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Interview „Bolle“ und das Fest der Liebe

Kein Geringerer als „Bolle“ erzählt der Volksstimme aus seinen 36 Jahren als Förderstedter Weihnachtsmann.

Von Franziska Richter 23.12.2015, 18:59

Volksstimme: Lieber Weihnachtsmann, ich freue mich, dass Du in dieser für Dich hektischen Zeit noch ein Stündchen für uns hast. Als Kind hatte ich immer Angst vor dem Weihnachtsmann...

Weihnachtsmann „Bolle“: Ich finde es ehrlich gesagt ziemlich doof, dass Eltern ihren Kindern so eine Angst vor dem Weihnachtsmann machen. Als ich ein Kind war, mussten meine Eltern sogar mal mit mir zum Psychologen, weil ich so große Angst vor dem Weihnachtsmann hatte und meinte, er steht bei mir nachts am Bett. Und das nur weil sie mir immer drohten, ich kriege die Rute, wenn ich nicht artig bin.

Volksstimme: Kinder haben eben Angst vor dem Weihnachtsmann.

Weihnachtsmann „Bolle“: Es ist überall dasselbe. Erst als ich jetzt wieder in der Kita Brumby war: Ein Kind fing an zu weinen, das nächste setzte gleich mit ein. Das kommt von den Geschichten, die die Eltern ihren Kindern erzählen. Sie bürden die Bestrafung der Kinder dem Weihnachtsmann auf - ganz schön ausgebufft - und sagen nicht, dass es eigentlich sie sind, die die Kinder bestrafen. Die Größeren haben weniger Angst. Aber die Kleinen können so einen großen, fremden Mann in Rot ja erstmal auch gar nicht einordnen.

Volksstimme: Der Weihnachtsmann soll aber doch eigentlich ein Lieber sein?

Weihnachtsmann „Bolle“: Ich will mir nach jedem Auftritt sagen können: Heute hat kein Kind wegen mir geweint! Sondern: Sie hatten leuchtende Augen und kamen auf mich zu! Ich freue mich, was ich dann oft sehe: Die Kinder verstecken sich hinter der Mutti, schielen hervor und dann winken sie mir sogar. Das ist ein schönes Erlebnis für mich und ein Zeichen des Vertrauens... Na ja, aber ein bisschen Spannung muss doch sein: Dieses Jahr erzähle ich zum Beispiel allen Kindern, dass es nicht schneit, weil Frau Holle böse war. Und die ist nämlich böse, weil es irgendwo ein Kind gibt, dass nicht aufgegessen hat (beugt sich vor und flüstert): Und ich bin auf der Suche nach diesem Kind, aber habe es noch nicht gefunden... Ho, ho, ho (lacht).

Volksstimme: Aber trotzdem hast Du ja keine Rute.

Weihnachtsmann „Bolle“: Vor vier oder fünf Jahren habe ich sie weggelassen. Da war ich einmal Weihnachtsmann bei einer Familie in Förderstedt mit zwei sozusagen schwererziehbaren Söhnen. Die Mutter hatte etwas vorbereitet und ich sollte mitspielen. Mir war nicht ganz wohl dabei, aber ich willigte ein. Die Mutter hatte zwei Säcke in den Flur gestellt. Ich ließ die Jungs strammstehen und sagte: ‚Ich habe gehört, mit euch ist kein Auskommen‘. Die Jungs wussten ja nicht, dass ein zweiter Sack voller Geschenke auf sie wartet. Ich packte den ersten Sack aus: Kohlen und Kartoffeln breitete ich aus. Das Gesicht der Jungs hätten Sie sehen sollen: Für sie ist eine Welt zusammengebrochen. Sie haben Rotz und Wasser geheult, obwohl sie gar nicht mehr in dem Alter waren, in dem man an den Weihnachtsmann glaubt. Letztendlich haben sie den zweiten Sack noch bekommen und alles war wieder in Ordnung. Aber da habe ich mir gesagt, so etwas mache ich nie wieder.

Volksstimme: Ist nicht jedes Kind im Grunde artig?

Weihnachtsmann „Bolle“: Eben und man kann den Spieß auch umdrehen. Bei einer Familie in Staßfurt sagte mir der Opa, die Kinder seien nicht artig gewesen. Da habe ich zur Verblüffung der Kinder gefragt, ob denn der Opa immer lieb war. ‚Nein, der war gar nicht lieb‘, riefen sie voller Eifer und waren begeistert, als ich vorschlug, den Opa mal zu verhauen. Der hat mitgespielt, ich habe natürlich nur so getan, und die Kinder hatten so einen Spaß dabei.

Volksstimme: Hast Du auch Trauriges in Deinen 36 Jahren als Weihnachtsmann erlebt?

Weihnachtsmann „Bolle“: Oh ja, als ich einmal für eine Bescherung ein Grundstück betrat, kam ein kleines Mädchen weinend auf mich zu gerannt und klammerte sich an meinem Mantel fest: ‚Weihnachtsmann, der Papa hat gerade meine Mama geschlagen‘, sagte sie. Tja, da stehste da. Was machste dann? Ich habe allen gesagt, wie wichtig es ist, sich zu vertragen und es war das schönste Geschenk für das Mädchen, dass sich Mama und Papa wieder versöhnt haben.

Volksstimme: Wie viel hast Du dieser Tage zu tun?

Weihnachtsmann „Bolle“: Mein Dienst als Weihnachtsmann geht immer Anfang Dezember los. Da trete ich auch für Erwachsene auf, bei der Volkssolidarität, bei der Weihnachtsfeier der Sportler und so weiter. Und weil ich auch den einen oder anderen Witz für Erwachsene kenne, ist das auch ohne Kinder immer eine lustige Sache. Ich habe zwei bis drei Auftritte pro Woche, die Kitas wollen besucht werden, die Weihnachtsmärkte.

Volksstimme: Und Heiligabend?

Weihnachtsmann „Bolle“: Da fange ich 11 Uhr an, denn einige Familien möchten, dass ich vor dem Mittag komme, und besuche etwa bis 19 Uhr, auch mal 21 Uhr, um die 20 Familien. Bei einigen sind die Kinder schon groß, aber der Weihnachtsmann gehört für sie trotzdem dazu. Bei der letzten Familie bleibe ich immer zum Essen. Das ist ein schöner Ausklang an Heiligabend. Ich finde es richtig blöd, an Weihnachten allein zuhause sitzen.

Volksstimme: Das ist ja nicht mehr als eine halbe Stunde pro Familie!

Weihnachtsmann „Bolle“: Sogar noch weniger. Ich bin ausgebucht! Zum Glück werde ich von den Vatis zur nächsten Familie gefahren. Und die Geschenke sind ja immer fertig gepackt. Leider muss ich auch Anfragen abweisen, weil ich nicht mehr unterkriege. Das enttäuscht die Leute. Ich werde weitermachen, solange es die Gesundheit zulässt, aber langsam muss ich schon zurückfahren, ich merke die ersten Zipperlein.

Volksstimme: Was ist Dein Lohn?

Weihnachtsmann „Bolle“: Jede Familie gibt mir etwas, aber wegen des Geldes mache ich das nicht, sondern für die Kinder... Das klingt schon schmalzig, was? Es ist aber so! In einem Dorf wie Förderstedt ist man im Freundes- und Bekanntenkreis unterwegs, eigentlich bin ich bei vielen ein Freund der Familie. Das ist das Schöne. Und manchmal wenn ich nach Hause komme, steht eine Schüssel Heringssalat in meinem Fenster.

Volksstimme: Wie bist du Weihnachtsmann geworden?

Weihnachtsmann „Bolle“: 1979, als ich bei der Armee in Potsdam war, haben sie jemanden gesucht, der dort auf dem Weihnachtsmarkt den Weihnachtsmann macht. Und da ich für so einen Spaß zu haben bin, war ich dabei. Da war ich Anfang 20 und ein Jahr später kamen Freunde in Förderstedt auf mich zu, ob ich bei ihnen zuhause an Heiligabend den Weihnachtsmann spielen könne. Das passte, denn ich habe ja auch keine eigene Familie. Und weil mir meine Freunde immer den Schnaps weggetrunken haben und ich dann nie welchen zuhause hatte, sagte ich: Ich mach‘s, für eine Flasche Schnaps. Also, es wurde ja damals gesagt: ‚Zehn vor Drei‘, eine Flasche Schnaps hatte 14,50 Markt gekostet. Nach der Wende wurde die Nachfrage nach meinen Auftritten riesig.

Volksstimme: Was macht der Weihnachtsmann in seiner Freizeit?

Weihnachtsmann „Bolle“: Seit ich zwölf Jahre alt bin, sammele ich Bücher, Comics und Heftchen. Ich bin ein Fan der Science-Fiction- und Alternativwelt-Romane und habe über 5000 Stück zuhause. Wenn ich mich mit so einem Büchlein hinsetze, bin ich voll dabei. Und einen Spleen habe ich auch: Ich muss immer ein Buch dabei haben.

Volksstimme: Das passt ja, denn Du kommst ja selbst aus der Welt der Träume und Märchen.

Weihnachtsmann „Bolle“: Träume sind wichtig für Menschen wie uns, die in einer materiellen Welt leben, in der es darum geht, welches Auto man fährt oder ob man das neueste Handy hat. Weihnachten ist das Fest der Liebe!

 

Volksstimme: Was wünschst Du Dir denn? Ich höre heraus, dass eigentlich doch gern eine Frau an Deiner Seite hättest - also eine Weihnachtsfrau!

Weihnachtsmann „Bolle“: Ich will ja nicht jammern, aber ich vermisse doch die Zärtlichkeit und Zweisamkeit in meinem Leben. Wenn mich die vielen Frauen bei meinen Auftritten umarmen, denke ich immer ‚Hach...“.