1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Greifvögel jagen in der Altmark

Beizjagd Greifvögel jagen in der Altmark

Unter Jägern gilt die Beizjagd als die ehrlichste Form des Jagens. In Stendal erklärten Falkner, warum das so ist.

Von Nora Knappe 08.12.2019, 00:01

Stendal l Was machen eigentlich Falkner? Während ich auf selbige warte, schwirrt mir diese Frage im Kopf herum, und mir fallen eigentlich nur Greifvogelvorführungen ein. Unser Treffpunkt entbehrt nicht einer gewissen Ironie: am Tower des Flugplatzes Stendal-Borstel. Über mir dreht ein Sportflugzeug seine Runden, landet, hebt gleich darauf wieder ab, entfernt sich, nähert sich wieder der Landebahn. Gewiss ein wahrlich erhebendes Hobby, diese Fliegerei. Aber sie lärmt halt und stinkt. Ganz anders jene, die mich gleich erwartet.

Die Falkner kommen im Tross gefahren. Sie steigen aus und – sehen aus wie Jäger. Sind sie überhaupt die, mit denen ich verabredet bin? Sind sie. Denn jeder Falkner ist auch Jäger, lerne ich gleich und bekomme eine erste Antwort auf meine Eingangsfrage.

Eine zweite Antwort gibt es prompt: „Einmal im Jahr, immer im November, ist Landesbeizjagd“, erklärt Jörg Paufler, stellvertretender Vorsitzender im sachsen-anhaltischen Landesverband des Verbands Deutscher Falkner. „Je nachdem, wo das Niederwild ist, gehen wir ins Revier.“ Von Zichtau aus haben sich an diesem letzten Novembertag 50 Falkner in vier Richtungen zerstreut, 17 von ihnen haben Greifvögel dabei, darunter ein Steinadler, drei Habichte, ein Rotschwanzbussard und ganz viele Wüstenbussarde. Begleitet werden sie von zahlreichen Jagdhunden. Und einem Frettchen, das gehört Paufler und ist schlank genug für die Kaninchenbaue.

„Was wir hier machen, dient der Hege und Pflege, denn Kaninchen vermehren sich schnell und richten durch ihre Baue Schäden an, fressen Äcker leer“, erklärt Paufler, dessen Revier sich rund um den Flugplatz Borstel auf 400 Hektar erstreckt. „Die Beizjagd ist die fairste Art der Jagd. Der Vogel kann seinem Jagdin­stinkt nachgehen, macht Beute. Die Chancen sind fifty-fifty, der Stärkere gewinnt.“

Beizjagd – was heißt das eigentlich? Cornelia Sanftenberg aus Braunschweig, die heute samt Hündin Alva dabei ist, weil sie demnächst ihren Falknerschein machen möchte, hat mitgehört und zieht die Lehrerkarte: „Beizen kommt vom Althochdeutschen Baißen und bezieht sich auf den Falken, der ein Bisstöter ist.“ Im Gegensatz zu Habicht und Bussard, die Grifftöter sind – eine der spitzen, gebogenen Krallen bohrt sich ins Fleisch, dann wird mit dem Fuß geknetet und gewalkt, bis zum Tod des Beutetiers.

Das alles mag sich grausam anhören. Aber wenn man da so Seite an Seite mit den Falknern durchs Gelände streift, gewinnt man bald einen Eindruck von Friedfertigkeit. Mit einer Mischung aus aufmerksamer Gespanntheit und ausdauernder Geduld gehen sie, ihre Vögel auf dem dicken Lederhandschuh tragend, über den buckeligen Grasboden abseits der Landebahn. Ich begleite, in einigem Abstand zu den anderen, Heiner Steffens mit seinem Rotschwanzbussard. Ein imposantes Tier. Irgendwie auch schön. Mit der Zeit ändert sich der Blick auf diesen riesigen Vogel, auch wenn er respektvoll bleibt. Warum nur weiß man so wenig über Greifvögel?

Über die Falkner jedenfalls erfahre ich so nach und nach mehr: Sie helfen dabei, Krähen, die dem Flugverkehr in die Quere kommen können, zu vergrämen oder auch Tauben in landwirtschaftlichen Betrieben, weil die dort die Getreidesilos verunreinigen. Falkner bauen auch Nistkästen und erzählen in Schulen von ihrer Tätigkeit. Nicht zuletzt sind sie Anlaufpunkte, wenn verletzte Vögel gefunden werden. „Alles, was Federn hat, wird zu uns gebracht“, sagt Paufler, „wir päppeln sie auf.“

Doch jetzt bewegen sie sich spähend durch die Flur. Steffens und sein Bussard sind ganz bei sich, lassen sich durch meine Anwesenheit und Fragerei nicht aus der Ruhe bringen. Gehen, schauen, verharren, lauschen. Und wieder gehen, schauen... „Hase!“, schallt es plötzlich alarmierend herüber. Ich sehe das Tier rennen. Rasch lässt Steffens den Bussard von der Sitzleine, doch dieser Verfolgungsflug wird vergeblich enden. Der Hase ist einfach zu schnell. Der Bussard kommt noch nicht gleich zurück, harrt in einem Baum aus. Steffens lockt ihn mit Atzung, einem toten Küken. Jeder Jagdflug ist Energieverlust. Umgekehrt jagt der Vogel nicht, wenn er satt ist. Die Knochen frisst der Bussard, anders als Eulen, mit. „Die verdaut er komplett.“ Er braucht sie genauso wie die UV-Strahlung, weshalb Greifvögel gern in der Sonne dösen.

„Die Kunst ist, den Vogel gut aufzubauen“, erklärt mir wenig später Jörg Paufler und meint ein ausgewogenes Verhältnis aus Muskeln und Körperfett. So gut wie jedes Wochenende ist er mit dem Habicht draußen. „Der Vogel kann seinen Instinkten nachgehen und für mich ist das den Kopf freikriegen“, sagt Paufler, der als Stendaler Niederlassungsleiter eines großen Baustoffunternehmens arbeitet. Die Leidenschaft für die Greifvögel hat ihn schon als Kind gepackt, „ich bin mit Tieren und der Natur großgeworden, mit zwölf hatte ich zum ersten Mal einen Bussard auf der Hand“. Aber erst 2012 hat er schließlich den Jagdschein gemacht als Voraussetzung für den Falknerschein. „Die Kraft dieser Vögel und die Freiheit des Fliegens“ – wenige Worte reichen, um seine Faszination für die Falknerei begreiflich zu machen. Seinen fünfjährigen Enkel Constantin hat er damit bereits angesteckt – den Falknerhandschuh hat der sich nämlich schon gewünscht.

Im Übrigen gehört die Falknerei laut Unesco zum Immateriellen Weltkulturerbe. Das erwähnen Paufler und seine Kollegen gern, um damit Vorbehalten gegen ihre Passion zu begegnen. „Wir arbeiten nicht mit Bestrafung“, erklärt Jörg Paufler, „das würde auch nicht funktionieren, dann käme der Vogel nämlich gar nicht mehr zurück, die Falknerhand wäre für ihn Feindeshand.“ Mensch und Vogel – das ist Vertrauen, ein stilles Einverständnis.

Der Jagderfolg aller Falkner an diesem Tag ist mäßig. Am Ende wurden ein Reh, zwei Hasen, ein Kaninchen „gebeizt“. „Das Kaninchen war ich“, erzählt Paufler später lachend am Telefon und meint damit gleichwohl seinen Habicht – und sein Frettchen. Dass es auf dem Flugplatz letztlich nicht mehr Tiere waren, mag auch daran liegen, dass hier ein wilder Habicht sein Revier hat.

Und noch etwas habe ich gelernt und kann das nächste Mal, wenn ich draußen irgendwo wieder ein Häuflein Federn eines gerupften Vogels entdecke, mit Spezialwissen glänzen: Sind die Federkiele noch dran, war ein Greifvogel der Jäger, sind die Federkiele abgebissen, war es womöglich ein Fuchs.