Handwerk Von Dauerwelle bis Nassrasur: Barbyer Friseurin erhält Goldenen Meisterbrief und blickt zurück
Die Handwerkskammer ehrt regelmäßig ihre Handwerksmeister. Kürzlich bekam Friseurmeisterin Ingrid Müller aus Barby den Goldenen Meisterbrief. Was hat sie in all den Jahren als Friseurin erlebt?

Barby. - „Für mich hat eigentlich von Beginn an festgestanden, dass ich Friseuse werden will“, lächelt Ingrid Müller. Damals hätte sich die heute 75-Jährige kaum vorstellen können, dass sie in den Hochzeiten ihres Berufslebens mal 65 Mitarbeiterinnen beschäftigten würde.
Ingrid Müller (geb. Herstel) trat ihre Lehre an der Barbyer „Caféecke“ an. Es war die Zeit, als die Beatles mit „A Hard Day's Night“ die West-Hitparaden stürmten. Die Haare wurden länger, allerdings kaum in der DDR. Weil die „Beatmusik“ als westlich-dekadent galt. Den Friseuren war das ganz recht, denn wer sich die Haare wachsen ließ, kam als Kunde nur noch selten.
Der Salon von Luise Deneke befand sich gleich gegenüber dem „Stadtcafé“, das der Barbyer Innenstadtkreuzung bis heute seinen (Spitz-) Namen gibt. In Sichtweite waren der Rundfunkladen, ein Textilgeschäft, Uhrmacher, Lebensmittelladen und Schuhmacher. Heute sind dort nur noch eine Versicherungsagentur und die Bushaltestelle ...
Es war die Zeit, als die Herren 90 Pfennig für den Fasson-, 1,35 Mark für den Rundschnitt und die Damen 12,50 Mark für die Dauerwelle bezahlten. Das sei besonders für Besucher aus Westdeutschland „interessant“ gewesen, die sich hier sehr preiswert die Haare machen ließen. Und dabei die eine oder andere harte D-Mark Trinkgeld in die Kittelschürze des Personals gleiten ließen.
Ohne Terminvergabe
„Damals haben wir auch noch rasiert. Da kam immer ein gut betuchter Spargelbauer zweimal in der Woche, der wollte unbedingt von mir rasiert werden“, lacht Müller. Er hatte wohl ein bisschen ein Auge auf die hübsche Blondine geworfen. Sie setzte bei ihm, dem man seine regelmäßigen Kneipenbesuche ansah, das Rasiermesser an. Damals beherrschten Ingrid und deren Kollegen noch die Kunst des Nassrasierens, das heute vollkommen aus der Zeit gefallen scheint.
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Eine Terminvergabe für die Salonbesuche gab es noch nicht. Die vier Friseusen und zwei Friseure bewältigten das auch ohne. „Allerdings war kurz vor Weihnachten unser Salon oft gerammelt voll“, erzählt Ingrid Müller.
Als der Laden schloss, wechselte sie zur „PGH Modern“ (Produktionsgenossenschaft) in die Breite Straße, wo sich 15 Kolleginnen um die Häupter der Barbyer kümmerten. 1979 ging sie nach einigen Jahren in Mecklenburg in das benachbarte Calbe, wo es schon 65 Mitarbeiter an mehreren Standorten waren. Ingrid hatte mittlerweile ihren „Meister gemacht“ und war Chefin einer imposanten Frauenbrigade. Wie war es denn so, als Frau so vielen Frauen vorzustehen, die zuweilen auch gerne mal den „Zickenkrieg“ pflegten? „Ich habe mich freundlich, aber resolut durchgesetzt“, sagt die 75-Jährige. Man hatte sie als Leiterin der PGH gewählt. Die Legislatur sah Wahlen alle zwei Jahre vor – Ingrid gewann sie alle.
Dauerwelle nach der Wende teurer
Nach der Wende wurde die PGH zur „Scherenschnitt GmbH“ umgewandelt. Nun kostete die Dauerwelle 35 harte D-Mark und die Kundinnen überlegten zweimal, ob sie sich frisieren lassen. 2012 ging Ingrid Müller in Rente. Ein Friseur aus Gnadau übernahm das Geschäft.
„Eine Erinnerung an diese Zeit habe ich jedes Mal, wenn meine Fingerabdrücke gefragt sind“, verzieht die Barbyerin das Gesicht. Denn Fingerscanner, egal ob beim Handy oder beim Zoll – reagierten nicht. „Die scharfe Chemie beim Färben zu DDR-Zeiten hat ihre Spuren an den Fingerkuppen hinterlassen.“