Vorfall Tatverdächtiger aus Güsten verwiesen
Nach der Anzeige einer jungen Frau mit dem Vorwurf der sexuellen Nötigung musste der tatverdächtige Syrer seine Koffer packen.
Güsten l Aufruhr in Güsten: Die Polizei hatte einen Vorfall gemeldet. Ein 16-jähriges Mädchen soll in der Nacht von Montag vergangener Woche in der Anneliese-Kaiser-Straße von einem syrischen Flüchtling (25) sexuell belästigt und angefasst worden sein. Der Täter floh, konnte aber von den ermittelnden Beamten gefasst werden.
Die Straftat sorgte für erhebliche Unruhe. Auch kamen diverse Gerüchte in der Stadt auf: Es sollen gleich mehrere Täter gewesen sein, die über das Mädchen herfielen. In den sozialen Netzwerken verbreiteten sich diese Anschuldigungen. Das stimmt jedoch laut Polizei nicht. Genauso wenig stimmt es, dass mehrere Flüchtlinge der Stadt verwiesen wurden.
Trotzdem ist in den vergangenen Tagen viel passiert. Denn auch in der Facebook-Gruppe, die Steffen Globig als Verbandsgemeindebürgermeister von Saale-Wipper unterhält, begannen die Diskussionen. Bürger schrieben von ihrer Angst um ihre Frauen und Kinder. Steffen Globig nahm mehrfach in dem Portal Stellung - bis er schließlich versprach, etwas zu unternehmen.
„Die Spannung wurde vor Ort einfach zu groß“, erklärt Steffen Globig gegenüber der Volksstimme. „Ich selbst verurteile diese Tat und kann es der Bevölkerung nicht mehr zumuten, dass der Tatverdächtige in dem Umfeld bleibt.“
Am Tag nach der Meldung zur Tat hat er zum Salzlandkreis Kontakt aufgenommen - die Verwaltung ist für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig, weist sie Wohnungen der kommunalen Wohnungswirtschaft und privater Anbieter zu oder bringt sie in Gemeinschaftsunterkünften unter. „Die Kreisverwaltung hat letztendlich eingesehen, dass wir etwas tun müssen“, so Steffen Globig. Eine Presseanfrage seitens der Volksstimme an die Behörde blieb bisher unbeantwortet.
Der Tatverdächtige sei dann Mitte vergangener Woche in einer anderen Gemeinde im Salzlandkreis untergebracht worden, berichtet Steffen Globig. Er soll jetzt in einer Gemeinschaftsunterkunft leben. „So eine Tat ist absolut inakzeptabel“, sagt der Verbandsgemeindebürgermeister. „Wir wollten damit auch ein Zeichen setzen. Das, was dort passiert ist, kann man den Menschen nicht erklären“, sagt er weiter.
In dem konkreten Fall komme hinzu, dass die Stimmung in der Anneliese-Kaiser-Straße in Güsten ohnehin bereits aufgeheizt gewesen sei. Mehrere Flüchtlingsfamilien mit vielen Kindern seien dort in den Wohnungen der Bernburger Bau- und Wohnungsgesellschaft (BBG), ein kommunales Wohnungsunternehmen, untergebracht. Insgesamt leben etwa 60 Flüchtlinge in Güsten, zum Großteil Syrer. In den Blöcken beschweren sich die deutschen Mieter immer wieder über die lauten Kinder, den Umgang der Asylbewerber mit ihrem Müll und weitere Angewohnheiten der Ausländer.
Steffen Globig weiß um die Situation beider Seiten. Er kann aber auch Verständnis für die beiden Seiten aufbringen. Die Situation des Zusammentreffens der unterschiedlichen Prägungen sei eine besondere: „Wenn dort jemand als Lokführer arbeitet und um 3 Uhr aufstehen muss, ist das Spielen der Kinder bis in die Nacht hinein natürlich schlimm. Aber auch für die Flüchtlinge habe ich Verständnis. Sie haben nun einmal viele Kinder, die herumtoben und spielen wollen. Spielen sie in der Wohnung, fühlen sich die Nachbarn belästigt, es ist ja alles so hellhörig in diesen Wohnungen. Spielen die Kinder draußen, ist es auch nicht recht.“ Die kulturellen Unterschiede seien groß. Während die Syrer aus einem Land kommen, wo jahrelang Krieg herrschte und die gesellschaftliche Ordnung zusammengebrochen ist, würden die deutschen Bewohner ihrer Arbeit nachgehen und seien entsprechend ruhebedürftig, so Steffen Globig. Es leben auch viele ältere Menschen in den Mehrfamilienhäusern.
Der Verbandsgemeindebürgermeister war selbst vor Ort, um das Gespräch mit den Flüchtlingen zu suchen. Wie auch die Soziallotsen des Landkreises schon mehrfach, hat er Aufklärungsarbeit geleistet. „Ich habe versucht, den Familien noch einmal zu erklären, dass der Müll getrennt werden muss und dass sich die anderen Hausbewohner mehr Ruhe wünschen, dass die Kinder nicht in der Nacht toben dürfen.“ Über seine Frau, Soziallotsin Julia Globig, die mit weiteren Ehrenamtlichen Flüchtlinge in Güsten betreut, bekam er die Situation nach dem Vorfall auch aus der Sicht der Syrer mit: „Sie hatten danach regelrecht Angst, in ihre Wohnungen zu gehen.“ Steffen Globig verweist auf Mohammed Alfalouje. Der Syrer lebt schon länger in Deutschland, kann gut Deutsch und ist Soziallotse in Aschersleben. Im Gespräch mit seinen Landsleuten, die im gesamten Salzlandkreis untergebracht sind, war der Vorfall in Güsten immer wieder Thema.
Etliche syrische Flüchtlinge im Salzlandkreis, so Mohammed Alfalouje, schämen sich wegen der Tat ihrer Landsmannes sehr und seien entsetzt. „Wir verurteilen diese Tat zutiefst und sind sehr enttäuscht über diese Sache“, erklärt er gegenüber der Volksstimme. Mohammed Alfalouje findet, dass jetzt rechtliche Konsequenzen folgen müssen und zwar - ganz rigoros - die Ausweisung aus Deutschland. „Deutschland hat seine Türen für uns geöffnet. Und dann macht jemand so etwas? Mir fehlen die Worte“, sagt er erbost.
Die Syrer bewege der Vorfall in Güsten sehr, erzählt Mohammed Alfalouje. Nicht nur, weil auch die anderen syrischen Familien in Güsten Angst um ihre jungen Mädchen hätten, sondern auch wegen des schlechten Bildes, das jetzt aufkomme. „Wir hoffen, dass wir in Deutschland von den Menschen akzeptiert werden und dass wir hier eine Chance für die Zukunft bekommen“, so Mohammed Alfalouje. Er und der Großteil seiner Landsleute strebten ein friedliches und bürgerlich geprägtes Miteinander in der Gesellschaft an.
Polizeisprecher Marco Kopitz von der Polizei des Salzlandkreises - diese hatte auch die Erstmeldung zum Vorfall herausgegeben - muss bei dem Thema betonen, dass der Umzug des Flüchtlings keine direkte strafrechtliche Folge des Vorfalls ist. Die Polizei hat nichts mit der neuen Unterbringung des Mannes zu tun. Steffen Globig hat diese selbstständig bei der Ausländerbehörde des Kreises eingeleitet. Die Polizei wurde von ihm über den neuen Wohnort des Tatverdächtigen informiert.
„Der Wegzug des Flüchtlings ist kein Beweis, dass er tatsächlich schuldig ist“, erklärt Marco Kopitz. Die junge Dame hatte Anzeige erstellt, die Polizei hat erste Vernehmungen durchgeführt. Danach wurde der Täter wieder auf freien Fuß gesetzt. So will es das deutsche Recht, denn zunächst gilt die Unschuldsvermutung.
„Die Polizei wird in dem Fall weitere Vernehmungen anstellen, dazu müssen Dolmetscher hinzu geholt werden. Der Beschuldigte muss sich Rechtsbeistand suchen“, erklärt Marco Kopitz und deutet an, dass sich die Ermittlungen wie bei jedem anderen Fall auch noch hinziehen werden. „Zunächst einmal ist er ‚nur‘ ein Tatverdächtiger.“
Die Diskussion in der offenen Facebook-Gruppe „Frag doch mal den Bürgermeister der Verbandsgemeinde“ hat sich mittlerweile wieder beruhigt. Zuvor wurde dort sogar der Ruf nach einer freiwilligen Bürgerwehr für Güsten laut.