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Anwalt Wolfgang Paul ist von seinem Mandanten im Landgericht tätlich angegriffen worden "Das ist mir in 29 Jahren nicht passiert"

Von Wolfgang Biermann 28.08.2012, 03:25

Dass ein Mandant seinen Verteidiger tätlich angreift, ist zum Glück selten. Und doch ist genau dies am Freitag im Landgericht passiert.

Stendal l Ein 41-jähriger Mann aus Klein Wanzleben (Bördekreis), der sich wegen versuchten Betruges vor dem Landgericht verantworten muss, hat, wie in der gestrigen Ausgabe berichtet, am Freitag vor Verhandlungsbeginn offensichtlich einen seiner drei Pflichtverteidiger erst verbal und dann auch tätlich angegriffen. Das bestätigten der betroffene Anwalt und das Landgericht auf Volksstimme-Nachfrage.

Wolfgang Paul, Fachanwalt für Straf- und Arbeitsrecht aus Klötze (Altmarkkreis Salzwedel), sagte dieser Zeitung gestern: "Genau so ist es passiert." Er sei "völlig von den Socken" gewesen, als Christian S. ihm im Anwaltszimmer des Landgerichts "überraschend an die Gurgel gegangen" sei. "Das ist mir in 29 Jahren anwaltlicher Tätigkeit noch nicht passiert. Man hört ja immer wieder, dass Richter und Staatsanwälte Opfer von Anschlägen werden, aber Anwälte?", sagte Paul. Er hoffe, das sei für ihn das "erste und auch letzte Mal" gewesen, sich mit einem Mandanten anzulegen. Vom Vorsitzenden Richter sei er am Freitag noch vor Verhandlungsbeginn nach Hause geschickt worden.

"Ich habe mich noch am selben Tag einem Arzt in Klötze vorgestellt", erklärte Paul. Der Arzt habe Nachweise der Attacke attestiert. Brüche habe dieser dabei nicht festgestellt. "Über das Wochenende hat es auch keine Verschlechterung gegeben", meinte Paul. Er habe am Freitag mündlich gegenüber Richter Rüge bekundet, Christian S. nicht weiter verteidigen zu können und einen entsprechenden schriftlichen Antrag gestern nachgereicht. Über den Grund der Auseinandersetzung will Paul nichts sagen, zumindest nicht, so lange er nicht von seinem Mandat entpflichtet ist. "Ich hoffe diesbezüglich auf eine kurzfristige Entscheidung durch das Landgericht", erläuterte er.

Gerichtssprecherin Stefanie Hüttermann bestätigte gestern: "Das ist so gewesen." Demnach ist Rechtsanwalt Paul als vom Gericht bestellter Pflichtverteidiger im Anwaltszimmer des Landgerichts zunächst von seinem Mandanten Christian S. verbal angegangen und dann "gegen die Wand geschubst" worden. Paul habe umgehend den in der Sache verhandelnden Richter Gundolf Rüge benachrichtigt und Strafanzeige gegen seinen Mandanten erstattet. Richter Rüge habe sofort die Vizepräsidentin des Landgerichts, Haide Sonnenberg, informiert. Am gestrigen Montag sei Landgerichtspräsident Dieter Remus schriftlich von dem Vorfall in Kenntnis gesetzt worden.

Der Prozess ist am Freitag erst nach stundenlanger Verzögerung unter dem Schutz von zwei Justizwachtmeistern eröffnet worden. "Seien Sie still, sonst lasse ich Sie abführen", hatte Richter Rüge zu S. gesagt, als dieser ihn bei der Prozesseröffnung lautstark unterbrach. Die zwei verbliebenen Pflichtverteidiger Martin Voß und Heiko Schönfelder hatten gegen den Vorsitzenden Richter Rüge drei Befangenheitsanträge gestellt. Gegen Richterin Dietlinde Storch, die über diese drei Anträge befinden soll, stellten sie gleichfalls einen Befangenheitsantrag. Der wegen Betrugs, Steuerhinterziehung und Meineids vorbestrafte und zur Tatzeit unter Bewährung stehende Christian S. soll laut erstinstanzlichem Urteil im März 2008 versucht haben, 800 Tonnen Stahl der Salzgitter-Mannesmann-Stahlhandel GmbH im Wert von einer halben Million Euro, die bei einer inzwischen insolventen Firma in Arneburg lagerten, für 200000 Euro zu verkaufen.