Digitalisierung Die Zukunft im Test
Zwei Schulen in Schneidlingen und Aschersleben beteiligen sich bei "Sofatutor". Arbeitsblätter können digital bearbeitet werden.
Schneidlingen/Aschersleben l Jetzt steigt der Lärmpegel aber an. Alle reden durcheinander, wenn Elke Atzler mit dem sogenannten „Merge Cube“ – eine Art digitaler Zauberwürfel – um die Ecke kommt. Die Schulleiterin der freien Sekundarschule „Leben Lernen“ in Schneidlingen sitzt in der fünften Klasse und weiß zu begeistern. „Jetzt aber mal Ruhe“, sagt sie dann, wenn alle ihre Begeisterung ausdrücken wollen. Da wird getuschelt, gestaunt und geraunt.
Auf einer großen Projektionsfläche ist ein Hologramm zu sehen. Im Klassenraum, der dort live abgebildet ist, bewegt sich ein Körper zwischen den Schülerreihen hindurch. Just in dem Moment steht er nun scheinbar auf dem Tisch eines Jungen, der mehrmals hin- und herschaut und mit der Hand auch einmal in die Stelle greift, wo der virtuelle Körper stehen müsste. Nur: Da ist nichts. Es ist nur eine Illusion. Digital transportiert auf eine Tafel. Auf dieser kann Elke Atzler nun aber im Biologieunterricht die Anatomie des Körpers anschaulich erklären und zum Beispiel zeigen, wo Organe sitzen.
Mit verschiedenen Konzepten bringen die Lehrer ihren Unterrichtsstoff an die Kinder, die wie selbstverständlich mit digitalen Mitteln arbeiten. So sitzen nun alle Kinder mit einem iPad im Raum und hören der Lehrerin zu.
Wie können Schulen digitalisiert werden? Wie können Schüler bestmöglich ausgebildet werden, damit sie später wie selbstverständlich den Zeitgeist aufnehmen und begreifen und diesen auch mit modernen Mitteln umsetzen? Das fragt sich auch die Schule in Schneidlingen. Diese ist wie die Adam-Olearius-Schule in Aschersleben eine von zwei freien Schulen, die an einem Pilotprojekt des Landes teilnehmen, bei denen unter anderem mit Erklärvideos auf einer Online-Plattform der Unterrichtsstoff vermittelt wird. Das Land hatte daher mit 14 Schulen eine Zusammenarbeit vereinbart. Die Berliner Firma „Sofatutor“ hat eine Online-Nachhilfe entwickelt, die Kindern durch Lernvideos und Übungen Stoff vermitteln soll. Das Land sah darin ein wertvolles Instrument, um dem Lehrermangel entgegenzuwirken.
Ja, auch das kann „Sofatutor“ durchaus leisten. Aber nicht nur und nicht ausschließlich. In Schneidlingen und in Aschersleben zum Beispiel gibt es keinen Lehrermangel. An beiden Schulen sind keine Stellen offen. Hier ist „Sofatutor“ eingebettet in verschiedene andere digitale Projekte, wie den „Merge Cube“. In Schneidlingen gibt es noch Lernapps, dazu eben „Sofatutor“. Das wird hier genutzt, um Schüler schneller und effektiver an digitale Prozesse zu gewöhnen.
Wie genau mit „Sofatutor“ gearbeitet wird? Nach der Begrüßung in der Unterrichtsstunde marschieren die Kinder von ihren Plätzen im vorderen Bereich nach hinten an die Arbeitstische. Dort sitzen durch Sichtschutze getrennt bis zu sechs Schüler am Tisch. Jeder muss sich in sein iPad einloggen und ein Arbeitsblatt digital ausfüllen. Ein Lückentext soll ergänzt werden. Der Clou: Die Tablets sind mit dem iPad der Lehrerin verbunden. Diese sieht nun auch, dass ein Schüler nicht in der App aktiv ist, sondern sich anderen Sachen an seinem Tablet widmet. Kurzerhand sperrt sie den Schüler aus. Der kommt kurz darauf angeschlichen und fragt, warum das nicht mehr geht. Ruhig und geduldig erklärt Elke Atzler, dass sie gesehen hätte, dass er nicht im System war. Der ertappte Schüler dackelt zurück. Er hat‘s begriffen: Der Lerneffekt stellt sich ein.
In der Auswertung danach geht die Lehrerin mit der Klasse den Text durch. Die Lösungen werden automatisch kontrolliert, dann gibt es einen grünen Haken. Bei jeder Lösung wird ein neues Arbeitsblatt eines Schülers an die Wand geworfen. Schummeln ist so ausgeschlossen. „Bei uns ist ‚Sofatutor‘ in die Digitalisierung des Unterrichts eingebettet“, sagt Elke Atzler. „Seit drei Jahren versuchen wir den Unterricht zu verändern.“ Noch wird auf digitalem und analogem Wege gearbeitet. Die Schule hat dabei Verträge mit den Eltern abgeschlossen. Diese kaufen die iPads als Lernmittel für ihre Kinder. Die Schüler arbeiten damit.
Seit dem Frühjahr 2019 schon ist die Schneidlinger Schule Teil des Projekts „Sofatutor.“ Genauso wie die Schule in Aschersleben. „Bisher gibt es bei uns keine kritischen Stimmen“, sagt Martin Michaelis, Schulleiter der Adam-Olearius-Schule. Wie auch in Schneidlingen ist das eingebettet in den Digitalpakt. Damit will die Bundesregierung die Digitalisierung an den Schulen vorantreiben. In Aschersleben wurden daher vor zwei Jahren sechs digitale Tafeln angeschafft, sogenannte „Smartboards“. „Wir haben ein offenes Kollegium“, sagt Michaelis. „Die Kollegen müssen aber viel lernen.“
Wie konkret „Sofatutor“ helfen kann, erklärt Michaelis an einem Beispiel. „Bei uns gibt es einen Schüler, der an Migräne erkrankt ist. Dieser bekommt die Arbeitsunterlagen digital nach Hause geschickt.“ Obwohl er körperlich nicht anwesend ist, verpasst der kranke Schüler keinen Unterrichtsstoff.
In Schneidlingen wird der digitale Mix breit eingestreut. „Es gibt kein Fach, wo es nicht angewandt wird“, sagt Elke Atzler. „Es ist kein Allheilmittel, verändert aber das Lernen.“ So können im Matheunterricht Übungen an die Tafel projeziert werden. Im Kunstunterricht können antike Kunstwerke digital bestaunt werden. Es gibt neue Kontrollmöglichkeiten, auch der Beruf des Lehrers ändert sich. Und ganz einfach gedacht: Es wird auch Kopierpapier im Biologieunterricht gespart, wenn die Arbeitsblätter nur noch digital vorliegen.
„Was wäre, wenn...“-Szenarien lassen sich zudem gut veranschaulichen. Was passiert beim Rauchen? Was macht das mit dem Körper? Die Arterien verkalken zum Beispiel. Wie sieht das aus? Auch das kann in Schneidlingen digital dargestellt werden. Was eindrucksvoller ist als ein Bild in einem Schulbuch. Mit dem „Merge Cube“ können aber auch zum Beispiel Inseln oder das Sonnensystem interaktiv bereist werden. Schule kann auch Spaß machen.
Es können Erklärfilme gedreht werden. So kontrollieren die Lehrer, ob die Kinder den Stoff verinnerlicht oder nur auswendig gelernt haben. Voraussetzung ist dabei natürlich auch, dass die Lehrer entsprechend gebrieft sind. So waren die Lehrer in Schneidlingen erst im Juni auf einer Weiterbildungsveranstaltung. „Viele Wege führen nach Rom“, sagt Elke Atzler. Ergänzend zum normalen Schulalltag zeigt die Digitalisierung, welche neuen Wege gegangen werden können, um den gewünschten Lerneffekt bei den Schülern zu erreichen.
Die zwei Schulen im Salzlandkreis befinden sich beim Projekt „Sofatutor“ bereits in der zweiten Phase. Bis zum Halbjahr, das im Februar 2020 endet, geht die aktuelle Testphase. Dann wird evaluiert. Was kann „Sofatutor“? Wie erfolgreich ist das in den Schulalltag eingebettet? Kann aus dem Pilotprojekt ein fest integriertes Instrument werden? Aus Aschersleben und Schneidlingen kommen dazu positive Signale. Schon jetzt.