Brandschutz Einsames Haus ohne Rettungsweg
Im August musste die Mühlenbrücke in Giersleben gesperrt werden. Dadurch fehlt einem Mietshaus auf der anderen Seite der Rettungsweg.
Giersleben l Das Hindernis kündigt sich mit Ansage an. Erst werden die Straßen schmaler, dann die Löcher größer. Der Regen der vergangenen Tage und Wochen hat diese gefüllt und die sowieso schon ramponierte Mühlenstraße in Giersleben in eine kleine schlammige Stolper- und Holperpiste verwandelt. Wenn Autofahrer schon hier abgeschreckt sind (weil ja auch ein Verkehrsschild auf eine Sackgasse hinweist), so ist spätestens an der sogenannten Mühlenbrücke über die Wipper Schluss. Ein Zaun, ein Durchfahrtsverbotsschild und ein Zettel, der auf Lebensgefahr hinweist, verweisen und hindern den Autofahrer und Fußgänger dreifach darauf und daran, die Brücke zu benutzen.
„Die Brücke ist marode und musste im August gesperrt werden“, sagt Jan Ochmann (CDU), Verbandsgemeindebürgermeister in der Saale-Wipper.Soweit relativ unspektakulär. Es ist ungeklärt, wann und ob die kleine Brücke saniert wird. Das ist aber nicht das Problem.
Das Dilemma wird erst auf der anderen Seite der Wipper zum Schweißtreiber auf der Stirn. Hinter der Brücke ist die Welt nämlich fast zu Ende. Die Straße verliert sich, dahinter folgen Wiesen mit Gräben, dann Bahngleise. Und mittendrin stehen zwei Häuser, die mit der Sperrung der Brücke fast von Giersleben abgeschnitten wurden. Hinter der Mühlenbrücke steht auf der rechten Seite die Lucas-Mühle. Ein Verein kümmert sich um den denkmalgeschützten Vierseitenhof, der nicht dauerhaft bewohnt ist. Hier gibt es laut Ochmann einen anderen Zugang über die südwestliche Seite.
Etwas weiter unten steht auf der linken Seite ein weiteres Haus, das noch bewohnt ist. Eine einzige Frau wohnt dort zur Miete. Das Problem hier ist: Durch die Sperrung der Brücke und das Fehlen weiterer befestigter Wege auf dieser Wipperseite ist das Haus für Feuerwehr, Krankenwagen oder Polizei nicht mehr erreichbar. Der Rettungsweg ist verschwunden.
Hier kann es keine zwei Meinungen geben. Das Stichwort ist „Gefahrenabwehr“. Die Verbandsgemeinde Saale-Wipper muss sich Gedanken machen, wie der Zugang gewährleistet werden kann. „Es gibt verschiedene Varianten“, sagt Jan Ochmann. Die naheliegendste Option A ist: Die Brücke einfach sanieren, damit sie wieder befahrbar ist. „Die Wiederherstellung der Brücke würde 130.000 Euro kosten“, rechnet Ochmann vor.
Option B: Neben der bereits bestehenden Brücke wird eine Behelfsbrücke für Fußgänger über die Wipper errichtet. Die Kameraden der Feuerwehr könnten ihr Fahrzeug dann im Ort abstellen und zu Fuß auf die andere Seite laufen. Kosten der Brücke: 170.000 Euro. Die Finanzer drehen ihre Hosentaschen nach außen und schauen traurig um sich. So viel Geld ist so ohne Weiteres nicht da.
Daher ist die Option C sehr charmant. Auf der anderen Seite der Wipper wird ein neuer Rettungsweg hergerichtet. „Man könnte auf der rückwärtigen Wiese Schotter auftragen“, erklärt Jan Ochmann. Von der Straße „Am Furth“ könnte ein kleiner befestigter Weg für die Rettungsfahrzeuge angelegt werden, der bis zu einer kleinen Fußgängerbrücke über einen Nebengraben der Wipper führt. Die restlichen etwa 20 bis 30 Meter könnten die Kameraden zu Fuß gehen. Kostenpunkt: 11.500 Euro. Alternativ könnte auch ein Durchlass im Graben hergestellt werden, dann würden die Kameraden direkt bis zum einsamen Haus kommen.
Was nach einer annehmbaren Option klingt, zieht ein weiteres Problem nach sich. Der Eigentümer der Fläche zwischen Bahngleisen und Wipper, der die Fläche an seine Eltern zur Beweidung verpachtet hat, ist überhaupt nicht einverstanden. Er will das Stückchen seines Landes nicht abgeben. „Es gibt bereits ein Wegerecht für die Gemeinde Giersleben“, erklärt Ochmann. Eine bessere Trittspur, die auch als wackeliger Fahrradweg zu erkennen ist, führt zu dem einsamen Haus. „Ich brauche aber mehr“, sagt Ochmann. Damit dort auch Feuerwehrautos oder Krankenwagen entlangfahren können.
Natürlich hätte der Eigentümer einen Entschädigungsanspruch für die Fläche, die ihm verloren gehen würde. Er will aber generell mit aller Macht verhindern, dass der Rettungsweg hergestellt wird. „Der Eigentümer sagt: Solange es keine Gefahrenlage gibt, braucht es auch keinen Rettungsweg. Und wenn es brennt, können die Fahrzeuge ja dort entlang“, sagt Ochmann. Das ist irgendwie eine Frage nach Henne oder Ei.
Nun wehrt sich aber der Eigentümer sogar vor Gericht gegen die Pläne. Vor dem Verwaltungsgericht will er eine einstweilige Verfügung erwirken, um die Aufschotterung zu verhindern. Die Anhörung steht noch aus. Wie sieht Jan Ochmann die Erfolgschancen der Verbandsgemeinde? „Vor Gericht und auf hoher See sind wir allein in Gottes Hand“, sagt der Verbandsgemeindebürgermeister pathetisch. Er will nicht unnötig spekulieren. Aber: „Ich sehe für uns große Erfolgschancen vor Gericht. Es gibt keine andere Lösung.“
Der Haupt-, Finanz- und Vergabeausschuss der Saale-Wipper war in der vergangenen Woche gefragt worden, ob der Verbandsgemeindebürgermeister gegebenenfalls die 11.500 Euro als außerplanmäßige Aufwendung für die Errichtung des Rettungsweges aus dem Haushalt nehmen darf. Das Geld würde dann an anderer Stelle fehlen. Das darf Ochmann. Alle Ratsmitglieder hoben ihren Daumen. „Wir haben damit die Erlaubnis, uns mit dem Salzlandkreis auseinanderzusetzen“, sagt Ochmann. Denn der Kreis hat in einer ersten Stellungnahme laut Ochmann angedeutet, dass es sich bei dem Wiesengebiet um Naturschutz- und Überschwemmungsgebiet handelt. Heißt also: Selbst wenn das Gericht die Beschwerde des Eigentümers der Wiese abschmettert, braucht es noch Verhandlungen mit dem Kreis.
Möglich wäre natürlich auch, der letzten verbliebenen Anwohnerin eine andere Wohnung in Giersleben zu geben. Dann könnte sich die Verbandsgemeinde Saale-Wipper auch die 11.500 Euro für den Schotterweg sparen. „Es gab wohl Gespräche für einen Umzug“, sagt Verbandsgemeindebürgermeister Ochmann. Natürlich ist die Frau aber frei in ihrer Entscheidung und auch der Vermieter will freilich nicht auf Mieteinnahmen verzichten.
So oder so: Die Lage ist verzwickt. Und ein eigentlich kleines Problem zieht einen ganzen Rattenschwanz an Problemen nach sich. Bleibt nur zu hoffen, dass es nicht brennt, bevor das Problem gelöst ist.