1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Obdachloser schwänzt Verhandlung

Amtsgericht Obdachloser schwänzt Verhandlung

Wegen einer Flasche Wodka, die er in Stendal gestohlen hat, sollte sich ein Spätaussiedler verantworten. Er erschien aber nicht.

Von Wolfgang Biermann 05.05.2020, 11:00

Stendal l Diebstahl geringwertiger Sachen, in diesem Fall Ladendiebstahl, wurde jüngst einem Mann vor dem Stendaler Amtsgericht vorgeworfen. Der Prozess im sogenannten beschleunigten Verfahren platzte allerdings, weil der Angeklagte nicht erschien.

Der aus Tadschikistan stammende Spätaussiedler soll in einem Einkaufsmarkt in der Heerener Straße eine fünf Euro teure Flasche Wodka eingesteckt, aber nicht bezahlt haben. Er wurde hinter der Kasse erwischt. Die Mitarbeiterinnen riefen die Polizei, die Beamten nahmen die Strafanzeige auf.

Die Staatsanwaltschaft reagierte schnell und beantragte beim Amtsgericht die Entscheidung im beschleunigten Verfahren. Dabei soll sinnbildlich gesprochen die Strafe der Tat auf dem Fuße folgen, möglichst in einer Frist von sechs Wochen, „...wenn die Sache auf Grund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist...“, heißt es dazu in der Strafprozessordnung.

Eine Anklageerhebung – wie im Regelfall üblich – entfällt. Stattdessen kann die Anklage beim Prozessauftakt mündlich erhoben werden. Stellt die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Entscheid im beschleunigten Verfahren, so wird die Hauptverhandlung nach dem Gesetz „sofort oder in kurzer Frist“ durchgeführt.

Und zwar ohne dass es einer Entscheidung über die im „Normalfall“ erforderliche Eröffnung des Hauptverfahrens bedarf. So weit die Theorie. In der Gerichtspraxis ist es leider so, dass diese Verfahren nicht immer wie geplant durchgeführt werden können. Und das aus den unterschiedlichsten Gründen, meist, weil die oder der Angeklagte fehlt.

So auch in diesem Fall des Wodka-Diebstahls. Der Angeklagte hatte nämlich keine ladungsfähige Anschrift, zur Tatzeit lebte er im Stendaler Obdachlosenheim. Wo er sich derzeit aufhält, ist unbekannt. Nun wird nach Auskunft des Vorsitzenden Richters aus dem beschleunigten ein „normales“ Strafverfahren.

Viel Bürokratie also, noch dazu nicht billig. Denn zum Prozess war eine auswärtige Dolmetscherin angereist. Für den Fall, dass der Angeklagte des Deutschen nicht so mächtig ist, dass er einer Gerichtsverhandlung folgen kann. Dazu war noch eine Kassiererin aus dem Einkaufsmarkt als Zeugin geladen worden. Dolmetscherin und Zeugin wurden nach Hause geschickt, sie werden eventuell aber doch noch einmal benötigt.

Denn das Gericht bekundete, einen staatsanwaltlichen Antrag vorausgesetzt, einen schriftlichen Strafbefehl mit Geldstrafe erlassen zu wollen. Erreicht dieser Strafbefehl den Angeklagten dann tatsächlich, kann er dagegen Einspruch einlegen. Der Fall käme dann erneut vor das Stendaler Amtsgericht.