kunstgut, kirchlich und kunsthistorisch gesehen“, erklärt er.

Er konnte Inhaber deutscher Glockengießereien überzeugen, sich mit ihren bekanntesten beziehungsweise aktuellsten Erzeugnissen im Buch vorzustellen. Für den Schönebecker entstanden daraus enge Kontakte zu Glockenfachleuten, die bis heute bestehen und zur eigenen Profilierung Freyers beitrugen. „Mein fachliches Grundwissen für diese Thematik hat sich aus der langjährigen Lehrtätigkeit im Fachgebiet Werkstoffkunde an der Ingenieurschule für Chemie ,Justus von Liebig‘ in Magdeburg ergeben“, erklärt er.

Ein Weg- und Wissensbegleiter war ihm immer Klaus Hennecke. Sein einstiger Klassenkamerad aus der Schulzeit fuhr mit ihm zu den sakralen Bauten im Altkreis. Beide nutzten die Möglichkeit, Zeitzeugen zu den Klangkörpern zu befragen. „Übrigens: Die Wege zu den Glocken waren zum Teil schwierig“, verrät Joachim Freyer.

Bei den Gesprächen bemerkten die beiden immer wieder erhebliche Wissenslücken, so Freyer. „Das muss sich ändern“, so seine innere Einstellung und daher auch sein Elan, ein neues Projekt anzugehen: Er bot den Kirchengemeinden, Heimat- und Fördervereinen an, Vorträge über Glocken zu halten. Kostenfrei. „Ich will kein Geld damit verdienen, ich will nur Wissen vermitteln“, betont der heute 79-Jährige.

Wer einen seiner Vorträge besucht hat, wird bezeugen können, dass ihm dies gelungen ist. „Die mit zahlreichen Bildern unterlegten Vorträge fanden immer eine große Zustimmung“, kann er rückblickend sagen. „Ich war bestrebt, viel Neues über die wohltönenden ,Riesen‘ zu berichten, was die Gäste mit großem Interesse verfolgt haben.“

Ein Fakt, der nie fehlen durfte: Joachim Freyer hat immer ausführlich den Übergang von der Bienenkorbglocke zur Zuckerhutglocke erläutert. „Der ist nur durch eine entscheidende Änderung der Herstellungstechnologie möglich geworden.“

Er erklärt: Mit dem Wachs-ausschmelz-Verfahren gab es keine Weiterentwicklung der Glocken. Es eignete sich nur für kleine Glocken mit steilen Flanken (Bienenkorbform), die einen dumpfen Klang hatten. Mitte des 12. Jahrhunderts setzte sich deshalb das bis heute praktisch unveränderte Lehmschablonen-Verfahren durch und führte zur allgemein bekannten Glockenform. Mit dieser Technologie gossen bekannte Gießer besonders im 15./16. Jahrhundert Glocken mit herrlichem Klang. Wie unter anderem die Gloriosa des Erfurter Doms, „die Königin unter den Glocken“, gerät Freyer ins Schwärmen.

Der Schönebecker ist glücklich, nach dem Buch auch noch die Vortragsreihe angegangen zu sein: „Mein Wissen über die Glocken gebe ich gern weiter. Die Gastfreundschaft der Veranstalter und eine interessierte und aufgeschlossene Zuhörerschaft sorgten für emotional beeindruckende Erlebnisse, die uns in Erinnerung bleiben.“

„Uns“ - damit meint er seine „Helfer“ Klaus Hennecke und Karl-Heinz Grzonka. Auf ihre Unterstützung konnte er bei fast allen Vorträgen bauen.