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Zweiter Weltkrieg Feldpostbrief kommt nach 77 Jahren an

Brief vom 20. Juni 1943 in niederländischem Antiquariat aufgetaucht. Nach dem Kauf erlebt die Rosenburgerin Karin Keller eine Überraschung.

Von Thomas Linßner 21.06.2020, 01:01

Groß Rosenburg l „Meine liebe Annemarie, eine ganze Weile ist vergangen, seit ich dir den letzten Brief schrieb. Hoffentlich geht es Euch gut ...“ Mit diesen Zeilen beginnt ein Feldpostbrief des Unteroffiziers Max Schlegel aus Groß Rosenburg an seine Ehefrau. Dazu benutzte der Wehrmachtsangehörige einen Tintenfüller mit breiter Feder, der die gestochen-exakte Sütterlinschrift so richtig gut zur Geltung bringt. Diese Schreibschrift lernten die Kinder nach dem Ersten Weltkrieg in der Schule. Sie folgte der Kurrentschrift, die etwas kleinteiliger war. Wer Sütterlin schrieb, war zu jenem Zeitpunkt ein junger Mensch.

Annemarie Schlegel wohnte damals in „Groß Rosenburg, über Bernburg-Saale, Hindenburg Platz 6“. So lautet die Anschrift auf dem Kuvert. (Heute kennen wir den Ort als Georgsplatz, der vor dem Krieg und danach wieder so hieß.)

Uffz. Schlegel bleibt in seinem Brief bei privaten Belanglosigkeiten. Näheres über seinen Kriegsdienst mitzuteilen, ist ihm verboten.

Die Niederlande versuchten im Zweiten Weltkrieg neutral zu bleiben, dennoch fielen die deutschen Streitkräfte im Mai 1940 in das Land ein. Kurze Zeit später war es in deutscher Hand. Damit begann eine fünfjährige Besatzungszeit, während der sich das Leben für die Niederländer stetig verschlechterte. Neben Unterdrückung, Vertreibung, Hungertod und Zwangsarbeit in den Fabriken der Besatzer befanden sich bis zum Kriegsende fast drei Viertel der niederländischen Juden in Konzentrations- und Vernichtungslager. Erst mit der Landung der Alliierten im Juni 1944 in der Normandie sollte sich das Blatt wieder wenden.

Als Max Schlegel seinen Brief heute vor 77 Jahren schrieb, waren die Niederlande noch eine „ruhige Etappe“. Gekämpft wurde anderswo in Europa und Afrika.

Es klingt sentimental, wenn er an seine junge Frau schreibt: „... dann habt ihr doch sicher einen kleinen Spaziergang um den Burgdamm gemacht. Ja, es war doch schön früher, wenn wir mal solch kleinen Bummel machen konnten.“

Als Karin Keller den Feldpostbrief in den Niederlanden ersteigerte, ahnte sie noch nichts von seinem besonderen Geheimnis. Das bräunliche Kuvert mit seinen beiden Feldpoststempeln war ... ungeöffnet. Offensichtlich hatte der Brief zusammen mit anderen Postsachen nie die Niederlande verlassen. Wie er später in einem Antiquariat landen konnte, wird wohl immer sein Geheimnis bleiben.

Jedenfalls erreichte Max Schlegels Feldpost doch noch seine alte Heimat, die der kleine Mann so liebte. Er und seine Frau Annemarie leben längst nicht mehr. Das Haus am Georgsplatz ist verkauft. Wie Karin Keller sagt, soll diese besondere Postsendung in zwei Jahren Bestandteil einer Handwerkerausstellung im Burgmuseum sein.

Denn Max Schlegel war wie sein Vater – der ebenfalls Max hieß – Steinmetz am Hindenburg- oder Georgsplatz. Schlegels Senior schuf 1924/25 das Rosenburger Kriegerdenkmal. Nach 1945 wurde es auf Veranlassung des damaligen Bürgermeisters abgerissen. Dank des umsichtigen Gemeindearbeiters Wilhelm Knape konnte der Adler gerettet werden, den Schlegel fortan bei sich auf dem Grundstück aufbewahrte. Bei der Landesbauausstellung 2000 kam die Skulptur in Vockerode wieder zu öffentlichen Ehren. Heute steht der Adler in der Kirche.