Ausstellung Leichen als Lehrstoff

Die Ausstellung „Echte Körper“ zeigt in Stendal ab 5. Februar plastinierte Leichen. Die Schau biete anatomisches Wissen, heißt es.

Von Nora Knappe 30.01.2016, 00:01

Stendal l Man könnte sie verwechseln, und tatsächlich passiert das auch. Doch die Ausstellung konservierter menschlicher Körper, die unter dem Titel „Echte Körper – Von den Toten lernen“ ab 5. Februar in Stendal auf dem Schützenplatz gastiert, hat nichts mit den „Körperwelten“ Gunther von Hagens‘ zu tun. Davon distanzieren sich die Aussteller sogar.

„Bei den ‚Körperwelten‘ findet man leider immer mehr Sensationelles, zum Beispiel ein kopulierendes Paar oder eine Frau in Latexstiefeln und Korsett“, sagt Thomas Müller, Technischer Leiter und Pressebeauftragter der „Echte Körper“-Schau, im Telefonat mit der Volksstimme. „Der ethische Gedanke wird bei von Hagens zunehmend mit Füßen getreten, da geht es eher um Kunst. Bei uns geht es nüchtern zu, der Realitätsbezug ist gegeben – allen Vorwürfen zum Trotz.“

Einer dieser Vorwürfe lautet „Zurschaustellung von Leichen“. Den sieht Müller aber nicht gerechtfertigt. „Die Würde der Toten wird geachtet, indem alle Exponate museal in Glasvitrinen präsentiert werden.“ Auf eine nachträgliche rote Einfärbung der Muskeln wurde verzichtet. „Optisch gleichen die Exponate den Körperspendern auf den Seziertischen der Universitäten, die angehenden Medizinern zum Studium der Anatomie dienen.“ In den bisherigen Ausstellungen seien immer auch Besucher gewesen „mit Lehrbuch, um sich auf medizinische Prüfungen vorzubereiten“, hat Müller beobachtet.

Die Exponate sind Leihgaben der Firma Corcoran Laboratories in Michigan (USA), dem laut Pressemitteilung „führenden amerikanischen Hersteller medizinischer Präparate“. Das hier angewandte Verfahren der Plastination gleicht dem von von Hagens – einer seiner ehemaligen Mitarbeiter sei in die USA gegangen und habe sich dort die Patentrechte gesichert. Corcoran Laboratories stelle die Exponate für die Dauer der Ausstellung zur Verfügung.

Die plastinierten Körper stammten allesamt von amerikanischen Spendern aus dem „Body Donation Program“, sie hätten zu Lebzeiten darüber verfügt, dass ihr Körper nach dem Ableben der Ausbildung von Medizinern sowie der Aufklärung von Laien zur Verfügung stehen soll.

Zudem steht als Rechteinhaber/Leihgeber im Impressum der „Echte Körper“-Internetpräsentation eine Firma namens „Medicare Exhibition“ aus dem britischen Reading, Berk­shire. Zuvor hieß die Firma „Institut Prof. Dr. Williams“ und davor „Prof. Dr. Williams Museum for Anatomical Science“. Noch häufiger als die Firmennamen wechselten die Geschäftsführer.

Die Schau „Echte Körper“ wolle laut Homepage „anatomisches Wissen an interessierte Besucher – insbesondere an Schulklassen – vermitteln“. Insgesamt umfasst sie rund 200 Ausstellungsstücke (Körperteile, Organe, ganze Körper, Modelle), nebst Erläuterungen, Multimediavorführungen und Lehrtafeln. Sie berührt folgende Themenbereiche: Skelett, Bewegungsapparat, Gehirn und Nervensystem, Geschlechtsorgane, Herz und Blutkreislauf, Nieren und Harnwege, Verdauungssystem, Sinnesorgane, Atemwege und Lunge. Darüber hinaus werde die Gelegenheit geboten, sich mit den Themen Organspende, Krebs, Aids, Alkohol und Nikotin auseinanderzusetzen.

Bei der Gestaltung der Ausstellung „wurden wir von Medizinern beraten, und sie ist so aufgebaut, dass der Besucher behutsam von Körperteilen an den Ganzkörper herangeführt wird“, sagt Thomas Müller. Man verzichte „bei der Präsentation der Ganzkörperexponate ganz bewusst auf reißerische, unnatürliche Posen und auf Effekthascherei“.

Die Ausstellung „Echte Körper – Von den Toten lernen“ ist seit 2006 in Deutschland auf Tour, seit zwei Jahren sind Harald Sperlich und Familie aus Raduhn die Manager in Deutschland. Sie verwahren, so Pressesprecher Thomas Müller, die Exponate laut Mietvertrag in speziell für jedes Exponat angefertigten Behältnissen.

Auf der Internetseite der Ausstellung gibt es einen Menüpunkt „Organspende“ sowie die Aussage: „ECHTE KÖRPER präsentiert vom Verein PRO ORGANSPENDE e.V.“. Welcher Verein das sei, dazu konnte Pressesprecher Thomas Müller keine Auskunft geben – was auch die Frage der Volksstimme unbeantwortet lässt, was diesen Verein dazu bewogen hat, sich in den Kontext der Körperspende zu stellen.

Es gibt zwar einen Verein selbigen Namens, der am Universitätsklinikum Münster angesiedelt ist und die Initiative Münsteraner Musiker „No panic for organic - Sag JA zur Organspende!“ trägt. Von der Volksstimme auf die Internetseite angesprochen, reagierte Vereinsvorsitzender Dieter Kemmerling überrascht bis bestürzt. „Ich höre heute zum ersten Mal davon“, sagte er am Montag. „Wir distanzieren uns sehr stark davon, weil wir nicht der genannte Verein sind und diese Ausstellung in Verbindung mit Organspende nicht gutheißen.“ Fest stehe, so Kemmerling: „Es gibt nur einen Verein Pro Organspende, unseren.“ Und deshalb werde er Anwälte einschalten.

Im deutschen Handelsregister – das im Internet einsehbar ist – taucht zwar tatsächlich ein weiterer Verein „Pro Organspende e.V.“ auf, mit Sitz im hessischen Hünfelden-Mensfelden – allerdings mit dem Vermerk „gelöscht“.

Die Münsteraner Kanzlei Schulze Horn, die die Marke „No panic for organic“ vertritt, werde nun „rechtliche Schritte einleiten, denn das soll konsequent verfolgt werden“, sagte Kathrin Schulze Horn am Donnerstag der Volksstimme.

Wo die Ausstellung nach ihrem Gastspiel in Stendal als Nächstes sein wird, konnte Pressesprecher Müller noch nicht sagen, diese Terminierung erfolge immer relativ kurzfristig, zumal viele Gemeinden nicht wollten. Stendal hingegen wollte und hatte bei der Genehmigung zur Nutzung des Schützenplatzes „hinsichtlich der Inhalte keine Bedenken“, wie Stadtsprecher Klaus Ortmann auf Volksstimme-Anfrage mitteilte.

Ob die Ausstellung denn nicht mit dem Bestattungsgesetz Sachsen-Anhalts in Konflikt stehe? Ortmann: „Die Ausstellung plastinierter Leichen könnte gegen §  14 verstoßen“, wonach jede Leiche bestattet werden muss. Jedoch, so fügt er eine rechtsgutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. Friedhelm Hufen, Universität Mainz und Mitglied des Verfassungsgerichtshof des Landes Rheinland-Pfalz, an, beträfen die Bestattungsgesetze „nur Leichen, die zur Bestattung vorgesehen sind, was bei Plastinaten gerade nicht der Fall ist“.

Die Ausstellung „Echte Körper – Von den Toten lernen“ gastiert vom 5. bis 14. Februar in Stendal auf dem Schützenplatz, täglich von 11 bis 18 Uhr.