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Entschädigung Stendalerin hofft auf Erlös aus uralter Aktie

Stendalerin Eva-Maria Steinmeyer bekam nach 28 Jahren Post - wegen einer Aktie von 1944. Jetzt hofft sie auf Entschädigung.

Von Christoph Zempel 20.11.2018, 01:00

Stendal l Eva-Maria Steinmeyer sitzt an einem Tisch in der Kanzlei von ihrem Rechtsanwalt Jens Unnau. Sie ist dort wegen des Bescheids, der vor ihr liegt. Das Landesverwaltungsamt Halle teilt ihr darin mit, dass der Antrag ihrer Mutter Eva Ranke auf Entschädigungszahlungen nicht gewährt wird. Der Antrag stammt von 1990 – es geht um eine Aktie, die deren 1938 verstorbener Großvater, Friedrich Nagel, einst an der Stendaler Kleinbahn AG hielt. Eva-Maria Steinmeyer – nach dem Tod ihrer Mutter inzwischen Erbin – hat sogar noch Originaldokumente aus den 40er Jahren und ein Fünkchen Hoffnung, dass sie doch noch Geld bekommt.

Die Dokumente zeigen Friedrich Nagels Aktien und Staatsanleihen. Säuberlich aufgelistet am 31. Dezember 1944 von der damaligen Landcredit-Bank Sachsen-Anhalt. 1200 Reichsmark – das ist der Anteil, den Friedrich Nagel 1944 an der Stendaler Kleinbahn AG hielt. Warum ist der Wert von 1944 so wichtig? Weil das Unternehmen Stendaler Kleinbahn AG nach dem Krieg von der sowjetischen Militärverwaltung enteignet wurde, Aktien somit hinfällig waren.

Das seinerzeit von Staat, Provinz und Interessenten finanzierte Unternehmen ging 1915 aus der Kleinbahn-AG Stendal-Arendsee hervor. Zwischenzeitlich wurde die Aktiengesellschaft 1942 in Stendaler Eisenbahn AG umbenannt. 1950 sind sämtliche Kleinbahnen Ostdeutschlands dann in den Bestand der Deutschen Reichsbahn übergegangen.

Ab 1990, mit der deutschen Wiedervereinigung, konnten Aktionäre – oder deren Erben – dann auf Entschädigungszahlungen pochen. Eva Ranke stellt damals sofort einen Antrag beim ehemaligen Vermögensamt. Vor rund einem Monat bekommt Tochter Eva-Maria Steinmeyer dann die überraschende Post. Doch warum werden ihr die Entschädigungszahlungen nicht gewährt? Zu gering sei der Betrag, der ihr zustünde, sagt das Landesverwaltungsamt. Tatsächlich geht aus dem Ausgleichsleistungsgesetz hervor, dass Ausgleichsbeträge von umgerechnet unter 1000 D-Mark nicht gezahlt werden müssen.

Die Frage, die zunächst offen bleibt, ist: Auf welcher Grundlage wurde der Wert des Unternehmens berechnet? Das hat sich inzwischen aber geklärt: Die Vermögenswertschätzung beruht auf den Erläuterungen aus dem Geschäftsbericht 1944, sagt eine Mitarbeiterin des Landesverwaltungsamtes gegenüber Anwalt Jens Unnau. Konkrete Zahlen aber gebe es nicht. Keine alten Steuerbescheide, keine Vermögensaufstellungen. Unnau wundert sich darüber. „Dass keine Bilanzen, Umsätze oder Gewinne des Unternehmens vorliegen, ist merkwürdig. Womöglich war da ein Buchhalter auf Zack und hat die Akten verschwinden lassen“, sagt er.

Wie unwahrscheinlich es ist, dass doch noch Vermögensdokumente von 1944 auftauchen, ist Eva-Maria Steinmeyer bewusst. Dennoch hat sie Hoffnung: „Auch wenn es am Ende nur 300 Euro wären, würde mir das helfen“, sagt sie. Vielleicht habe ja doch noch jemand alte Belege zur Stendaler Eisenbahn AG, fügt sie hinzu, die mit ihrem Lebensgefährten den Kohlehandel und die Mosterei in der Nicolaistraße führt.

Überhaupt scheint es reiner Zufall zu sein, dass die Akte wiederentdeckt wurde. „Im Landesverwaltungsamt haben sie mir gesagt, dass der Antrag im Zuge der Archivierung von Akten aufgetaucht ist“, sagt Unnau. Und das wiederum hing mit Unterlagen zur ehemaligen Stendaler Hansa-Brauerei zusammen.

Bereits 2006 hatte Eva-Maria Steinmeyer einmal Entschädigungszahlungen bekommen. Rund 20.000 Euro. Denn ihr Urgroßvater Friedrich Nagel war Hauptaktionär bei der Brauerei gewesen. Er hielt Aktien im Wert von sage und schreibe 94.440 Reichsmark. Zum Vergleich: Ein Lokomotivführer hat damals 133 Reichsmark im Monat verdient, im Jahr also knapp 1600, erzählt Eisenbahnhistoriker Wolfgang List. „Aktionär konnte man nur sein, wenn man mindestens 1000 Reichsmark investierte.“

Friedrich Nagel war offenkundig vermögend. „Er war Bänker“, erzählt Eva-Maria Steinmeyer. Ein Bänker, der Vermögen hinterlassen hat. Ob seine Ur-Enkelin erneut was davon haben wird, ist unwahrscheinlich. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.