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Ukraine-Krieg Ärztin in Stendal wird Bilder vom Krieg gegen Ukraine nicht mehr los und entscheidet sich, zu helfen

Die Kinderärztin Larissa Neumann ist seit 28 Jahren im Johanniter-Krankenhaus in Stendal tätig. Mit dem Überfall auf ihrer Heimat Ukraine verändert sich ihr Leben.

Von Claudia Klupsch 22.02.2024, 04:00
Larissa Neumann ist mit Leib und Seele Kinderärztin am Johanniter-Krankenhaus in Stendal. Die jüngsten Patienten – hier Huda Khayat (3) – lieben sie.
Larissa Neumann ist mit Leib und Seele Kinderärztin am Johanniter-Krankenhaus in Stendal. Die jüngsten Patienten – hier Huda Khayat (3) – lieben sie. Foto: privat/Johanniter-Krankenhaus Stendal

Stendal. - Es ist der 24. Februar 2022, der das Leben der Kinderärztin Larissa Neumann grundlegend verändert hat. An dem Tag überfiel Putins Armee die Ukraine. „Als ich die Nachricht bekam, war ich wie gelähmt“, erinnert sich die Doktorin Larissa Neumann, weit weg in ihrer Wahlheimat Stendal, im Norden von Sachsen-Anhalt.

Sie weinte. Sie war verzweifelt. „Es brach mir das Herz.“ Am liebsten wäre die gebürtige Ukrainerin sofort in die Heimat aufgebrochen, um dort zu helfen. „Du wirst hier gebraucht“, sagt damals ihr Mann und findet die richtigen Worte.

Der Angriff auf ihre Heimat Ukraine ließ die Ärztin nicht mehr ruhig schlafen

Seit 29 Jahren lebt die Medizinerin Larissa Neumann in Deutschland, seit 28 Jahren in Stendal. Als Oberärztin in der Kinderklinik des Johanniter-Krankenhauses ist sie für die jüngsten Patienten da. Sie ist mit Leib und Seele Kinderärztin. Ehrenamtlich engagiert sie sich seit 20 Jahren als Kreisverbandsärztin beim Deutschen Roten Kreuz.

Der Angriff auf ihre Heimat ließ sie - wie auch andere Ukrainer in Stendal - nicht mehr ruhig schlafen. „Die Bilder vom Krieg und seinen Opfern, von zerstörten Häusern und traumatisierten Menschen ließen mich nicht los“, erzählt sie. In Telefonaten mit Familienangehörigen und Freunden erlebte sie unmittelbar deren Angst und Verzweiflung. „Es gibt genug Grund zu weinen. Es hieß, diese Situation anzunehmen. Ich musste handeln.“

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Larissa Neumann handelte. Sie begann, medizinisches Material für Notfallstationen und Krankenhäuser im Kriegsgebiet zu sammeln. Auf ihre Initiative spendeten das Johanniter-Krankenhaus, Sanitätshäuser, Apotheken, Firmen und Privatleute in und um Stendal – von Krankenbetten und Rollstühlen, über Windeln und Verbandsmaterial bis hin zu Medikamenten, Desinfektionsmitteln und Schutzkleidung. Auch Geldspenden trafen ein. „Der erste Hilfskonvoi startete am 5. März 2022“, hat sie das Datum noch im Kopf. Weitere sollten folgen – bis heute.

Als die ersten Geflüchteten aus der Ukraine in Stendal eintrafen, richtete Larissa Neumann ärztliche Sprechstunden ein. „Jedes Kriegsopfer bringt seine Geschichte mit“, lässt sie durchblicken, von welchen Schicksalen sie erfahren hat. Längst sei nicht nur medizinische, sondern auch psychosoziale Unterstützung nötig gewesen – Beistand für die Ankunft im Alltag hier, für den Umgang mit Behörden und dem Jobcenter.

Der schwer verletzte Soldat Konstantin Kotzar wird im Johanniter-Krankenhaus in Stendal versorgt. Ihm steht Dr. Larissa Neumann zur Seite.
Der schwer verletzte Soldat Konstantin Kotzar wird im Johanniter-Krankenhaus in Stendal versorgt. Ihm steht Dr. Larissa Neumann zur Seite.
Foto: privat/Johanniter-Krankenhaus Stendal

Fortwährend steht die Ärztin in Kontakt zu Landsleuten, die in Stendal Zuflucht gefunden haben, wie etwa zum schwer kranken, verletzten Soldaten Konstantin Kotzar, der im Johanniter-Krankenhaus versorgt wird. Im Privaten bleibt sie für viele noch immer der Anlaufpunkt. Und sie ist dafür dankbar, nicht allein zu sein.

„Dass sich so viele Menschen hier für die Ukraine einsetzten, gab mir sehr viel Kraft und Motivation“, betont sie. Die einen nahmen extra Urlaub, um mit den Hilfstransportern hunderte Kilometer bis zu Sammelstellen an der ukrainischen Grenze zu fahren, andere halfen in der Flüchtlingsunterkunft und bei der ärztlichen Betreuung oder kümmerten sich um Möbel für Wohnungen. „Ich bin voller Dankbarkeit“, sagt Larissa Neumann. Sie schweigt eine ganze Weile, nachdenkend wohl in all den Erinnerungen.

Seit Beginn des Angriffs auf die Ukraine sammelt die Ärztin Larissa Neumann Hilfsgüter fürs Kriegsgebiet in ihrer Heimat.
Seit Beginn des Angriffs auf die Ukraine sammelt die Ärztin Larissa Neumann Hilfsgüter fürs Kriegsgebiet in ihrer Heimat.
Foto: privat/Johanniter-Krankenhaus Stendal

Dieser schreckliche Krieg, der vor zwei Jahren begann, „geht uns alle an“, sagt sie und richtet ihre Mahnung an diejenigen, die meinen, dem sei nicht so und deshalb die Militär-Hilfen skeptisch sehen. „In der Ukraine geschieht die größte Tragödie in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Und niemand weiß, bis zu welcher Grenze Putins Ambitionen reichen“, sagt die Ärztin und fügt hinzu: „Die Ukraine verteidigt ihre Souveränität, doch ebenso die Prinzipien des Westens, der Freiheit und des Friedens in Europa.“

Obwohl beruflich stark eingebunden, setzt die Kinderärztin Larissa Neumann weiter all ihre Kräfte dafür ein, anderen Menschen zu helfen. Die Ukrainerin, die in Stendal angekommen ist, betont es mit einem Zitat von Bertha von Suttner, Schriftstellerin, Friedensnobelpreisträgerin und Pazifistin: „Nach ’lieben’ ist ’helfen’ das schönste Zeitwort der Welt.“ / Gastbeitrag: Claudia Klupsch ist tätig im Johanniter-Krankenhaus Stendal für Öffentlichkeitsarbeit.