Zahlreiche britische Bomber wurden zwischen 1940 und 1945 über der Altmark abgeschossen Dokumentation will nichts verherrlichen
Ein Buch dokumentiert jetzt die Flugzeugabstürze über der Altmark während des zweiten Weltkrieges. Einer der Autoren ist Jörg Helbig aus Bindfelde. Seinen Co-Autor aus dem Vogtland kennt er nur vom Telefon.
Stendal l Fliegeralarm, den gab es im zweiten Weltkrieg auch in der Altmark. Die Region selbst war nicht unbedingt Zielscheibe der zumeist britischen Flieger. Doch sollten die Bomber der Royal Air Force auf ihrem Weg nach Berlin, Leipzig oder Magdeburg gestoppt werden. In dem Buch "...und brennend abgestürzt." von Jörg Helbig und Jörg Andreé sind die Ereignisse rekonstruiert.
Eine zweimotorige Wellington T 2464, die am 15. Oktober 1940 kurz vor 1 Uhr abgeschossen wurde und etwas südlich von Plathe hinter dem Bahndamm der Eisenbahnlinie Stendal-Salzwedel abstürzte, war der erste Erfolg des deutschen Nachtjagdgeschwaders über der Altmark. Alle sechs Mann an Bord der Maschine, die in Richtung Magdeburg unterwegs war, kamen ums Leben.
"Zu DDR-Zeiten war es verpönt, sich mit dem Luftkrieg zu beschäftigen"
Mysteriös bleiben die Umstände des Absturzes einer Mosquito RV 305 in der Nacht zum 5. April 1945 bei Lockstedt. Vor allem das Schicksal des neuseeländischen Piloten konnte nicht geklärt werden. Er soll den Absturz überlebt haben und dann aus Lockstedt abstransportiert worden sein. Schließlich wurde er für tot erklärt. Sein Navigator war das letzte Opfer des Luftkrieges über der Altmark.
Die rund 50 Abstürze dieser viereinhalb Jahre zusammenzustellen, kostete einige Zeit. Die Idee dafür entstand allerdings schon viel früher. "Zu DDR-Zeiten war es verpönt, sich mit dem, was Luftkrieg oder den Zweiten Weltkrieg überhaupt betraf, näher zu beschäftigen", sagte Jörg Andreé. Der 53-jährige Bindfelder war schon zu jener Zeit ein leidenschaftlicher Modellbauer. Nach der Wende habe er dann ganz andere Möglichkeiten gehabt, sich Literatur besorgt, Gleichgesinnte kennengelernt. "Die Altmark war damals noch jungfräulich, was die Erforschung von Geschehnissen im zweiten Weltkrieg anging", beschrieb Andreé. Vor einigen Jahren startete er nach einem Volksstimme-Artikel über den Krieg in der Altmark einen Aufruf. Er wollte Informationen sammeln. Und die bekam er auch. "Meine Aktennotizen füllten einen halben Schreibblock, viele musste ich erst einmal auf später vertrösten", schilderte Andreé die Resonanz. Der Kontakt zu seinem Co-Autor aus dem Vogtland entstand durch einen Zufall.
Vor zwei Jahren räumte er seinen Keller auf und fand einen Brief von Helbig. Der macht darin den Vorschlag, doch zusammen ein Buch zu schreiben, da die Recherche doch für einen allein nicht zu bewältigen wäre. "Was wir uns damit antaten, war uns zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht klar", sagte er. Fortan glühten die E-Mail-Leitungen, liefen die Telefondrähte heiß.
Andreé, der auf Montage arbeitet, war an den Wochenenden zwar zu Hause, aber eigentlich nicht anwesend, wie seine Frau schmunzelnd bemerkte. Er telefonierte quer durch die ganze Welt, denn "Royal Air Force, das heißt nicht nur Briten, sondern auch Kanadier, Australier und Neuseeländer". Das habe die Sache kompliziert gemacht, allerdings wünsche er sich eine ähnlich gute Zusammenarbeit mit deutschen Archiven wie mit denen am anderen Ende der Welt. So bekam er innerhalb von 14 Tagen die Fliegerakte eines Neuseeländers geschickt, aus Kanada verfasste ihm ein über 80-jähriger Veteran einen Gefechtsbericht. Er lernte Werner Hoffmann, damals Leiter der ersten Gruppe des Nachtjägergeschwaders 5 kennen. Die beiden waren bis zu Hoffmanns Tod im vergangenen Jahr befreundet.
Andreé besuchte alle Stätten der Abstürze gemäß der Fliegerregel, dass alle Abschüsse durch Anfassen der Maschine bewiesen werden müssen. Flugzeuge waren natürlich nicht mehr zu finden, wohl aber Kleinteile, etwa ein Stück der Bordbewaffnung. All dies wurde in dem Buch mit Fotos und Skizzen dokumentiert.
"Manche Kapitel der Geschichte müssen neu geschrieben werden"
Ganz im Militärjargon bezeichnet Andreé das Buch als einen "Zeitzünder mit langer Dauer". Auf der einen Seite sei es ein Stückchen klassische Literatur für die Altmark, auf der anderen Seite müssten nach den darin veröffentlichten Zeitzeugenschilderungen manche Kapitel der Luftkriegsgeschichte neu geschrieben werden. Glorifizieren wolle er die Ereignisse auf keinen Fall. "Krieg ist etwas ganz Grausames", sagte er mit ernster Miene, "da gibt es nichts zu verherrlichen."