Gerichtsprozess Auch Parteikollegen hintergangen
Im zweiten Betrugsprozess gegen den verurteilten Wahlfälscher Holger Gebhardt sagten gestern zwei weitere Zeugen aus.
Stendal l „Herr Gebhardt war 2014 überhaupt nicht bei uns in Behandlung“, sagte gestern eine als Zeugin geladene Physiotherapeutin in der Prozessfortsetzung um gewerbsmäßigen Versicherungsbetrug und Urkundenfälschung aus.
Wie berichtet, soll der wegen Wahlbetruges bei der Stadtratswahl 2014 zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilte Ex-CDU-Stadtrat Holger Gebhardt zwischen 2012 und Ende 2016 mittels fingierter Rechnungen eine private Krankenversicherung um gut einhunderttausend Euro betrogen haben.
Als gesetzlich in der AOK Versicherter hatte der heute 45-Jährige laut Anklage bei der geschädigten Versicherung private Zusatzverträge abgeschlossen. Vor allem ging es dabei um Erstattung zahnärztlicher Behandlungen. Allein die Scheinrechnungen darüber belaufen sich der Staatsanwaltschaft zufolge auf etwa 98 000 Euro.
Gestern ging es vor der 1. Großen Strafkammer im Landgericht Stendal hauptsächlich um kleinere Rechnungen, die im Verhältnis zum Hauptschaden relativ banal erscheinen. So wurde vorgenannte Physiotherapeutin zu etwa einem Dutzend angeblich von ihr ausgestellter Rechnungen in den Jahren 2014 und 2015 befragt.
Die 61-Jährige gab wie erwähnt an, dass Gebhardt 2014 gar nicht in ihrer Praxis war. Sie kenne ihn wohl. Und er sei sowohl früher als auch später bei ihr in Behandlung gewesen.
Die von Gebhard für 2014 eingereichten Rechnungen würden nicht von ihr stammen. Auch nicht die aus 2015. Denn im September 2014 sei sie mit ihrer Praxis umgezogen. Die der Versicherung vorgelegten Rechnungen wiesen aber ihren alten Praxisstandort aus.
Des Weiteren ging es wie schon am 8. Mai um etliche Bescheinigungen für die Zahlung der sogenannten Praxisgebühr von jeweils zehn Euro an zwei niedergelassene Stendaler Ärzte.
Einer der Ärzte hatte, sich dabei auf die ärztliche Schweigepflicht berufend, vor Gericht geweigert, anzugeben, ob Gebhardt bei ihm Patient war. Das hat insofern ein kleines Geschmäckle, als es sich dabei um einen CDU-Stadtrat handelt, in dessen Fraktion Gebhardt von 2009 bis 2014 Mitglied war.
Ein Kriminalbeamter vom Zentralen Kriminaldienst (ZKD) Stendal sagte als Hauptsachbearbeiter gestern dazu aus, dass er bei angeblichen Rechnungsausstellern „aus Prozessökonomie kleine Beträge nicht abgefragt“ habe. Dazu zählte er Physiotherapie und Praxisgebühr.
Nach Angaben des 53-Jährigen konnte bei der Durchsuchung von Gebhardts Wohnung ohne Beisein des Angeklagten nicht eine einzige Original-Rechnung sichergestellt werden, von der möglicherweise verfälschte Kopien angefertigt worden sein könnten.
Es habe keinen Ordner im Haus zu Erkrankungen gegeben, wie er wohl in jedem Haushalt zu finden ist, wunderte sich der Kriminalist. Die bei der Durchsuchung sichergestellten Datenträger seien aber nicht von ihm, sondern von Fachabteilungen untersucht worden. Ein Laptop gilt als verschwunden. Den soll Gebhardt am Durchsuchungstag bei sich gehabt haben.
Wie die Vorsitzende Richterin Simone Henze-von Staden gestern sagte, werde sie bei der Fortsetzung am 7. Juni möglicherweise anregen, mit Zustimmung von Staatsanwaltschaft und Verteidigung den „Kleinkram“ einzustellen und sich auf die großen Tatvorwürfe zu konzentrieren.
Am 7. Juni sollen die persönlichen Verhältnisse Gebhardts erläutert werden, sein Verteidiger kündigte dazu eine Erklärung an. Verlesen hat Henze-von Staden gestern das Urteil vom 15. März 2017, mit welchem Gebhardt wegen Urkundenfälschung und Wahlfälschung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden war.
Verlesen wurde es deshalb, weil dieses Urteil in ein vom Landgericht am Ende des Prozesses zu bildende Gesamtfreiheitsstrafe einzubeziehen ist, wie Gerichtssprecher Michael Steenbuck auf Anfrage gestern bestätigte.
Derzeit verbüßt Gebhardt in der JVA Halle seine Haft aus dem Wahlbetrugsurteil. Er ist aber nach Informationen der Volksstimme schon seit Längerem sogenannter Freigänger. Das heißt, er muss nur noch des Nachts hinter Gitter.
Sollte das Landgericht ihn wie angeklagt des gewerbsmäßigen Versicherungsbetruges schuldig sprechen, dürfte es justizintern zufolge wohl mit dem Freigang vorbei sein. Ob dieses Urteil möglicherweise schon am 7. Juni gesprochen wird, blieb gestern offen.