Serie "1070 Jahre Egeln" - Thema heute: Das Jahr 1945 und der Einmarsch der Russen Egeln hat 1945 mehr als 10 000 Einwohner
Nach einer kurzen Pause geht es nun mit der Volksstimme-Serie "1070 Jahre Egeln" weiter. Mittlerweile sind wir schon im Jahr 1945 angekommen.
Egeln l In einer der letzten Folge unserer Serie über die Stadt Egeln berichteten wir über die letzten Kriegstage und den Einzug der Amerikaner in Egeln. Noch einmal hat die Volksstimme zusammen mit dem Museumsleiter und Ortschronisten, Uwe Lachmuth, in der Broschüre von Hans Grube "Schicksalstage einer kleinen Stadt" geblättert, um zu erfahren, wie es weiter ging.
Darin heißt es: "Täglich kamen Flüchtlinge an, die vor der anrückenden Front im Osten flohen. Die deutschen Ostgebiete, wie Ostpreußen, Schlesien, Sudetenland und Pommern waren, als in Egeln die Amerikaner kamen, schon in der Hand der Russen. Wer es noch schaffte, floh mit dem was er mitnehmen konnte nach Westen. Die es nicht schafften zu fliehen, erlebten die Grauen des Krieges am eigenen Leib. Sie wurden in der nächsten Zeit aus ihrer Heimat vertrieben und mussten das Gebiet für andere freimachen, die auch umsiedeln mussten. In Egeln kamen diese Menschen mit Kinderwagen, alten Handkarren, Rucksäcken oder nur mit dem, was sie auf dem Leib trugen, an. Natürlich gab es Probleme, sie unterzubringen. Die Einwohnerzahl war im Sommer 1945 auf zirka 10 000 angewachsen. Dabei war Bleckendorf nicht eingerechnet."
Köchinnen erhielten 45 Pfennige pro Stunde
Im Schützenhaus, Drei Kronen und in der Katharinenkirche wurden Zwischenlager eingerichtet. Von dort wurden ihnen Wohnungen zugewiesen. Alle Wohnräume und Kammern waren überfüllt. Diesen Flüchtlingen fehlte alles. Ein Dach über dem Kopf reichte da nicht aus. Sie brauchten etwas zu essen, eine Kochstelle und Geschirr und Lebensmittel. Da sah es in Egeln Ende April 1945 noch verhältnismäßig gut aus. Die Stadt hatte sich einiges von den eingelagerten Wehrmachtsbeständen gesichert und am Alten Markt in der stillgelegten Fleischerei "Lemgau" eine "Volksküche" eingerichtet. Die Witwe des letzten Fleischermeisters wurde Chefköchin und erhielt noch fünf Mitarbeiterinnen. Sie erhielten einen Stundenlohn von 45 Pfennigen und auch mal einen Teller Suppe, was damals besonders wertvoll war. Die Volksküche im Hause Lemgau reichte bald nicht mehr aus. Nun wurde das Gesellschaftshaus zur neuen Volksküche. Dort stand der Saal zu Verfügung und es war mehr Platz. Täglich wurden 1200 Portionen Essen ausgegeben.
Am 1. Mai 1945 wurde in der ehemaligen Commerzbank eine Etappenkommandantur eingerichtet, die sofort besondere Anordnungen erließ, wie zum Beispiel, dass sich alle in Egeln befindlichen Soldaten, die bereits registriert waren, im Rathaus oder in der Verbandsstelle Kaffee Holle melden mussten. Durch amerikanische Offiziere und Soldaten wurden die rund 70 Personen im Sitzungssaal des Rathauses verhört und bis auf die sieben Verwundeten mit Militärfahrzeugen in ein unbekanntes Lager abtransportiert. Später erfuhr man, dass sie in einem belgischen Bergwerk arbeiten mussten.
Am 9. Mai traf auch in Egeln die Nachricht von der Kapitulation der deutschen Truppen in Berlin ein. Wilde Gerüchte über die Lebenslage und die zukünftigen Grenzen zwischen Ost und West fanden willige Hörer und so mancher hatte auch schon seinen Handwagen zur weiteren Flucht gepackt. Am Sonntag, dem 1. Juli 1945, ertönte überall in Egeln der Ruf: "Die Russen kommen!" Hans Grube schrieb dazu in seiner Broschüre: "Dann sahen wir fassungslos zu, wie die Amerikaner und Engländer in geordneten Gruppen westwärts fuhren. Wir hatten mit etwas Schulenglisch so manchen menschlichen Kontakt aufgebaut. Und gegen Mittag kamen dann die Ersten der "Roten Armee", die erst gar nicht so wie die Sieger aussahen. Sie sahen schlecht aus in ihren Uniformen mit den gerollten Decken über der Schulter, Wickelgamaschen und schlechtem Schuhwerk."
Von April bis zum Herbst blieben Schulen geschlossen
Kleine Pferdegespanne, sogenannte Panjewagen, begleiteten die Kolonnen. Selten waren Kraftfahrzeuge dabei, manchmal ein Panzer. Tag und Nacht zogen sie durch Egeln. Schnell gab es am Markt eine Kommandantur und im Rathaus gab es sofort eine totale Veränderung. Neben vielen Angestellten musste der bisher amtierende Bürgermeister Pfarrer Strewe sofort seinen Platz räumen, damit der Vorsitzende der KPD zum neuen Bürgermeister ernannt werden konnte.
Viele Bürger ergriffen die Flucht in Richtung Westen, denn zu der Zeit war die neue Grenze noch kein großes Hindernis. Für die Hierbleibenden gab es sofort vielseitige Probleme. Unter der Herrschaft der Westmächte hatte es wenige Übergriffe durch die Besatzungsmacht gegeben. Jetzt wurde dies anders. Durch Verhöre und Verhaftungen entstanden für viele Bürger sehr gefährliche Situationen. Auf Hinweise missgünstiger und politisch fanatischer Mitbürger wurden die meisten ehemaligen Nazi-Mitarbeiter zum Rathaus bestellt oder auch nachts aus den Wohnungen abgeholt und mit unbekanntem Ziel fortgeschafft. Eine Gerichtsverhandlung gab es dafür nicht. Nur einige junge Männer, die als Melder beim "Volkssturm" eingesetzt waren, wurden aktenkundig vernommen, einer davon kam ohne Tatbeweise plötzlich ums Leben. Von April bis zum Herbst blieben die Schulen geschlossen. Die Lehrer wurden nach Parteizugehörigkeit überprüft. Nationalsozialisten waren unerwünscht. Trotzdem wurde am 21. September 1945 Oberstudiendirektor Thiemann als Rektor der Oberschule bestätigt, da kein anderer geeigneter Lehrer zur Verfügung stand und er sich auch sonst nichts zu Schulden kommen lassen hatte.
Egeln gehörte nun zur Russischen Besatzungszone. In der Politik der Sowjetunion hatten Kapitalisten nichts zu suchen. So wurden alle größeren Firmen enteignet. Die Besitzer flohen in den Westen. Das traf auch für die landwirtschaftlichen Güter zu. Im Rahmen der Bodenreform wurden sie am 31. August 1945 enteignet. Das Klostergut Marienstuhl wurde bis 1960 als Stiftungsgut gesondert verwaltet. Das Amt wurde volkseigenes Gut und die Felder der größeren Bauern wurden an Neubauern verteilt. Die modernen Anlagen der Egelner Zuckerfabrik wurden abgebaut, in Kisten verpackt und per Zug in Richtung Osten verschickt, wo sie aber nie ankamen.
Die Stadt platzte aus den Nähten. Die vielen Flüchtlinge und Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten, die Deutschland abtreten musste, brauchten Unterkunft. Der Winter kam und es wurde kalt. Kohle und Geld waren knapp. Jeder versuchte über die Runden zu kommen und wollte eine warme Stube haben. Wurde zuerst nur Reisig im Wald gesammelt, begann man nun, heimlich in der Nacht erste Bäume abzusägen. Ein Winter reichte aus und der Wald war abgeholzt. Der Wald wurde kurze Zeit später mit schnellwachsenden Pappeln aufgeforstet. Dazwischen wurden Eichen und Buchen gepflanzt, die langsam wieder zu einem Wald werden sollten. Aus dem Bartelswald entstand die Schrebergartenanlage "Waldeslust".