Corona-AlltagSo seltsam entspannt

Wer Kinder hat, muss seinen Alltag wegen Corona neu organisieren. Wir haben eine fünfköpfige Familie in Stendal besucht.

Von Nora Knappe 30.03.2020, 01:01

Stendal l Wahrscheinlich ahnt sie, was der ein oder andere denken wird, und nimmt es gleich vorweg: „Wir sind ja keine Vorzeigefamilie“, sagt Maike Schymalla zur Begrüßung, als die Volksstimme-Reporterin zu Besuch kommt, um über die derzeit besonderen Anforderungen an Familien zu sprechen, zumal kinderreichere. Wer arbeitet noch wie, wie teilt man sich ein, wie sehr zehrt es an den Nerven, was macht man so den ganzen Tag, wenn Hausaufgaben und die reduzierte Arbeit erledigt sind?

Wenngleich Schymallas ansonsten vielleicht schon zur Vorzeigefamilie taugen mögen, sehen sie sich in diesen Tagen eben nicht gerade als Beispiel für eine mit ganz großen Schwierigkeiten. Und erzählen uns trotzdem gern von ihrem neuen Alltag, seit Schulen und Kindergärten geschlossen sind, seit es auch in Musikschulen und kirchlichen Einrichtungen nur noch hinter verschlossenen Türen gebremst betriebsam zugeht.

Die drei Kinder Lydia (2½), Felix (7) und Jakob (10) toben bei schönstem Sonnenschein auf dem Trampolin im Garten. Ihre Hausaufgaben haben die beiden Jungen, die in die Petrikirchhof-Grundschule gehen, längst erledigt, ihre Schwester freut sich umso mehr. In den Kindergarten geht Lydia gern, aber zu Hause ist es auch schön. Zumal Jakob ihr immer mal vorliest und sie „mit Felix und seinem kleinen Lego spielen“ kann.

Eine Woche hätten die Kinder gebraucht, um zu verstehen, was los ist, sagt Johannes Schymalla: „Und bald sagten die beiden Großen schon: Ich will wieder in die Schule. Schule zu Hause ist wohl anstrengender“, mutmaßt er lachend.

Der Tagesrhythmus ist trotz des Irgendwie-Ferien-Gefühls sachte diszipliniert, wie die Eltern schildern: „Wir stehen relativ früh auf, frühstücken gemeinsam, dann kommen die Aufgaben der Kinder, um 11.30 Uhr schauen sie die Sendung mit der Maus, und abends machen wir nicht ewig lange. Damit der Alltag erhalten bleibt.“

Nachmittags gibt es mal kleine Fahrradtouren, es wird gepuzzelt und viel gelesen. Die beiden Älteren haben auch ihre Tagespflichten, einer bereitet den Frühstückstisch vor, einer den fürs Abendbrot. Insgesamt, so stellen die Eltern fest, „ist viel mehr Ruhe im Kasten, es ist schön, alles mal nicht so zielgerichtet zu machen“. Und für alle bleibt in dieser musikalischen Familie nun mehr Zeit zum Üben.

Den Instrumentalunterricht bekommen Schüler der Stendaler Musik- und Kunstschule derzeit per Telefon oder Skype. „Alle Instrumentallehrer bieten diesen Unterricht in veränderter Form jetzt an, und es geht besser, als ich dachte“, freut sich Maike Schymalla als Leiterin der Schule. „Vor allem können wir auf diese Weise auch die Honorarkräfte weiterbezahlen.“

In der Musik- und Kunstschule herrscht zwar derzeit kein Leutegewimmel und keine Kakophonie des Übens, trotzdem ist immer jemand da: Die Sachbearbeiterinnen, die Kunstbereichsleiterin und der stellvertretende Schulleiter, ab und zu kommen einige Lehrer zum Üben, außerdem sind auch noch die Bauarbeiten im Gange, und Maike Schymalla selbst ist jeden Tag vier Stunden da. Sie nennt es ihr „Office-Office“, denn den Rest ihrer Arbeitszeit absolviert sie im Home-Office. Was nicht ganz einfach ist, wenn um einen herum eben drei Kinder wuseln und jeden Tag frisch gekocht wird.

Ein seltsamer Effekt ist das, den dieses veränderte Arbeiten bewirkt – einen, den man sich oftmals so herbeisehnt. So bedauert Johannes Schymalla als Domkantor zwar sehr, dass nun ausgerechnet zum Osterfest keine Gottesdienste und keine Kirchenmusik stattfinden, auch alle Choraktivitäten sind abgesagt. „Meine Arbeit liegt quasi brach“, so seine nüchterne Bilanz.

Und doch ist da ein ihn durchaus selbst befremdendes Aber: „Es ist alles stressfreier. Man muss nicht so sehr funktionieren und Höchstleistungen vollbringen wie sonst. Und der Vorteil für uns Musiker ist: Wir haben mehr Zeit zum Üben.“ Nebenher gibt es aber auch noch viel zu organisieren, Noteninventur, vage Programmplanungen für den Rest des Jahres... Johannes Schymalla ist jeden Tag vier Stunden im Dom, er wiederum nennt dieses Nicht-Home- Office „meine Domquarantäne“.

Bei all dem Sonnenschein seit den Schulschließungen und des rigorosen Kontaktverbots könnte man schon vergessen, dass derweil Ernstes vor sich geht. „Man kann es grad ganz gut aushalten“, sagt Maike Schymalla, „wir haben den Garten, es ist gut, dass die Kinder sich hier zu dritt haben. Aber wenn man an die Zukunft denkt und nicht weiß, was noch kommt und wie es enden kann...“