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Zweiräder Von der Pickelhaube bis zum gelben Post-Moped

Rudolf Conrad (68) bedient in Calbes Arnstedtstraße den menschlichen Instinkt des Jagens und Sammelns.

Von Thomas Linßner 10.02.2017, 05:00

Calbe l „Die nehme ich nicht“, deutet Christian Zabel verächtlich auf eine Bremsbackentrommel eines Simson-Mopeds, „da ist Asbest drin“. Aber alles andere sei hier sehr interessant, gesteht der Calbenser, der sich gerade ein Moped der Marke „S 51“ aufbaut. Zwar gibt es für die DDR-Oldtimer heute „alle möglichen Ersatzteile“ - Christian Zabel vertraut aber eher den Originalen. Die seien zum Teil solider gefertigt und sowieso preiswerter, weil sie gebraucht sind.

Denn die meisten Kunden sind gestandenen Alters. Sie waren jung, als Simsons Knatter-Vögel gebaut wurden. Die da hießen: „Spatz“, „Star“, „Sperber“, „Habicht“ oder „Schwalbe“. Besonders letztere Moped-Marke ist bei Jugendlichen Kult. „Gucken Sie sich mal an, was da so alles vor dem Schillergymnasium parkt“, hebt Rudi Conrad den Finger. Rund die Hälfte aller Zweiradmobile stammten aus DDR-Produktion. Die seien in der Regel zehn Stundenkilometer schneller, als heutige Mobile dieser Klasse.

Rudi Conrad: „Bei den Baumarkt-Dingern kann man ja nur Benzin auffüllen, Luft aufpumpen oder höchstens mal die Kerze wechseln.“ Die DDR-Modelle könne man dagegen leicht selbst reparieren. Sie seien „wie Lego“ aufgebaut.

Was mittlerweile aber schon wieder seinen Preis hat. Für ein gepflegtes „S 51“ müsse man schon mal 2000 Euro hinblättern. Ähnlich verhält es sich mit den Einsitzer-Mopeds „SR 2“. Das Simson-Zweirad der „50-Kubikzentimeter-Schnapsglasklasse“ wurde im thüringischen Suhl montiert, als sich die DDR einmauerte.

Letztere gibt es seit fast 27 Jahren nicht mehr – die deutsche Wertarbeit der Marke Ost überlebte. Das Teil hebt sich infolge seiner gelben Lackierung aus dem etwas düsteren Laden von Rudi Conrad wie ein Prachtrosella unter Sperlingen ab. Es ist als „Post-Moped“ lackiert und stammt aus Nienburg. Unzählige Arbeitsstunden waren nötig, um wieder einen Hingucker daraus zu machen. Besonders ältere Zeitgenossen kommen ins Schwärmen, wenn sie es sehen. „Ja, genau so ein Ding hatte ich und bin damit täglich zur Arbeit gefahren“, strahlt ein Endsechziger. Exakt handelt es sich um ein „SR2E“, das einen größeren Feder-Komfort als die Vorgängermodelle „SR1“ und „SR 2“ besitzt. Nachfolgemodell war dann Mitte der 1960er Jahre der Einsitzer „Spatz“, die Zweisitzer „Star“, „Schwalbe“ und „Sperber“ folgten.

Es kommt aber auch vor, dass junge Menschen bei Rudi herum stöbern, für die das „SR 2“ so weit weg ist, wie für Erwachsene die Schlacht im Teutoburger Wald. „Ein 15-Jähriger hat sich bei mir viele Tipps geholt, als er sein Moped aufbaute. Als er fertig war, legte er ganz stolz Bericht ab“, erzählt Rudi mit der Bemerkung, dass das die schönen Momente seines Berufes sind. Den Laden betreibt er allerdings nur nebenbei. Leben könne man davon nicht.

Der gebürtige Nienburger hat eine enge Beziehung zu den Räumen, in denen er heute Oldtimer aufmöbelt und mit Teilen handelt. Denn das Geschäft hieß früher „Konsum-Fahrzeughaus“. „Hier bei Büttner habe ich mein erstes Motorrad gekauft“, sagt Conrad, dessen Akzent noch heute „Bernburgisch“ eingefärbt ist und der vor 17 Jahren glücklos als Bürgermeister-Kandidat in Calbe antrat.

An sein erstes Moped kann er sich natürlich auch noch erinnern. Es war ein „SR 2E“. „Ich bin damit als 16-Jähriger über den Schulhof in Grimschleben gefahren.“ Weil ihm die Funktion der Bremse noch nicht ganz gegenwärtig war, endete die Fahrt jäh an einer Regentonne.

Aber wo zum Kuckuck bekommt man für all diese DDR-Oldies Ersatzteile her? Conrad gesteht, dass es die heute besser gibt, als vor 40 Jahren. „Es gibt Firmen, die Teile herstellen. Ich nehme an, einige kommen aus Polen und Tschechien.“ Außerdem seien ja da immer noch Zeitgenossen, die beim Aufräumen ihrer Garagen Lichtmaschine, Blinkkappe oder Felge finden und dann bei ihm versilbern. „Als DDR-Mensch hat man auf Vorrat gekauft, auch wenn man es momentan nicht brauchte“, grinst der 68-Jährige.

Wer in Conrads Bastelladen einkauft, dem umweht der Hauch eines orientalischen Basars. Jedenfalls was das Feilschen betrifft. „Handeln macht doch Spaß. Ein bisschen Rabatt ist für den Kunden immer drin“, blitzt Oldie-Rudi munter über seine Brille. Er ist gelernter Maurer und umgeschulter Einzelhandelskaufmann.

In einer Vitrine findet der geneigte Kunde auch Orden und Ehrenzeichen verschiedener militärischer Epochen, die munter gemischt durcheinander liegen. Darunter sticht ein eisernes Kreuz mit einer Bronze-Medaille in der Mitte hervor. Abgebildet ist „Kapitän Paul König“ (1867-1933), der in Gnadau lebte. König befehligte 1916 das erste Handels-U-Boot der Welt. Aufgabe dieses Unterwasser-Frachtschiffes war es, Waren unter Umgehung der englischen Seeblockade nach Amerika zu bringen. „Das Kreuz wurde aus U-Boot-Stahl gegossen“, versichert Rudi Conrad.