Weiterbildung Gegen den Trend
Seit 2013 gibt es an der Staßfurter Urania Kurse zum Kindererziehungshelfer. Für viele Quereinsteiger ist es das Sprungbrett zum Erzieher.
Staßfurt l Margit Kietz kennt die nonverbalen Zustimmungsgesten der jüngeren Bevölkerung. Gerade war Marcus Klopfleisch, erfolgreicher Absolvent der Fortbildung zum Kindererziehungshelfer/Kinderpflegehelfer, in seinen Ausführungen dazu gekommen, seine weitere Ausbildung zum Erzieher zu erklären, da holte dieser aus: „Das ist mein Traumberuf. Du guckst in strahlende Kinderaugen, ich will nichts anderes mehr machen.“ Kietz – erste Vorsitzende des Vereins – hört‘s, strahlt ebenso, hebt die flache Hand und klatscht mit dem 37-Jährigen ab. „High five“ nennt man das in neudeutscher Sprache.
Ein Hoch auf die Weiterbildung, ein Hoch auf die Urania, so hätte man diese Szene auch deuten können. Seit 2013 gibt es an der Staßfurter Urania diesen Qualifizierungskurs, in dem sich jährlich über ein Dutzend Quereinsteiger weiterbilden lassen, um im sozialen Bereich Fuß zu fassen. Gerade hat der achte Durchlauf „Bergfest“ gefeiert, im Sommer hat im Idealfall jeder ein Zertifikat in der Hand, das den Weg bereitet für die nächste Stufe. „Im Jahr 2018 hatten wir eine Vermittlungsquote von 100 Prozent“, berichtet Kietz. Alle haben also danach einen Job in dem vormals artfremden Bereich gefunden. Das ist nicht jedes Jahr so, aber eine permanente Quote über 90 Prozent zeigt doch, dass der Kurs wichtig und richtig ist.
Doch was sind das für Menschen, die sich da beruflich völlig neu ausprobieren? 18 Frauen und ein Mann im besten Alter lassen sich derzeit jeden Tag berieseln. 1776 Unterrichtsstunden für die Ausbildung braucht es, dabei sind 600 Stunden Praktikum inbegriffen. Von Ende 20 bis über 50 reicht die Altersspanne. Die Botschaft, die hier vermittelt wird, ist vor allem: Es ist nie zu spät, sich umzuschauen. Da ist Jana Pursch aus der kleinen Könnerner Ortschaft Beesenlaublingen. Die 44-Jährige ist derzeit schon ehrenamtlich in der Küche eine Kita aktiv. „Da habe ich festgestellt, dass das sehr viel Spaß macht“, sagt sie. „Ich bin gerne auf Arbeit gegangen. Das hilft mir im Alltag.“ Was freilich nicht unwichtig ist bei der Motivationsfrage. Pursch ist gelernte Damen- und Herrenschneiderin. Was ihr an der Arbeit in Kitas gefällt: „Man bekommt sofort etwas zurück, das ist vollkommen ehrlich.“ Kindermund tut eben Wahrheit kund.
Oder Katja Henneberg, die gelernte Restaurantfachfrau ist, dann später bei einer großen Einzelhandelskette an der Information gearbeitet hat. Die 29-jährige Staßfurterin war eine sogenannte Aufstockerin. „Das habe ich sieben Jahre gemacht“, erzählt sie. Nun wollte sie ganz weg, keine finanzielle Unterstützung mehr von der Arbeitsagentur und geht nun ebenfalls diesen schweren Weg und drückt wieder die Schulbank. „Ich wollte eigentlich nur den Kinderziehungshelfer machen. Aber jetzt kann ich mir auch vorstellen, danach noch den Erzieher zu machen. Ich habe nichts bereut.“
Diesen warmen Tipp hat auch Marcus Klopfleisch. Dieser hatte vor zwei Jahren den Kurs bei der Urania belegt. Heute macht der Aschersleber eine Ausbildung als Erzieher in der Kita „Zwergenland“ in Löderburg. „Als Mann habe ich da grundsätzlich gewonnen, weil die Kinder es nicht gewohnt sind“, sagt er. Dass der 37-Jährige in seinem neuen Beruf aufgeht, braucht er gar nicht weiter zu vertiefen. „Ich war Finanzbuchhalter. Darauf hatte ich keine Lust mehr gehabt“, sagt er. Besser spät als nie den Absprung schaffen, dachte er.
Und weiter machen, die Botschaft hat er auch an die Schüler der Urania, als dieser zum Infogespräch vor die Klasse tritt. „Wenn ihr das hier gut umsetzt, dann schafft ihr auch die Berufsschule. Es wird nicht schlimmer. Ich kann nur raten: Macht weiter, das hilft extrem.“
Die vielen Frauen und der eine Mann nicken. Alles ist bunt. Der berufliche Horizont ist weit, nur Mut ist gefragt. So auch bei Eileen Busse aus Staßfurt. „Wir kriegen hier viel Wissen, es ist jeden Tag etwas anderes“, sagt die 33-jährige zweifache Mama. Busse war im Lebensmittelverkauf tätig, hat dann im Callcenter, in der Gastronomie und als Backwarenverkäuferin gejobbt. Nun hat auch sie ihre Passion gefunden, sie ist angekommen. Ob auch Eileen Busse den Erzieher hinten dranhängt? Vorstellbar ist das.
Finanziert werden die Weiterbildungskurse über die Agentur für Arbeit. Immer mehr stehen die Kurse dabei auch vor der großen Klammer Fachkräftemangel. Der Arbeitsmarkt ist im ständigen Wandel und mittlerweile gibt es sogar mehr Ausbildungsplätze als es überhaupt Bewerber gibt. „Manche Berufe sind auch einfach nicht mehr da“, sagt Margit Kietz. Sie denkt da an Funkmechaniker oder Chemiefacharbeiter. In diesen Bereichen gilt also: Weiterbildung ist gefragt. „Ich habe noch fast 30 Jahre zu arbeiten“, sagt Marcus Klopfleisch. „Es lohnt sich also.“ Und der hoch aufgeschossene Mann ist da auch das leuchtende Beispiel dafür, dass der soziale Bereich längst nicht mehr nur Frauen vorbehalten ist, auch wenn in der aktuellen Weiterbildungsklasse in der Urania nur ein Mann ist. Bei Marcus Klopfleisch aber in der Berufsschule kommen auf 28 angehende Erzieher acht Männer. Das ist eine beachtliche Quote.
„Rafft euch auf“, ist auch der Aufruf, den Margit Kietz macht. „Viele Schüler wachsen auch persönlich in ihrem Charakter“, erklärt Monika Borchert, die eine von acht Lehrern an der Staßfurter Urania ist. „Das motiviert mich.“
In der aktuellen Klasse ist das Getuschel dann groß beim Besuch der zwei bekannten Lehrer sowie des ehemaligen Schülers. Es wird sich gegenseitig zugenickt, ein Wort ergibt das andere, es wird gelacht. Der Zusammenhalt ist groß, es menschelt. Sitzen hier angehende Erzieher? Ganz bestimmt. Die, die Staßfurt und der Salzlandkreis noch brauchen. Die, die ihr berufliches Leben selbst in die Hände genommen haben.