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Fußball Die Anfänge der Fußballeuphorie

In Stendal gab es schon Ende des 19. Jahrhunderts Anhänger des Ballsports. Über die Anfänge hat Jörg Hosang vom Sportarchiv recherchiert.

Von Donald Lyko 08.03.2017, 00:01

Stendal l Daran, dass der Fußball auch in Stendal die Hauptsportart ist, gibt es keinen Zweifel. Und das schon seit langer Zeit. „Bekanntlich wurde im Jahr 1908 mit dem Fußballklub Preußen Stendal der erste Fußballverein in Stendal gegründet, die Anfänge reichen aber noch weiter zurück“, sagt Jörg Hosang, der sich als Mitarbeiter im Stendaler Sportarchiv seit Monaten intensiv damit beschäftigt hat.

Die ältesten bisher von ihm gefundenen schriftlichen Nachweise stammen aus dem Jahr 1895. Da spielte die Nachwuchsabteilung des Männer-Turn-Vereins (MTV) Stendal von 1861, dem ältesten Sportverein Stendals, Fußball auf dem heutigen Platz 2 im Hölzchen (damals „Heinrichslust“). „Da in dem Schriftstück von ‚regelmäßigen Spielen‘ die Rede ist, ist anzunehmen, dass auch schon vorher vom MTV Stendal Fußball auf diesem Platz gespielt wurde“, vermutet der Sporthistoriker.

Der Platz 2 ist die älteste Sportstätte der Hansestadt Stendal. „Ich möchte sogar behaupten, dass dies die älteste Sportstätte in Sachsen-Anhalt ist, wo organisiert Sport getrieben wurde“, erklärt Hosang. Im Sommer 1815 hatte Gymnasialdirektor Haacke auf diesem Platz mit regelmäßigem Turnunterricht für seine Schüler begonnen. Selbst Magdeburg und Halle haben nach gefundenen Aufzeichnungen später mit organisiertem Sport angefangen.

Ein weiterer Nachweis, dass schon vor 1908 Fußball in Stendal gespielt wurde, stammt aus dem Jahr 1907. In einem Erhebungsbogen für den Zentralausschuss zur Förderung der Volks- und Jugendspiele steht: „In den Turnvereinen wird regelmäßig des Sonntags von 4 Uhr ab gespielt: Fußball, Tamburinball, Schleuderball. Turnverein Friesen im Bürgerpark, der MTV im Hölzchen.“

Der FC Preußen Stendal wurde laut Statuten am 22. Januar 1908 als erster Fußballverein in Stendal gegründet. Die Gründung fand in der Ratsschänke am Markt statt. Dort steht heute ein Wohnhaus. Das erste Fußballspiel des FC Preußen fand im April des gleichen Jahres statt. Es ist damit das erste offizielle Fußballspiel eines Stendaler Fußballvereins. Gegner am 5. April 1908 war laut Zeitung der Tangermünder Fußballklub „Saxonia“. Gespielt wurde auf dem Sportplatz im Bürgerpark, später bezogen die Preußen den Sportplatz an der Haferbreite.

„Beim Begriff Sportplatz darf man sich nicht heutige Verhältnisse vorstellen. Es war zu dieser Zeit meist eine geebnete Wiesenfläche, auf der zwei Tore aufgestellt und Linien gezogen wurden“, erklärt der Sporthistoriker. In den folgenden Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg wurde dieser Sportplatz im Bürgerpark immer weiter ausgebaut. Die Preußen spielten nicht nur gegen Mannschaften aus der näheren Umgebung wie Tangermünde, Salzwedel oder Rathenow. Zu den hochkarätigen Gegnern in den Anfangsjahren gehörte unter anderem der Berliner Thor- und Fußball-Club Union 1892.

Im Juli 1908 traf der FC Preußen Stendal dann zum ersten Mal auf die „Urväter“ des Stendaler Fußballs, die Aktiven der Fußballabteilung des MTV Stendal, die die Preußen zu diesem Spiel herausgefordert hatten. Auf der Wettkampfstätte des MTV, dem heutigen Platz 2 im Hölzchen, siegte der Fußballklub deutlich mit 11:0 und erteilte den Turnern damit eine Lehrstunde. Bei seinen Recherchen hat Jörg Hosang viele Zeitungs- und Spielberichte von damals zusammengetragen, die ein sehr stimmungsvolles Bild zeichnen.

Dass nicht nur beim FC Preußen Stendal und dem MTV Stendal Fußball gespielt wurde, davon zeugt eine leider nur kurze Information in der Tageszeitung. Darin ist im September 1909 zu lesen: „Ein Fußball-Wettkampf zwischen den Klassen O. II und U. II unseres Gymnasiums fand Sonnabend Nachmittag auf dem Bürgerparke statt. Den Sieg errang U. II mit 3:0 Toren.“ „Leider sind in den Akten im Stendaler Stadtarchiv nur wenige genauere Informationen zu den ‚Spielen‘ am Stendaler Gymnasium zu finden“, sagt Jörg Hosang.

In den folgenden Jahrzehnten wurde der Platz 2 im Hölzchen vom Gymnasium hauptsächlich für diese Sportspiele genutzt. Schriftliche Nachweise, ab wann am Gymnasium Fußball gespielt wurde, hat der Sporthistoriker bisher nicht gefunden. „Aber da man am Gymnasium in Sachen Sport schon immer eine Vorreiterrolle in der Stadt einnahm, ist es durchaus möglich, dass dort schon vor 1900 Fußball gespielt wurde“, so Hosang.

Da sich der Fußball in Stendal zunehmender Anhänger erfreute, verwundert es nicht, dass sich im September 1909 ein weiterer Fußballverein in der Stadt gründete. Am 29. September 1909 überreichten der 1. Vorsitzende Willi Warnstedt und der Schriftführer Willy Wiehsler des „Fußballklubs Deutschland in Röxe“ der Polizeiverwaltung die Vereinsstatuten zur Genehmigung. Drei Jahre später hieß der Verein Fußballklub Deutschland-Stendal.

Das erste bisher schriftlich belegbare Fußballspiel des Vereins fand am 13. Februar 1910 gegen die Jugendmannschaft des FC Preußen Stendal auf dem „Preußenplatz“ statt, wie der Platz der Preußen in der Haferbreite mittlerweile bezeichnet wurde. Im Fußballklub Deutschland-Stendal waren die meisten Mitglieder Eisenbahner. „Damit ist dieser Klub der erste Eisenbahner-Verein der Stadt. Wohlwollend könnte man ihn als Vor-Vorgänger von Lok Stendal bezeichnen“, erklärt Jörg Hosang.

Zurück ins Jahr 1909. In diesem Jahr erscheinen noch weitere Fußballvereine auf der Bildfläche. In einer kurzen Zeitungsnotiz vom Oktober 1909 taucht ein „Seminaristen-Ferienklub Hohenstaufen“ auf. Dessen erste und zweite Mannschaft bestritt zwei Fußballspiele gegen die jeweils erste und zweite Mannschaft des Fußballklubs Preußen Stendal auf dem Sportplatz an der Haferbreite. Außer einem weiteren Aufeinandertreffen beider Vereine im März 1910 ist bisher nichts weiter über die Hohenstaufener bekannt.

Der zweite Fußballverein, der in jenem Jahr gegründet wurde, war der Fußballklub Siegfried Wahrburg. Der Verein existiert noch heute unter dem Namen TuS Siegfried Wahrburg 1909.

„Zum Ende des Jahres 1909 trat dann der später erfolgreichste Stendaler Fußballverein vor dem Zweiten Weltkrieg, der FC Viktoria Stendal, auf die städtische und altmärkische Fußballbühne“, berichtet Hosang. Zuvor, im November 1909, hatte der FC Preußen eine außerordentliche Generalversammlung im Vereinslokal Ratsschänke anberaumt. Nach dieser Versammlung haben etliche Mitglieder den Verein verlassen, um den FC Viktoria Stendal zu gründen. In der Anfangszeit spielte der junge Verein im Hölzchen. 1929 weihte Viktoria Stendal ihr erstes „richtiges“ Fußballstadion ein.

„In Stendal machte sich eine Fußballeuphorie breit. Wie beschrieben, gab es Anfang 1910 mittlerweile fünf Fußballvereine“, fasst Jörg Hosang zusammen. Der Fußball war auch in breiten Bevölkerungskreisen angekommen. Auf Plätzen und Wegen spielten Kinder und Jugendliche Fußball. Das war nicht von allen gern gesehen. Im Altmärkischen Intelligenz- und Leseblatt beschwor man, dass „Fußballspielen auf der Straße sei zur Unsitte geworden“.