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Ramelow-Geschäftsleiterin Monika Genz hat Heiligabend ihren letzten Arbeitstag Ein Haus, das ihr in die Wiege gelegt wurde

Von Reinhard Opitz 20.12.2012, 01:27

27 Jahre hat sie das Kaufhaus geleitet, das für sie immer Ramelow war, auch als die Fassade die Initialen HO trug. Am kommenden Montag, Heiligabend, hat Monika Genz ihren letzten Arbeitstag. Die fast 62-Jährige geht in den Ruhestand.

Stendal l Die Behauptung, ein Leben bei Ramelow sei Monika Genz in die Wiege gelegt worden, ist nicht ganz abwegig.

An einem Januartag des Jahres 1951 stattete sie dem Kaufhaus im Herzen Stendals einen ersten Besuch ab. Mutter und Großmutter schoben den Kinderwagen ins Erdgeschoss des renommierten Hauses, um die wenige Tage zuvor geborene Monika den Mitarbeitern vorzustellen. Das war so üblich. Ramelow, zu der Zeit HO, war die Adresse in der Breiten Straße, wo man sich seit Jahrzehnten einkleidete, wo man seinen Hausrat, seinen Teppich kaufte. "Auch heute noch kommen unsere Stammkunden zu uns und zeigen uns stolz ihr Baby. Dann läuft das ganze Haus zusammen und bewundert es", sagt Monika Genz.

14 Jahre vergingen, bis das Haus ihr wieder einen denkwürdigen Tag bescherte. Im Jahr 1965 begann sie im Rahmen der Berufsausbildung mit Abitur ihre Lehre zum Handelskaufmann bei der HO, die sie für längere Zeit auch ins Kaufhaus Magnet, einst Ramelow, führte. Ihre ersten Tage erlebte sie in der Glas- und Porzellanabteilung. "Ich musste jeden Morgen den Staub von den Warentischen wischen und hatte immer Angst, was kaputt zu machen", erinnert sie sich.

Damals war das Haus recht düster; der schöne Lichthof war auf allen Etagen zugestellt mit hohen Schränken und Regalen. Von der luftigen Architektur des einst hochmodernen, 1930 fertiggestellten Bauhausgebäudes war nicht mehr viel zu spüren. Aber es war ein Warenhaus mit Vollsortiment, das 230 Mitarbeiter beschäftigte.

Am 1. Januar 1985 wurde Monika Genz die Chefin - mit 25 Jahren die jüngste ihrer Branche im Bezirk Magdeburg, vielleicht sogar in der ganzen DDR. Da lagen die Jahre des Studiums an der Leipziger Handelshochschule, die sie als Diplom-Handelswirtschafterin verließ, und ein kurzes Intermezzo bei der HO in Berlin hinter ihr.

Nach Leipzig und Berlin zurück in die Heimat

Ihre altmärkische Heimat zog die junge Frau wie ein Magnet zurück nach Stendal. "Ich hab\' mich vom ersten Tag an in diesem Haus wohl gefühlt und hatte unheimlich viel Respekt vor meinen 230 Mitarbeitern", sagt sie. Die immer brüchiger werdende Substanz der Kaufhausschönheit machte ihr das Wohlfühlen jedoch nicht immer ganz leicht. Überall standen Schüsseln herum, um das durchs Dach, vor allem das Glasdach des Lichthofs, tropfende Regenwasser aufzufangen; das Parkett bog sich an vielen Stellen in die Höhe.

Die Wochen und Monate des Umbruchs 1989 und 1990 erlebte Monika Genz wie viele andere in der DDR als wohl schönste und aufregendste Zeit, aber auch als die größte Herausforderung ihres Lebens. Die HO lag in Agonie und löste sich im Juni 1990 vollends auf. Im Einzelhandel herrschten Chaos und Verunsicherung. Durchs Kaufhaus Magnet liefen bis dahin nie gesehene Herrschaften in feinen Anzügen, die nicht unbedingt etwas kaufen wollten.

Monika Genz wollte die Zukunft des Hauses nicht dem Zufall überlassen. Sie bat den Bezirksdirektor der HO nachzuforschen, ob es die Familie Ramelow noch gibt. Dies hatte ihren dritten Schicksalstag im Haus an der Breiten Straße zur Folge. Am 17. Januar 1990, ihrem 39. Geburtstag, stellte sich Wilhelm Christoph Ramelow, damals Chef des heute 140 Jahre alten Familienunternehmens, zu einem ersten Besuch ein.

Monika Genz betrachtete ihn vom ersten Tag an als ihren Chef - auch aus Bewunderung dafür, dass die Familie auch nach der Enteignung von 30 Häusern durch die DDR nicht aufgegeben hatte. Die Firma Ramelow gründete mit dem erwähnten HO-Direktor eine gemeinsame GmbH, eröffnete im Eingangsbereich einen ersten Shop und sorgte für dringende Reparaturen am Haus. Schließlich kaufte die Familie Ramelow ihr Stendaler Haus, das einst das Flaggschiff des Unternehmens war, zurück und eröffnete es 1991. Für Monika Genz waren damit einige Probleme gelöst - und neue kamen hinzu. "Stendal hatte ein hochmodernes Markenhaus, aber keiner konnte sich die Markenware leisten", sagt sie. Es tat ihr sehr weh, dass sie den Großteil der Mitarbeiter nach und nach entlassen musste.

Bei Nachfolgern weiß sie ihr Werk in guten Händen

Seit etwa zwölf Jahren, schätzt sie, ist Ramelow Stendal wieder auf Erfolgskurs. Auf ihr Team, ihre hochmotivierten 27 Mitarbeiter, ist sie sehr stolz. Und bei ihren beiden Nachfolgern Annett Noffke und Tilo Heinemann, er zwölf, sie 21 Jahre im Haus, weiß sie ihr Werk in guten Händen. Dass sie die Geschäftsleiterin als Store-Manager ersetzen, ist eher eine Frage der Mode im Modehaus Ramelow.

Der Traum von der dritten Etage

Heiligabend ist der letzte Arbeitstag für Monika Genz. Auch wenn sie das Haus liebt - sie kann es loslassen. Zu sehr freut sie sich auf viel Zeit für die Familie, vor allem die vier Enkel, für den Garten und die Reiseziele, die noch auf dem Wunschzettel des Ehepaars Genz stehen.

Nach wie vor ist Ramelow das größte Kaufhaus zwischen Berlin und Wolfsburg, zwischen Magdeburg und Schwerin. Und der schönste Traum seiner scheidenden Chefin ist, dass die seit längerem stillgelegte dritte Etage in absehbarer Zeit wieder mit Leben erfüllt wird. Monika Genz glaubt fest an diesen Traum. Ab und zu wird schon ein bisschen aufgeräumt in der dritten Etage. Denn, so ihr Prinzip: "Das Leben ist eine Sinuskurve, und Probleme sind zum Lösen da."