Bibliothek Der Dritte Ort

Wie Bibliotheken sich wandeln, macht Brigitte Schnellhardt am Beispiel der Stendaler Bücherei deutlich. Da geht's nicht nur um Digitales.

Von Nora Knappe 01.03.2020, 03:00

Stendal l Wenn Menschen aus dem Metier der Druckerzeugnisse heutzutage von ihrer Arbeit sprechen, braucht man meist nicht lange zu warten auf einen irgendwie nach Rechtfertigung klingenden Zusatz, der unbedingt das Wort „digital“ enthält: Dass man ja trotz der Tatsache, gedruckte, papierne, physisch greifbare Werke anzubieten, natürlich den Lauf der Zeit nicht verpasse, sich in stetem Wandel befinde... Als ob man sich dafür entschuldigen müsste, ein Kulturgut zu bewahren – und selbiges einfach gut und richtig zu finden.

Nun, so kommt es also, dass auch Brigitte Schnellhardt in ihrer Jahresbilanz der Stendaler Stadtbibliothek das Digitale und die Online-Möglichkeiten professionell explizit bewirbt. So gehören zu den 60.000 im Hause ausleihbaren Medien neben Büchern (42.400) und Zeitschriften (50 Abos mit 2000 Heften) sowie Hörbüchern, CDs, DVDs und Konsolenspielen neuerdings auch Tonie-Hörfiguren und Mobi-Sticks. Letztere sind weniger wundersam, als sie klingen – es sind ganz einfach Hörbücher auf USB-Stick.

Und wem diese 60.000 greifbaren Dinge nicht genug sind, der findet weitere über 73.000 Medien in der „Onleihe“, der sich die Stendaler Bücherei 2016 angeschlossen hat. „Anfängliche Befürchtungen, dass uns damit die Besucher verloren gehen, haben sich nicht bewahrheitet“, so Schnellhardt, „für die meisten ist es eher ein Zusatzangebot.“

Mancher digitalen Entwicklung steht Brigitte Schnellhardt durchaus erst einmal skeptisch gegenüber, wie sie unumwunden bekennt. Wobei man Skepsis nicht mit Ablehnung verwechseln darf. Und wenngleich sie die technischen Neuerungen in ihrer Funktionsweise nicht bis ins Letzte zu durchschauen vermag, ist sie doch sichtlich angetan von der „Tonie“-Erfindung und führt sie gleich mal vor: Auf ein quadratisches Kästlein mit Funkempfang (das man sich freilich für zu Hause kaufen muss), stellt man eine Tonie-Figur, drückt einen Knopf und bekommt eine Geschichte erzählt. Dass die Bibliothek inzwischen 60 verschiedene Figuren und damit Geschichten hat, zeigt wohl, wie gut gedacht und beliebt dieses neuartige Medium ist.

Aber der Wandel, dem die Bibliothek als Teil der Zeitläufte unterliegt, geschieht noch auf anderer Ebene – und diese Tendenz kann man wohl gut und gern als eine Besinnung aufs Wesentliche werten. Nämlich, dass sich hier echte Menschen an einem echten Ort treffen. Sich zurückziehen, in sicht- und greifbaren Büchern und Zeitschriften stöbern, mal hier reinlesen, mal dort, Hausaufgaben machen und Studienarbeiten erledigen, vielleicht auch nur einen Kaffee trinken und plaudern. „Bibliotheken werden mehr und mehr zum Aufenthaltsort“, beobachtet Brigitte Schnellhardt mit Zufriedenheit.

Und dieser so stupende wie gewöhnliche Zustand, in dem sich die Bibliotheken neuerdings wiederfinden, hat sogar eine schöne Bezeichnung abbekommen, die verdächtig nach spannendem Filmstoff klingt: „der Dritte Ort“. Der Ort also, an dem sich die Menschen neben ihrem Zuhause und neben Arbeit oder Schule aufhalten. Gern aufhalten zumal. „Wir haben Sitzmöglichkeiten, eine offene Atmosphäre, oben ist es auch etwas ruhiger...“ Brigitte Schnellhardt zählt auf, was die Bibliothek – neben der Vielfalt an Lesestoff freilich – so anziehend macht. Und hat dabei noch nicht die interessante Architektur erwähnt und noch nicht das freie W-Lan, das in diesem Jahr aufs ganze Haus ausgeweitet werden soll.

Das alles gibt es, das könne man gar nicht oft genug sagen, kostenlos. „Vielen ist es nicht bekannt, dass man die Bibliothek nutzen kann, ohne angemeldet zu sein“, sagt Schnellhardt. Und eben nicht nur betreten, sondern im Bestand stöbern, lesen oder, um es mit Loriot zu sagen, „einfach nur hier sitzen“. Diese Möglichkeit nutzen insbesondere Schüler und Studenten – und sei es, um Wartezeit oder eine Freistunde zu überbrücken.

Dass sich die Nutzungsgebühr – die man zahlt, sobald man etwas ausleihen möchte – dennoch fast schon beim ersten Buch lohnt, rechnet Schnellhardt mit einer Spur stolzem Witz vor: „Der Durchschnittspreis eines neuen Buches liegt zurzeit bei 13,61 Euro. Bei uns kostet die Jahresgebühr für einen Erwachsenen 12,50 Euro.“ Der Vorteil am Ausleihen liege ohnehin auf der Hand: Man häufe zu Hause keine Bücher an, und wenn einem ein Buch mal nicht gefällt, ärgere man sich nicht, es gekauft zu haben.

Krimi, Thriller, Fantasy und Biografien sind übrigens am beliebtesten bei den Leihern. Und was liest die Bibliotheksleiterin am liebsten? „Ich bin da in meiner Auswahl gar nicht so festgelegt“, sagt Brigitte Schnellhardt, „zuletzt war es der Roman ‚Effi liest‘ von Anna Moretti und im Moment lese ich Thomas Derksen ‚Und täglich grüßt der Tigervater - als deutscher Schwiegersohn in China‘.“