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Integration Von Kampfsport und „Opa Walter“

Seit Jahren unterstützen Nadia Rohani und Walter Görgens Migranten aus aller Welt – jeder auf seine Weise. Dafür sind sie jetzt von der Landesregierung gewürdigt worden.

Von Jan Dahms Aktualisiert: 16.06.2021, 18:46
Weil Nadia Rohani in Afghanistan Teil des ersten Kricket-Frauenteams war, musste sie 2014 wegen persönlichen Angriffen fliehen.  In Schönebeck und Magdeburg trainiert sie unter anderem Kinder in n der Kampfsportart Taekwondo, gibt Nachhilfe in Mathe und organisiert Frauengruppen für Migranten.
Weil Nadia Rohani in Afghanistan Teil des ersten Kricket-Frauenteams war, musste sie 2014 wegen persönlichen Angriffen fliehen. In Schönebeck und Magdeburg trainiert sie unter anderem Kinder in n der Kampfsportart Taekwondo, gibt Nachhilfe in Mathe und organisiert Frauengruppen für Migranten. Foto: Jan Dahms

Schönebeck - Nadia Rohani war überrascht, als sie vor ein paar Wochen Post von der Landesregierung Sachsen-Anhalt bekommen hat. Sie ist eine von zwei Schönebeckern, die mit dem Integrationspreis Sachsen-Anhalt 2020 ausgezeichnet wurden. „Ich war zuerst nicht sicher, was das für ein Preis ist“, sagt sie gegenüber der Volksstimme.

Auszeichnung für Integration und Zusammenhalt

Mit dem Preis würdigt das Land einmal im Jahr das Engagement von Vereinen, Initiativen, Institutionen und Einzelpersonen für Integration und Zusammenhalt. „Damit wollen wir die vielen kleinen und großen Integrationserfolge in unserem Land sichtbar machen“, erklärt die Integrationsministerin Petra Grimm-Benne (SPD). Die Verleihung der Preise für das Jahr 2020 wurde pandemiebedingt verschoben. Die Preisträger haben deshalb etwas verspätet, im Mai 2021, die Auszeichnungen zugeschickt bekommen, unter ihnen Nadia Rohani.

Mit Sprache und Sport zur erfolgreichen Integration

Sie ist eine von 24 Personen im Land, die in dem Jahr für ihren besonderen, individuellen und ehrenamtlichen Einsatz in der Migrationsarbeit gewürdigt werden. Nach der Verwunderung über die Auszeichnung, kam die Freude, erinnert sich Rohani. „Das ist eine Anerkennung für meine Arbeit“, sagt sie stolz. Die 39-jährige Schönebeckerin stammt aus Afghanistan und arbeitet als Betreuerin und Sprachvermittlerin in der Magdeburger Landesaufnahmeeinrichtung.

Fokus auf Frauen und Kinder

Daneben unterstützt sie die Migranten seit etwa fünf Jahren auch in ihrer Freizeit. Das geschehe auf vielen Wegen, erzählt sie. So begleite sie Familien bei ihren ersten Schritten in Deutschland. Außerdem organisiert Nadia Rohani Frauengruppen für die Migranten in Schönebeck und Magdeburg. Dort gibt sie unter anderem Deutschkurse. Bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit stehen auch die Kinder im Fokus. Sie gibt Nachhilfeunterricht in Mathe und unterrichtet seit drei Jahren afghanische Kinder in einer der dortigen Landessprache Dari.

Integrationshilfe durch Sport

Ihre größte Leidenschaft sei aber der Sport, betont Rohani. Deshalb trainiere sie regelmäßig Kinder in der Kampfsportart Taekwondo. Da die Sportgruppe aus deutschen und migrantischen Kindern bestehe, sei das auch ein Ort geworden, um gegenseitig die verschiedenen Kulturen kennenzulernen, erzählt sie. „Die Kinder haben viele Fragen zur unterschiedlichen Kultur. Ich versuche sie zu beantworten, lerne aber auch noch viel dazu“, gibt sie zu.

Flucht aus Afghanistan

Der Sport war auch der Grund, warum sie vor fast sieben Jahren aus Afghanistan fliehen musste. Sie war in ihrem Heimatland Teil des ersten Kricket-Frauenteams und hat vor Ort mit ihrer Mannschaft für sportliche und soziale Anerkennung demonstriert. „Aber die Bedrohungen und persönlichen Angriffe wurden irgendwann so stark, dass ich Afghanistan verlassen musste“, erzählt Nadia Rohani.

Kulturelles Verständnis ist wichtig

Sie selbst konnte nach ihrer Flucht, erst durch die Unterstützung der Betreuer langsam in Deutschland Fuß fassen. Das sei einer der Gründe, warum sie sich für die Integration einsetzte, meint sie. Damit die Integration von Migranten besser gelänge, bräuchte es neben den Deutschkursen auch mehr Erklärungen der deutschen und europäischen Kultur, meint Nadia Rohani. Im Vergleich zur afghanischen Kultur unterscheiden sich die deutschen Gegebenheiten sehr stark, erklärt sie.

Unterstützung bei Behördengängen

Bis Ende 2019 war Walter Görgens als Soziallotse für die Migranten in Schönebeck da. Er fuhr mit den Migranten oft zu Ärzten und Ämtern und half ihnen, Formulare auszufüllen. Auch nach seiner Tätigkeit als Soziallotse  steht er  aktuel noch für zwei Familien mit Rat und Tat zur Seite.
Bis Ende 2019 war Walter Görgens als Soziallotse für die Migranten in Schönebeck da. Er fuhr mit den Migranten oft zu Ärzten und Ämtern und half ihnen, Formulare auszufüllen. Auch nach seiner Tätigkeit als Soziallotse steht er aktuel noch für zwei Familien mit Rat und Tat zur Seite.
Foto: Jan Dahms

Wenn Migranten bei ihren ersten Schritten in Schönebeck Hilfe brauchen, ist auch Walter Görgens zur Stelle. Er ist der zweite Schönebecker, der für das Jahr 2020 mit dem Integrationspreis der Landesregierung ausgezeichnet wurde. Der 77-Jährige ist schon jahrelang ehrenamtlich in der Stadt aktiv. Zurzeit ist er etwa im Vorstand des Kirchbauvereins in der St.-Johannis-Kirche tätig. Regelmäßig bietet er Besucherführungen durch das Gotteshaus an, manchmal auch hoch bis zum Kirchturm.

Soziallotse in Schönebeck

Bis Ende 2019 war Walter Görgens fast fünf Jahre lang als sogenannter Soziallotse in der Stadt unterwegs. Die ehrenamtliche Stelle gibt in es Sachsen-Anhalt seit 2015. Nach Angaben des Salzlandkreises, sollen die Lotsen Asylsuchende und Geduldete „in wichtigen Lebensbereichen begleiten und unterstützen“. Der Kreis gibt die Zahl der Soziallotsen aktuell mit 30 an, drei von ihnen sind im Bereich Schönebeck unterwegs.

Über 25 Familien unterstützt

Görgens betreute in seiner Zeit als Soziallotse vor allem Familien. Die Aufwandsentschädigung in der „schwindelerregenden“ Höhe von 150 Euro im Monat, die er für seine Dienste bekam, reichte dabei nur als Benzingeld, erzählt er rückblickend. Denn mit den Familien sei er oft zu Ämtern und Ärzten gefahren. Er habe aber auch Kindergartenplätze organisiert, sich um die Wohnungssuche gekümmert und beim Ausfüllen von Formularen geholfen, zählt der ehemalige Informatiker auf. Er schätzt, dass er mit seiner Arbeit über die letzten fünf Jahre, etwa 25 bis 30 Familien unterstützt hat. „Da kriegt man so viel Emotionen zurück, das ist mit Geld nicht aufzuwiegeln“, erzählt Walter Görgens rückblickend – ein viel größerer Wert als Spritgeld.

Wegen eigener Familiengeschichte geholfen

Warum er sich so stark für Migranten einsetze, könne er hundertprozentig auch nicht sagen. Er berichtet dann aber aus seiner Kindheit in Salzelmen. Seine Familie musste 1945 aus Breslau fliehen und landete in Schönebeck. Obwohl Görgens hier geboren wurde und sein Großvater Pfarrer in der St.-Johannis-Kirche gewesen sei, wurden er und seine Familie lange als Flüchtlinge behandelt, sagt er ohne näher ins Detail zu gehen. Die Stelle als Soziallotse hat er vor etwa eineinhalb Jahren aus Altersgründen aufgegeben. Trotzdem steht er weiterhin für zwei Familien mit Rat und Tat zur Seite. Das mache er immer noch sehr gerne und es habe für ihn selbst zwei positive Effekte: „Ich bin nicht mehr so allein und ich werde von allen Flüchtlingen Opa Walter genannt.“

Große Feier im November 2021

Die Urkunden zu den Integrationspreisen wurden an die Ausgezeichneten, wie Nadia Rohani und Walter Görgens, wegen der Coronapandemie erst einmal sehr nüchtern per Post verschickt. In ein paar Monaten soll aber gefeiert werden, freuen sich die beiden Schönebecker Preisträger. Eine festliche Verleihung solle noch im November 2021 stattfinden.