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Wahrzeichen Kirchenbrand jährt sich

Vor 70 Jahren brannte die Johanniskirche in Staßfurt aus. Auch Günter Oelke erinnert sich

Von Günter Oelke 15.06.2018, 04:00

Staßfurt | Die Schule war vorbei, Hausaufgaben gemacht. Der 27. Mai 1948 war ein normaler Donnerstag bei schönem Wetter, raus geht es zum Spielen. Es war Nachmittag, sechs bis acht Jungen aus der Ecke Kreuzung Hohlweg-Andreasstraße-Atzendorfer- und Calbeschen Straße zogen zur Mühlendammspitze - zwischen Schlachthof und Knappschaftskrankenhaus gelegen - am Zusammenfluss von Bode und Mühlengraben. Auf dem alten Schützenplatz und in den Büschen konnte man gut Cowboy und Indianer spielen.

Auf einmal Feueralarm, die Sirenen heulten, einige Feuerwehrautos fuhren mit Sondersignalen. Es entstand eine Situation der Aufregung für uns Jungen. Wir waren neugierig, es ging vor das Schützenhaus (heute der Lidl-Markt). Freie Fläche, wir sahen eine dunkle große Rauchsäule, konnten aber noch nicht erkennen, dass es die Johanniskirche ist. Die Neugier wurde immer größer. Wir nahmen die Füße in die Hand - Über die schmale Holzbrücke über die Bode, weiter auf dem schmalen Fußweg parallel zur Eisenbahnstrecke, die Treppen hinauf zur Löbnitzerbrücke (heute Schlachthofbrücke), die Straße existierte noch nicht. Jetzt sahen wir das Feuer, die Flammen schlugen schon weit über die Turmspitze, die Stadt war voller dunkler Rauchwolken, überall standen Menschen.

„Überall standen entsetzte Menschen und schauten, wie die Kirche brannte.“

Das Entsetzen stand in den Gesichtern. Manche falteten die Hände und beteten. Wir standen und guckten, enorme Spannung, Abenteuerlust und weitere Neugier entwickelte sich. Wir wollten zur Brandstelle - jedoch mussten wir auch pünktlich zur verabredeten Zeit wieder zu Hause sein. Also Eltern informieren, auch die waren nun neugierig, und ab ging es den Hohlweg hinunter und am Landhaus auf der Bodebrücke. Überall standen entsetzte Menschen und schauten, wie die Kirche brannte: Man sah das Gotteshaus im Vollbrand und die Feuerwehren rückten aus dem ganzen Kreis Calbe zur Verstärkung an.

Uns hinderte die Aufregung nicht - wir wollten noch weiter heran. Also an der Tankstelle Schumann (heute Kreisverkehr Bodebrücke) vorbei, zur Brücke am Kohlenhof (heute Bodepark). Dort waren Feuerwehren dabei, Wasser aus dem Mühlengraben zu entnehmen und über Langewegstrecke das Wasser zum Brandort zu bringen. Die Schläuche lagen an der alten Brennerei und Zuckerfabrik vorbei bis kurz vor der Kirche. Es roch stark nach Rauch und verbranntem Holz. Für uns gab es nicht genug zu sehen.

Also weiter durch die Stadt zum Schloßkaffee in der Schloßstraße (heute Kottenstraße). Da gab es noch weniger zu sehen, weil dort mehre mehrstöckige Häuser standen und die Sicht versperrten. Das Haus der Firma Lindenberg (heute Stadtsee) war mit Dachpappe gedeckt und die Bewohner gossen fleißig Wasser auf das Dach, damit das Haus nicht auch noch abbrannte. Durch die Hitze war der Auftrieb von glühenden Holzstücken so groß, dass Stücke so groß wie Briketts durch die Luft flogen. Auch hier waren Menschen über Menschen die entsetzt den Löscharbeiten der Feuerwehr zuschauten. Auch hier roch es sehr stark nach verbranntem Holz und eine große Hitze breitete sich aus.

„Mein Vater, Löschmeister der Feuerwehr Staßfurt, war mit seiner Truppe etwa acht Tage im Einsatz.“

Wir gingen zur alten Adler-Apotheke. Über Schläuche der Feuerwehr und durch Menschenmassen geschlängelt – auch hier das Bild des Entsetzens und der Trauer um das Wahrzeichen von Staßfurt. Weiter zum Eulenturm und Brandhof - aber auch hier Feuerwehrschläuche, Menschenmassen, die diesem „Höllenfeuer“ zusahen und doch nichts machen können.

Die Feuerwehr und die Volkspolizei hatten die Brandstelle weiträumig abgesperrt.

Was war geschehen? Drei Kinder oder Jugendliche hatten sich unerlaubt Zutritt in die Kirche verschafft und dort mit Feuer gespielt - oder nur heimlich geraucht. Das erzählte man. Die Personen waren namentlich bekannt. Die Kirche wurde von der LPG als Scheune benutzt und Stroh war eingelagert, das sofort Feuer gefangen hatte. Die Kinder oder Jugendlichen konnten sich retten und sind meines Wissens ohne gesundheitliche Schäden davon gekommen.

In der Volksstimme vom 27. Mai 2018 steht, dass der Turm etwa 1430 gebaut wurde und das Kirchenschiff um 1470 angebaut wurde. Zu diesem Zeitpunkt wurden noch Stämme aus von Bäumen mit einem Durchmesser von 60 oder 70 Zentimetern verarbeitet. Das heißt, in der Kirche war viel Holz, starke Balken, über Jahrhunderte ausgetrocknetes Holz. Das brennt wie Zunder und ist schwer zu löschen.

Die Kirche brannte mehrere Tage. Mein Vater, Löschmeister der Feuerwehr Staßfurt, war mit seiner Truppe etwa acht Tage im Einsatz, um die immer wieder auflodernden Glutnester in den Holzbalken zu löschen. Die Mannschaften wechselten sich ab, schliefen teilweise im Gerätehaus im Athenslebener Weg auf Feldbetten.

„Eine Sprengung kam aus mehreren Gründen nicht in Frage. Einige Wohnhäuser standen zu dicht an der Kirche.“

Durch die große Hitze und weggebrannten Balken brachen Teile vom Kirchenschiff weg, sodass später das ganze Kirchenschiff wegen Einsturzgefahr abgerissen wurde. Der Turm wurde ab 1964 abgetragen. Eine Sprengung kam aus mehreren Gründen nicht in Frage. Einige Wohnhäuser standen zu dicht an der Kirche. Ein weiterer Grund ist die große Masse des Turmes. Wird er gesprengt, wird die Masse auf eine größere Fläche verteilt und der Gegendruck aus dem Erdinneren würde zu groß werden. Es entstünden weiter Schäden. Durch das Abtragen wurde die Masse Schritt für Schritt verringert und der Erddruck entspannte sich langsam. Trotzdem kam es in der Innenstadt zu vielen Schäden. Einige Häuser mussten abgerissen werden. Diese Flächen konnten en nicht wieder bebaut werden oder nur mit leichten Gebäuden, wie auf dem Sperlingsberg oder am Postring.

Da die Johanniskirche im Senkungsgebiet der ersten Kalischächte der Welt stand, kam es bereits vor dem Brand zu Verwerfungen am Schiff, dass mit zusätzlichen Pfeilern abgestützt wurde. Der Turm stand 4,65 Meter aus der Senkrechten. Wegen Bergbauschäden musste 1884 das Gotteshaus vorübergehend geschlossen werden. Später wurde es wieder genutzt und am 9. Juni 1906 fand der letzte Gottesdienst statt. Dann wurde die Kirche für immer geschlossen.

Die Bergbaubehörde stellte der evangelischen Gemeinde 1906 ein Grundstück für eine Notkirche zur Verfügung. Sie wird auch Interimskirche genannt. Dieses kleine Kirchlein stand am Luisenplatz. Sie erfüllte ihren Dienst bis 1984. In dieser Kirche wurde ich im März 1953 konfirmiert. Dann wurde sie ebenfalls abgerissen und es entstand der Durchgang zum Benneckeschen Hof.