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Proteste Mit Video: Bauernprotest in der Altmark - Bauern hupen mit Sternfahrt Stendal wach

Die Volksstimme begleitet Landwirt Jürgen Nagel auf der Sternfahrt durch die Hansestadt. Er spricht über den Rückhalt aus der Bevölkerung und Wünsche für die Zukunft.

Von Mike Kahnert Aktualisiert: 11.01.2024, 14:42
Bei der Sternfahrt der Landwirte in Stendal konnte es schon einmal eng werden. Die Fahrt führte die Bauern unter anderem durch die Breite Straße.
Bei der Sternfahrt der Landwirte in Stendal konnte es schon einmal eng werden. Die Fahrt führte die Bauern unter anderem durch die Breite Straße. Foto: Gerhard Draschowski

Stendal - Die Motoren der Traktoren brummen. Ihre Warnlichter erleuchten den Schützenplatz in Stendal. „Es sind alle da“, denkt sich der Reporter bei dem beeindruckenden Anblick, der sich ihm bietet. Kurz vor 6 Uhr haben sich circa 120 Landwirte auf dem Gelände versammelt, um bei einer Sternfahrt zweieinhalb Stunden lang Stendal wach zu hupen. Mit dabei ist Landwirt Jürgen Nagel, der die Volksstimme mit auf Tour nimmt.

 
Bauernprotest am Donnerstagmorgen in Stendal. (Kamera: Mike Kahnert, Schnitt: Bernd Stiasny)

Während draußen minus acht Grad herrschen, nimmt Jürgen Nagel in seiner wohltemperierten Fahrerkabine Platz. Um 6.40 Uhr verlässt ein Traktor nach dem anderen den Schützenplatz. Die ersten Hörner erklingen. „Diese Huperei ist ja gar nicht meins“, sagt der 57-Jährige. Die jüngeren Landwirte seien bei den Protesten etwas „wilder“.

Für die Sternfahrt der Landwirte in Stendal haben sich mehr circa 120 Teilnehmer auf dem Schützenplatz versammelt.
Für die Sternfahrt der Landwirte in Stendal haben sich mehr circa 120 Teilnehmer auf dem Schützenplatz versammelt.
Foto: Mike Kahnert

Wild, aber diszipliniert. Kurz vor der Abfahrt hat Kreisbauern-Chef André Stallbaum die Truppe eingeschworen und darum gebeten: Vor dem Johanniter-Krankenhaus wird nicht gehupt. Und tatsächlich blieb es abgesehen von den Motorgeräuschen der Traktoren still an der Kreuzung Nordwall/Wendstraße.

Konvoi bewegt sich in Richtung Marktplat

Jürgen Nagel ist ein erfahrener Bauer. 33 „Erden“, also Erntejahre, hat er im Kreis Stendal schon hinter sich gebracht. Sein Vater ist gebürtiger Uenglinger. Dort bewirtschaftet Jürgen Nagel ein Feld, erzählt er, während sich der Konvoi in Richtung Marktplatz bewegt.

Um das Rathaus herum ist das Hupkonzert besonders laut. Am Straßenrand beobachten Stendaler die Sternfahrt. Sie winken und applaudieren den Landwirten.

Jürgen Nagel (57), Landwirt aus Belkau, ist beeindruckt vom Rückhalt aus der Bevölkerung für die Bauernproteste.
Jürgen Nagel (57), Landwirt aus Belkau, ist beeindruckt vom Rückhalt aus der Bevölkerung für die Bauernproteste.
Foto: Mike Kahnert

„Das ist schon sehr beeindruckend“, sagt Jürgen Nagel. Er meint den unablässigen Rückhalt aus der Bevölkerung. „Wir hoffen natürlich alle, dass wir noch ein bisschen was bewegen.“ Die Kfz-Steuerbefreiung bleibt zwar bestehen und die Steuerbegünstigungen beim Agrardiesel fallen nicht auf einmal weg, aber der Teilrückzieher der Bundesregierung genüge den Landwirten nicht.

Fass zum Überlaufen gebracht

Jürgen Nagels Miene wird ernster, während er erzählt. „Diese Dieselgeschichte hat das Fass zum Überlaufen gebracht.“ Nicht erst seit der Ampelregierung verschlechtern sich die Bedingungen in der Landwirtschaft. Er fühle sich als Bauer wie der „Spielball der Politik“. Beispielsweise haben ihm immer neue EU-Agenden das Leben schwer gemacht. Er nennt den „Green Deal“ und die EU-Strategie „Farm to Fork“. Hinzu kommt: „Die Bürokratie lähmt das ganze Land.“ Dass weiter vorne im Korso ein Traktor mit der Aufschrift „Bürokratie ist der Tod der Landwirtschaft“ fährt, zeigt, dass Jürgen Nagel mit seiner Meinung nicht alleine ist.

Sowieso ist er vom Zusammenhalt der Landwirte beeindruckt. Das sei in der Vergangenheit nicht immer so gewesen. „Jetzt sind irgendwie alle da.“ Unter den Bauern herrsche ein großes Gemeinschaftsgefühl.

Bei der Sternfahrt in Stendal haben Landwirte mit ihren Traktoren unter anderem den Marktplatz passiert.
Bei der Sternfahrt in Stendal haben Landwirte mit ihren Traktoren unter anderem den Marktplatz passiert.
Foto: Gerhard Draschowski

Der Konvoi fährt vom Marktplatz in Richtung Ostwall. Noch ist der Berufsverkehr nicht im vollen Gang. Einige Autofahrer müssen trotzdem warten. Es bilden sich erste Schlangen an Kreuzungen – der Korso darf auch bei Rot über die Ampel fahren.

Abgesehen von den Forderungen der Bauern wünscht sich Jürgen Nagel weniger Bürokratie, vernünftige Rahmenbedingungen und umsetzbare Ziele in der Landwirtschaft. „Und natürlich eine gute Ernte“, sagt er schmunzelnd.

Landwirt sieht Kritik an Ampelregierung differenziert

Die Kritik an der Ampelregierung sieht er differenzierter als andere Bauern. „Da können alle schreien: ‚Die Ampel muss weg‘, aber was ist die Alternative? Die Alternative ist für mich keine Alternative. Die Ernste ist bunt und nicht braun.“

Der Landwirt möchte wie früher freier arbeiten können. „Meine Frau sagt immer: ‚Reg dich nicht auf, die Jugend wird mit dieser Bürokratie groß, die macht das schon‘.“ Aber es ärgert ihn dennoch.

Im Ostwall auf Höhe des Restaurants Athos wird die Unterhaltung von einem Funkspruch unterbrochen. „Wo bist du?“, fragt eine Stimme. „Ich sitz hier beim Griechen mit Jürgen“, sagt der Fahrer einen Traktor weiter. „Na, dann lasst es euch schmecken.“ Jürgen Nagel grinst, stellt aber irgendwann den Funk aus.

Es fallen immer wieder Kosten an

Was die zunehmende Bürokratie erschwert, erleichtert die immer moderner werdende Technik. Funk, Klimaanlage, Automat, Tempomat. In dem 230.000 Euro teuren, 7,5 Tonnen schweren und 240 PS starken Traktor steckt eine Menge drin. Und das sei nur „Mittelklasse“. Hinzukommt, dass jedes Jahr irgendwas repariert werden muss. Es gibt immer Kosten. Da machen es die Pläne der Bundesregierung den Landwirten nicht leichter. „Es ist halt blöd, wenn dir jemand so in die Tasche greift.“

Das Gespräch mit Jürgen Nagel vergeht wie im Flug. Kinder, die studieren und eventuell den Betrieb erben, Arbeitsbedingungen von damals und heute sowie Blicke in die Zukunft werden angesprochen. Die Landwirte ziehen derweil zwei große Runden durch Stendal.

Viele Autofahrer, die warten müssen, zücken ebenfalls wie Fußgänger ihr Handy und machen Fotos und Videos von der Sternfahrt. Der Rückhalt nimmt nicht ab. Wenn, dann nimmt er mit zunehmender Stunde zu. Stendal ist wach und beobachtet an den Straßenrändern gebannt den Traktor-Korso, als würde eine Parade durch die Stadt ziehen.

Kurz nach 9 Uhr versammeln sich alle Landwirte mit ihren Fahrzeugen wieder auf dem Schützenplatz. Die Sternfahrt ist vorbei, der Kampf der Bauern noch lange nicht. Jürgen Nagel ist sich trotz aller Widrigkeiten sicher: „Die Landwirtschaft wird es immer geben.“