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Sommerserie Wie man ein Boot auf der Elbe fährt

Die Berufswelt ist vielfältig. Ein Volksstimme-Volontär erlebt in Frohse die Abenteuer und Risiken einer Bootsfahrt.

Von Sebastian Rose 30.07.2019, 11:00

Schönebeck l Für einen Sommertag ist es verdammt kalt an diesem Morgen. Kühle 16 Grad Celsius beträgt die Lufttemperatur. Die Elbe hat immerhin zwei Grad mehr. Sonnabendmorgen, pünktlich um 8.30 Uhr, betreten Bootslehrer Carlo Linke, sein Schüler Matthias Müller und ein neugieriger Volksstimme-Volontär den Hafen in Frohse. Der Steg gibt leicht nach, aber kein Grund zu Panik. Der neue Bootslehrer weiß, was zu tun ist.

„Ganz schön kalt heute“, versuche ich die Stimmung ein wenig aufzulockern. Die beiden grinsen bloß und meinen: „Oder du bist schlecht vorbereitet.“ Tatsächlich dachte ich mir morgens noch, dass ich nicht mal eine Jacke brauchen würde, es schien schließlich die Sonne.

Eine Stunde später bereute ich es, keinen Pullover mitgenommen zu haben. Carlo und Matthias hingegen fühlten sich sichtlich wohl in ihrer Funktionskleidung. Und bei meinem fröstelnden Anblick wurde den beiden wohl noch ein klein wenig wärmer. Zumindest ums Herz.

Jetzt geht es aber los. „Was gilt es zu beachten?“, fragt Carlo seinen Bootsschüler. Die Frage kann Matthias mittlerweile im Schlaf beantworten. „Als Erstes checken, ob die Führerscheine und Fahrzeugpapiere mit an Bord sind. Danach wird das Wasser, der Ölstand, die Luft, der Kraftstoff und die Energie kontrolliert“, weiß er. Prinzip „Wolke“: Das W steht für Wasser, das O für Öl, das L für Luft, und so weiter.

Wer denkt, jetzt geht es endlich los, hat wohl die vielen Seile nicht gesehen, mit denen das Boot am Steg befestigt ist. Vorleine, Vorspring, Achterspring und Achterleine werden teilweise gelockert und schon abgemacht. „Weil der Wind von hinten kommt und das Boot mit dem Heck ausfahren wird, lösen wir die Vorleine als Letztes“, sagt Carlo.

Alle Leinen los, Fender rein, Bootshaken rein! Langsam schippert das kleine Schiff rückwärts aus der Parkbucht. Als Erstes werden im Hafenbecken die verschiedenen prüfungsrelevanten Manöver geübt. Kursänderungen, Aufstoppen, Mann über Bord. Matthias gibt sein Bestes. Im gelingt viel an diesem Tag. Carlo gibt wichtige Tipps. Der Wind zieht. Es ist kalt. Zu meinem Unglück heißt es dann: „Ab auf die Elbe! Aber denk an die anderen Boote. Nicht zu schnell im Hafen fahren.“

Was soll ich sagen, mit dem Wind im Rücken ist es auf der Elbe wunderschön. Die Elbbrücke von Schönebeck erkennt man in der Ferne. Möwen kreischen, der Motor tuckert vor sich hin und Carlo gibt Anweisungen.

Wenn Sie, liebe Leser, sich fragen, warum wir uns auf dem Boot duzen? „Auf dem Boot sind wir alle gleich!“

Dann schlägt meine große Stunde. Matthias weiß auf einmal nicht mehr, wo es lang geht, und ich zeige ihm den Weg (wie auf dem Foto oben unschwer zu erkennen ist). Ich navigiere gekonnt den eigentlichen Bootslehrer und unseren Schüler Matthias wieder sicher in den Hafen. Kein Problem für mich. Dafür sind Bootslehrer ja schließlich da.

Wieder zurück im Hafenbecken gibt es eine kurze Verschnaufpause. Carlo analysiert den Tag: Das läuft schon gut, das muss noch verbessert werden. „Zur Prüfung muss ja alles sitzen“, meint Carlo. „Ich möchte natürlich, dass meine Schüler auch nach der Fahrschule ihre Kenntnisse benutzen und versuche alle möglichen Situationen abzudecken“, erklärt er weiter.

Während er das sagt, fährt das Boot schnell in Richtung der Hafenwand. Matthias ist angespannt, und ich mache mich bereit, sofort ins Wasser zu springen, falls es zu knapp werden sollte. „Aufstoppen unter Stress“, nennt Carlo das Prozedere. Stress für wen, frage ich mich. Derweil steigt mein Puls auf knapp 450 Schläge an. Im letzten Augenblick legt Matthias den Leerlauf ein, dann den Rückwärtsgang und stoppt auf. Carlo ist zufrieden. Und ich bin es auch. „Aye, Sir. Gut gemacht“, denke ich mir. Das auszusprechen wäre aber wohl zu peinlich. Cool schüttel ich Schüler Matthias anschließend zum Abschied die Hand. „Gut gemacht“, grinse ich.

Ein wenig später, noch am gleichen Tag, bin ich immer noch erledigt vom Stresstest. Gut, dass jetzt der entspannte Theoriekurs stattfindet. Die Teilnehmer stehen schon am Eingang der Bootschule, die sich auf dem Gelände des Yachthafens befindet, als ein Auto angebraust kommt. Ein Typ mit Sonnenbrille steigt aus und läuft zielsicher zu den Kursteilnehmern. Scheinbar ist die Sonnenbrille so ein Bootslehrer-Ding. Gut, dass ich noch eine mit im Auto dabei habe.

Der Kursreferent ist Christian Franke. Der Inhaber der Sportbootschule „Christians“ persönlich. „Soooo, eins vorneweg: Wir duzen uns hier im Kurs“, meint er. Den Teilnehmern gefällt‘s. „Wozu benötigen wir überhaupt den Funkschein?“, fragt Christian Franke in die Runde. „Für den See-Führerschein“, antworten die Kursteilnehmer. „Richtig“, sage ich und habe somit schon einen Teil des Bootslehrerseins verinnerlicht: Sei immer auf alles gefasst. „In der Not müssen wir eben eingreifen“, meinte Carlo wenige Stunden vorher noch zu mir.

Für den Binnenschein, also die Erlaubnis, um weltweit auf Flüssen und Seen zu fahren, soweit es dort erlaubt ist, reicht die theoretische und praktische Ausbildung. Für den Seeschein wird noch eine Funkprüfung verlangt. „Das schwierige ist, dass der Funkverkehr nicht nur auf Englisch abgehalten wird, sondern auch spezielle Begriffe verwendet werden“, erklärt der Eigentümer der Bootschule seinen Schülern.

Schnell wird mir in dem Kurs klar, so leicht, wie ich es mir vorgestellt hatte, ist die Berufsausübung des Bootslehrers doch nicht. Ich dachte bei Kapitänen und Bootslehrern immer an Pfeife rauchende, halb zahnlose Kerle mit weißen Haaren. Im Verlauf des Tages werde ich eines Besseren belehrt. Jede Menge Hightech, moderne Funktionskleidung und auf jeden Fall coole Sonnenbrillen gehören zur Berufsausrüstung eines Bootslehrers.

Eine Sonnenbrille habe ich schon mal, als Funktionskleidung habe ich noch ein paar alte Fußballklamotten, und mit dem Hightech werde ich schon umgehen lernen. Am Ende des Tages also wäre ich bereit, irgendwann mal ein richtiger Bootslehrer zu sein. „Erstmal machst du aber deinen Führerschein“, grinst Christian Franke. Danach schauen wir mal, ob wir einen Platz für dich freihaben. „Ob?“, denke ich mir. Wenn ich den Führerschein erstmal besitzen sollte, dann werden sich die Bootschulen nur so um mich reißen. Das ist mal klar. Ähnlich, wie es auch schon mit den Zeitungen vor meinem Volontariat war. Dort bleibe ich zumindest erstmal für ein paar Jahre auf dem sicheren und nicht schaukelnden Bürostuhl. Und wer weiß, vielleicht werde ich doch eines Tages mal Bootslehrer. Die nötige Erfahrung habe ich jetzt ja schon. Auch dank des Stresstestes.

Die nächste Folge der Sommerserie erscheint am kommenden Dienstag, 6. August: Dann arbeitet Nora Stuhr als Tätowiererin. Bisher arbeiteten Olaf Koch als Bierbrauer, Enrico Joo als Schwimmmeister, Thomas Linßner als Kindergärtner und Falk Rockmann als Betonbauer.